Tech M&A

„Alle wollen mehr wie Salesforce sein“

Die M&A-Tristesse dürfte im Technologiesektor 2024 ein Ende haben. Deal-Experten beobachten seit Beginn der zweiten Jahreshälfte, dass sich "eine Welle aufbaut". Vor allem strategische Käufer treiben den Markt und die Bewertungen.

„Alle wollen mehr wie Salesforce sein“

„Alle wollen mehr wie Salesforce sein“

Im Tech-Sektor zeichnet sich Erholung von M&A ab – Bewertungen von Software-Deals halten hohe Niveaus

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Nach der Tristesse im Multikrisenjahr 2023 beginnt der M&A-Markt den Schock des „Higher for longer“ zu verdauen. Bei Tech-Deals zeigen strategische Käufer laut Investmentbankern und Beratern eine ausgeprägte Zahlungsbereitschaft. Sie treibt die Sorge um, ohne gezielte Zukäufe technologisch nicht Schritt halten zu können. Für Software im Auto werden rekordhohe Bewertungen aufgerufen.

Der Einbruch bei M&A war 2023 auch im Technologiesektor (TMT) dramatisch. Im ersten Halbjahr wurden 4.840 TMT-Transaktionen im Volumen von 247 Mrd. Dollar angekündigt. Damit sankt die Zahl um 63%, das Deal-Volumen fiel um knapp ein Drittel, wie aus einer Erhebung der auf den Sektor fokussierten Wirtschaftskanzlei Morrison Foerster hervorgeht. Allerdings „sehen inzwischen alle die Bodenplatte“, erklärt Dirk Besse, Managing Partner bei Morrison Foerster in Berlin und Europachef der Kanzlei für M&A, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Knapp die Hälfte der von der Kanzlei befragten Studienteilnehmer rechnet 2024 mit einer steigenden Zahl von Transaktionen, wobei Finanzinvestoren sich noch deutlich optimistischer geben als strategische Käufer.

Strategen gehen voran

Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass Private Equity allmählich unter Druck kommt, das zugesagte Kapital in Fonds mit fortschreitender Laufzeit auch anzulegen. Die höheren Finanzierungskosten haben schuldenfinanzierte Übernahmen im laufenden Jahr besonders erschwert. Strategische Käufer sind davon weniger betroffen, und sie nutzen die Chance, das eigene Unternehmen zu ermäßigten Bewertungen technologisch zu stärken. Sascha Pfeiffer, Managing Director und Head of European Technology bei Houlihan Lokey, beobachtet seit Mitte des Jahres wieder ein stark wachsendes Interesse an M&A-Transaktionen, vor allem von strategischen Investoren.

Für die zwischenzeitliche Hängepartie habe auch eine Rolle gespielt, dass insbesondere Verkäufer ihre Preisvorstellungen an die neue Realität anpassen mussten, denn „die höheren Zinsen wirken natürlich dämpfend auf die Bewertungen“. Diese seien Ende 2020 und Anfang 2021 „abnormal hoch“ gewesen. „Inzwischen befinden wir uns bei den Multiples wieder auf einem normalen 5- und 10-Jahres-Durchschnitt“, so der Tech-Deal-Experte.

Auto-Software brummt

Das schwierige Finanzierungsumfeld begünstigt indes den Trend zu kleineren Deal-Volumina und zu Minderheitsbeteiligungen. 61% der befragten Strategen und 91% der PE-Investoren ziehen Morrison Foerster zufolge im kommenden Jahr Minderheitsbeteiligungen in Betracht. Darüber hinaus besteht eine Tendenz zum Erwerb von Early-Stage-Start-ups, die technologisch interessant sind, aber noch von überschaubarer Größe und daher preiswerter.

Im ersten Halbjahr steht ein TMT-Deal-Volumen von nur 83,8 Mrd. Dollar für die Top-Ten-Deals symptomatisch für eine geringe Transaktionsgröße. Die Zahl vergleicht sich mit einem Volumen von 267 Mrd. Euro im Vorjahr.

