Atlantia fordert Rom heraus
bl Mailand – Der börsennotierte italienische Infrastrukturkonzern Atlantia fordert die Regierung in Rom heraus. Der Verwaltungsrat der zu 30 % von der Familie Benetton kontrollierten Gruppe beschloss am Donnerstag, die 88-prozentige Beteiligung an dem Autobahnkonzessionär Autostrade per l’Italia (Aspi) komplett abzugeben. Dies soll entweder über einen Verkauf des gesamten Anteils zu Marktbedingungen erfolgen oder durch eine Ausgliederung und eine anschließende Börsennotierung, bei der Atlantia ebenfalls ganz aussteigen will. Entscheiden darüber sollen die Atlantia-Aktionäre auf einer Hauptversammlung am 30. Oktober. Der Atlantia-Aktienkurs reagierte positiv auf die Nachricht: Das Papier stieg um 3,6 % auf 13,92 Euro.Das ist eine Kampfansage an die italienische Regierung. Rom sieht Aspi bzw. Atlantia als verantwortlich für den Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua im August 2018, bei dem 44 Menschen starben. Es gibt zwar viele Indizien zumindest für eine Teilschuld von Aspi, doch juristisch ist die Schuldfrage noch gar nicht geklärt. Dennoch drohte Rom Atlantia bzw. Aspi zwei Jahre lang mit dem Entzug der Autobahnkonzession bzw. dem Ausstieg Atlantias bei Aspi. Nach den Vorstellungen der Regierung soll die mehrheitlich staatliche Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) die Atlantia-Beteiligung zusammen mit anderen Investoren übernehmen.Zwar haben Atlantia und die Regierung Mitte Juli eine Grundsatzvereinbarung abgeschlossen, in der sich Atlantia zum Verkauf verpflichtet. Doch über die Details und Bedingungen dieser Regelung wurde seither keine Einigung erzielt. Die Regierung will, dass die CDP über eine ihr vorbehaltene Kapitalerhöhung einsteigt, doch dieses Verfahren erscheint Atlantia intransparent und nicht im Interesse der Aktionäre von Atlantia und Aspi zu sein, zu denen die Allianz, der Staatsfonds von Singapur sowie viele internationale Investoren gehören. Atlantia will außerdem vermeiden, dass Nachforderungen gestellt werden können. Offen war bisher auch die Frage, wer die Schulden von Aspi in Höhe von 10 Mrd. Euro übernimmt.Im Hintergrund spielen der wachsende Staatseinfluss in Italiens Wirtschaft und die Frage, ob dieser Interventionismus EU-Regeln verletzt, eine Rolle. Atlantia hat sich in einem scharfen Brief an die EU darüber beschwert, dass fundamentale Rechte von Aktionären verletzt werden.Der Infrastrukturkonzern schlägt die Tür für Rom nicht zu. Die CDP könne sich um den Zuschlag bewerben. Man strebe eine Einigung mit dem Verkehrsministerium an, heißt es. Unter den genannten Bedingungen würde ein Einstieg aber für die CDP und damit letztlich für den Steuerzahler deutlich teurer. Angeblich steht die CDP deshalb kurz davor, sich zurückzuziehen.