Corporate Governance

Aufsichtsräte tasten sich an Kompetenzprofile heran

Unternehmen sind seit der jüngsten Kodex-Reform gehalten, die im Aufsichtsrat vorhandenen Kompetenzen in einer Qualifikationsmatrix darzustellen. Noch herrscht bunte Vielfalt, wie eine Übersicht der Kanzlei Glade Michel Wirtz belegt.

Aufsichtsräte tasten sich an Kompetenzprofile heran

Aufsichtsräte tasten sich an Kompetenzprofile heran

Dax-Unternehmen stellen Qualifikationsmatrix für die Gremienmitglieder unterschiedlich dar – Noch keine Standardisierung zu erkennen

Unternehmen sind seit der jüngsten Kodex-Reform gehalten, im Aufsichtsrat vorhandene Kompetenzen in einer Qualifikationsmatrix darzustellen. Noch herrscht bunte Vielfalt, wie eine Übersicht der Kanzlei Glade Michel Wirtz zeigt.

In der Personalentwicklung von Organisationen gilt die Qualifikationsmatrix schon lange als bewährtes Instrument. Aufsichtsräte betreten mit der systematischen Visualisierung der Kompetenzen ihrer Mitglieder noch Neuland. Nach den jüngsten Anpassungen im Deutschen Corporate Governance Kodex sind die Kontrollgremien nicht nur gehalten, ein Kompetenzprofil zu erarbeiten. Der Stand der Umsetzung soll zudem in Form einer Qualifikationsmatrix in der Erklärung zur Unternehmensführung veranschaulicht  werden.

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Vereinheitlichung zu erwarten

Im ersten Jahr der Umsetzung haben sich die Unternehmen recht unterschiedlich an die neuen Kodex-Vorgaben herangetastet. Wie aus einer Übersicht der Kanzlei Glade Michel Wirtz hervorgeht, divergieren die Darstellungen der Qualifikationsmatrix im Kreis der Dax-40-Unternehmen erheblich.  Das betrifft sowohl die Systematik als auch Zahl und Tiefe der einzeln aufgeführten Qualifikationen. Auch die Spanne der aufgeführten Kompetenzen ist breit: Sie reicht von fünf bei Daimler Truck bis 23 bei Fresenius.

Die Anwälte gehen davon aus, dass es nicht bei dem bunten Bild bleiben wird: „Wir erwarten eine Vereinheitlichung in der Darstellung der Qualifikationsmatrix“, sagt  Friedrich Schulenburg, Partner der Kanzlei.  Zur Einheitsmatrix analog zu den früheren Vergütungstabellen im Kodex sollte eine Standardisierung aus Sicht der Anwälte indes nicht führen. „Man sollte die Unternehmen nicht in ein Korsett zwängen“, meint Schulenburg.

Die Gesellschaftsrechtler weisen darauf hin, dass die Zählweise in den Qualifikationen nicht trennscharf vorgenommen werden kann, weil einzelne Unternehmen zahlreiche Kompetenz-Untergruppen ausweisen, etwa zu Finanzen und ESG.

So untergliedern etwa BMW und Fresenius die Finanzkompetenz in Abschlussprüfung und Rechnungslegung. Adidas und Daimler Truck fächern als bislang Einzige den Nachhaltigkeitsaspekt auf in die drei ESG-Aspekte Environment, Social und Governance. Andere belassen es hier in der Differenzierung bei „E“ und „S“, die meisten fassen ESG-Kompetenz als Einheit.

Selbsteinschätzung von Unternehmen

„Für uns war es interessant, dass beim Thema ESG in den Kompetenzprofilen bislang wenig untergliedert wird, obwohl ESG für verschiedene, durchaus unterschiedliche Aspekte steht“, unterstreicht Andreas Merkner, Partner von Glade Michel Wirtz. „Wer etwas von Klima versteht, hat nicht zwingend auch umfangreiche Expertise in den Themenfeldern Lieferketten oder Menschenrechte. Aus unserer Sicht hätte es nahegelegen, die ESG-Kompetenzen weiter aufzufächern.“

Von Investorenseite wird  kritisiert, dass die Qualifikationsmatrix auf der Selbsteinschätzung von Unternehmen basiert und sie in der Aufstellung an die ausgewiesenen Fertigkeiten der Aufsichtsräte selbst einen Haken setzen. Aus Sicht institutioneller Adressen mangelt es in dem Procedere vielerorts an einem Kompetenznachweis und Informationen darüber, welche Schulungen die Aufsichtsräte wahrnehmen, um sich in anspruchsvollen Themen auf dem Laufenden zu halten.