Pfeiffer registriert zudem einen „hohen Qualitätsanspruch“ im Markt. Für Software-Unternehmen gelte ziemlich streng die sogenannten „Rule of 40“, nach der ein Software-Plattformunternehmen bei prozentualem Wachstum und der operativen Gewinnmarge addiert 40% oder mehr erreichen muss, um als Qualitäts-Asset zu gelten, das sich gut verkauft. Für derlei gute Firmen ist die Nachfrage hoch. Und damit liegen in einzelnen Subsektoren die Bewertungen schon wieder deutlich über dem Durchschnitt. Als „hot topic“ registriert Pfeiffer den Bereich „in-car software“, wo inzwischen „durchaus wieder der 13- bis 14-fache Umsatz“ gezahlt werde. Jüngstes Beispiel war der Kauf von Pike Tec, einem deutschen Spezialisten für den Test eingebetteter Automotive Software, durch das US-Unternehmen Synopsys im August, eine Transaktion „im dreistelligen Millionenbereich“.

Strategische Investoren setzen auf Zukäufe, um bei wichtigen technologischen Themen wie künstlicher Intelligenz (KI) oder Cybersicherheit auf der Höhe der Zeit zu sein und so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Anderen geht es aber auch darum, ihr Wachstumsprofil zu verbessern.

Sascha Pfeiffer

Auch in den Monaten zuvor brachte Auto-Software einen stetigen Deal-Fluss. Inzwischen „baut sich da eine Welle auf“, sagt Pfeiffer, auch mit Blick auf volle Orderbücher. Verstärkung suchen nicht nur die Autohersteller selbst, sondern auch große Zulieferer wie Continental oder Bosch.

Aber auch jenseits der Autoindustrie dreht sich das M&A-Karussell für Tech-Firmen mit wachsender Geschwindigkeit. „Strategische Investoren setzen auf Zukäufe, um bei wichtigen technologischen Themen wie künstlicher Intelligenz (KI) oder Cybersicherheit auf der Höhe der Zeit zu sein und so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Anderen geht es aber auch darum, ihr Wachstumsprofil zu verbessern“, erklärt der Manager.

Triebfeder KI

Dasselbe beobachtet Besse. „Alle wollen mehr wie Salesforce sein“, fasst der M&A-Experte die Motive von zahlreichen strategischen Käufern auf der Suche nach einem Internet-basierten, möglichst KI-gestützten Geschäftsmodell zusammen. „Strategische Investoren treibt die Angst, vor allem bei KI womöglich nicht Schritt halten zu können.“ Hierzulande seien vor allem „Technologien für Robotik und alles rund um Big Data“ gefragt.

Sanierung fördert Transaktionen

Morrison Foerster rechnet noch aus einem anderen Grund 2024 mit einer deutlichen Belebung bei der Zahl der Transaktionen. „Irgendwann laufen auch längerfristige Finanzierungen mal aus, und für viele Firmen werden Anschlussvereinbarungen vor dem Hintergrund gestiegener Zinsen anspruchsvoll. Da wird es Restrukturierungen geben, und die gehen auch mit M&A einher“, prognostiziert Besse. Auf der Gegenseite sieht er jedoch Bremswirkungen durch „ein stetig komplexeres Sanktionsregime“ etwa der EU oder der USA und wachsende Anforderungen bei Investitionen ausländischer Firmen in Deutschland. „Sie treffen mittlerweile jede Transaktion im Tech-Bereich und werden ständig ausgeweitet“, so Besse. Jedes Land, in dem etwa ein Übernahmeziel auch nur Geschäft macht, möchte das eigene Regime anwenden. „Viele Länder werden übergriffig.“

Insbesondere asiatische Firmen hätten hohen Beratungsbedarf bei Akquisitionen in Europa. „Hier lautet die Frage: Wie strukturiere ich meine Transaktion, um sicherzustellen, dass ich mich am Ende nicht entmachte“, betont der M&A-Experte.