Auf ein Neues
Praxair wirbt hartnäckig um Linde und nimmt einen neuen Anlauf für eine transatlantische Unternehmensheirat. Ob sich der umworbene Wettbewerber auf eine zweite Verhandlungsrunde einlässt, steht noch nicht fest – erst recht nicht, ob es zu einem Zusammenschluss der beiden Industriegasekonzerne kommt.Auf den abermaligen Versuch ist Linde überhaupt nicht vorbereitet. Vorstandschef Wolfgang Büchele ist auf dem Absprung und hatte die Fusionsidee abgehakt, wenn man seinen Worten von vor einem Monat glauben kann. Gleich drei Spitzenmanager sucht der Aufsichtsrat: nicht nur einen Nachfolger für Büchele, sondern auch einen CFO und einen Vorstand für die Region Amerika.Es fehlt also jemand, der in Verhandlungen mit Praxair überzeugend Interessen von Linde vertreten könnte, die über das nächste Frühjahr hinausreichen. Aufgabe von Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle wäre dies jedenfalls nicht.Und es gibt noch einen zweiten Grund, warum der Vorstoß aus den USA ungelegen kommt: Büchele startete wenige Monate vor seinem Abschied ein neues Sparprogramm, nachdem sein erster Versuch für schlanke Strukturen und klare Zuordnungen in Halbherzigkeit steckengeblieben war. Diese Aktion verkaufte er als Alternative zu dem misslungenen Anlauf zu einer Fusion. Wenn nun die Idee einer Fusion mit Praxair wiederbelebt würde, hätte die Arbeitnehmerseite gute Gründe, die Verhandlungen über einen Stellenabbau zu stoppen. Bücheles Plan würde sich verzögern.Sollten sich Linde und Praxair doch auf einen Zusammenschluss einigen, müsste sich der Münchner Konzern als größerer, aber schwächerer Partner auf Einschnitte gefasst machen – auch wenn diese nicht so stark ausfallen würden wie im ersten Versuch. Schließlich muss Praxair nun zu mehr Kompromissen bereit sein, um Linde wieder an den Verhandlungstisch zu locken. Der Preis für Zugeständnisse – zum Beispiel Doppelfunktionen in Deutschland und den USA – wären Abstriche an den Synergien eines gemeinsamen Konzerns.Selbst wenn dieses Projekt den Titel “Fusion unter Gleichen” trüge, müsste letztlich einer der Partner das Sagen haben. Hinzu kommt, dass mit Einwänden der Kartellaufsicht zu rechnen wäre. Im Norden und Süden Amerikas hätten Praxair und Linde zusammen eine sehr starke Marktposition.Kurzum: Einem erfolgreichen Werben um Linde stehen viele Hürden im Weg. Der Jubel an der Börse kommt zu früh.