„Der Aufsichtsrat sollte sich genau überlegen, warum er welche Häkchen in der Qualifikationsmatrix setzt“, mahnt Merkner. Die Begründung müsse in der Erklärung zur Unternehmensführung nicht zwingend offen gelegt werden, die Unternehmen sollten die für die Selbsteinschätzung relevanten Gesichtspunkte aber aus Sicht des Anwalts in der Schublade haben, da sie in der Hauptversammlung danach gefragt werden könnten. „Für die interne Dokumentation sorgfältiger Entscheidungen sollte dies an sich State of the Art sein“, so Merkner.

Mit einer besonders detaillierten Darstellung der Kompetenzen im Aufsichtsrat hebt sich Mercedes-Benz hervor. Der Aufsichtsrat des Automobilkonzerns hat nach eigenen Angaben die Kodex-Anpassung zum Anlass genommen, das Anforderungsprofil zu aktualisieren und nachzuschärfen. Dabei wird nicht nur eine Qualifikationsmatrix gezeigt, sondern für alle Kompetenzfelder in einem ergänzenden Text erläutert, welchen Aufsichtsratsmitgliedern welche Fähigkeiten zugeordnet werden.

Dem designierten Aufsichtsratschef Martin Brudermüller, CEO des Chemiekonzerns BASF, etwa wird besondere Expertise in den Bereichen Finanzen und Transformation bescheinigt, genauso wie in ESG, speziell Environment, sowie Industrie und Kapitalmarkt.

Druck steigt

Mit dem Lieferkettengesetz könnte für alle Unternehmen mehr Druck in das Thema kommen. Aufsichtsräte sind durchaus Haftungsrisiken ausgesetzt, wenn ihnen spezielle Kompetenzen zugeschrieben werden. Wenn zum Beispiel eine Person im Gremium als Rechtsexperte ausgewiesen wird und ein Compliance-Fall im Unternehmen auftritt, wird von einem Juristen erwartet, dass er weiß, wie damit umzugehen ist.

„Wer in der Qualifikationsmatrix als spezieller Experte genannt wird, könnte dann gegebenenfalls in die Defensive geraten, wenn dem Aufsichtsrat in diesem Bereich später etwas vorzuwerfen ist“, gibt Schulenburg zu bedenken.

Im Fall der Finanzexperten sind die Anforderungen an zwei Aufsichtsratsmitglieder mit dem vom Fall Wirecard ausgelösten Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) geregelt worden – mit der Folge, dass diese Finanzexperten in ihrem besonderen Kompetenzbereich ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab trifft. Ausgehend davon kann man sich aus Sicht der beiden Anwälte die Frage stellen, ob die Zuschreibung von Kompetenzen in der Qualifikationsmatrix auf der Basis des Kodex als „soft law“ ähnliche Konsequenzen haben könnte. „Man wäre zumindest in der Defensive“, warnt Schulenburg.

BGH-Urteil im Fall Ision

Merkner weist auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Fall des Internet-Dienstleisters Ision hin. Hier habe das Gericht klargestellt, dass ein Aufsichtsratsmitglied einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt, wenn es über Spezialkenntnisse verfügt und diese in der Aufsichtsratstätigkeit eine Rolle spielen. 

Die beiden Anwälte halten die Entscheidung für richtig. Zwar lege das Aktienrecht nur fest,  dass der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit über die erforderlichen Kompetenzen verfügen müsse.  „Wenn aber ein Kandidat wegen seiner speziellen Kenntnisse in den Aufsichtsrat gewählt wird, dann dürfen die Aktionäre auch erwarten, dass diese Kenntnisse in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden“, resümiert Merkner.

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