Börsengänge

Aus der "Prinzessin" wird ein "Einhorn"

Das Nucera-IPO ist gemessen am schwierigen Umfeld ein solider Erfolg geworden. Allerdings kann die Thyssenkrupp-Wasserstofftochter auch nur bedingt die erhoffte Funktion als Eisbrecher für den deutschen IPO-Markt übernehmen. Der Börsengang ist in gewissem Umfang ein Sonderfall, weil das Unternehmen auf spezielles Interesse von ESG-Fonds gestoßen ist, die auf die Energiewende setzen.

Aus der "Prinzessin" wird ein "Einhorn"

Aus der “Prinzessin” wird ein “Einhorn”

Als Eisbrecher für den IPO-Markt taugt das Debüt der Thyssenkrupp-Wasserstofftochter Nucera nur bedingt

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

Der erste Börsengang in Deutschland seit fünf Monaten und zugleich der bis dato größte deutsche Börsengang in diesem Jahr ist gemessen am schwachen Umfeld zu einem soliden Erfolg geworden. Die Aktien der Thyssenkrupp-Wasserstofftochter Nucera legten bei ihrem Börsendebüt in den ersten Handelsstunden deutlich zu. Zeitweise stiegen sie um bis zu 19,5% bis auf 23,90 Euro. Der erste Kurs an der Frankfurter Börse wurde mit 20,20 Euro festgestellt. Der Ausgabepreis hatte mit 20 Euro knapp unterhalb der Mitte der Preisspanne gelegen, die von 19 Euro bis 21,50 Euro reichte, und das IPO spielte einen Emissionserlös von 605 Mill. Euro ein, der ganz überwiegend an das Unternehmen geht. Damit liegt die Marktkapitalisierung bei 2,5 Mrd. Euro, der Streubesitz bei 15%. Die Bewertung ist indes gemessen am Umsatzvielfachen weniger als halb so hoch wie bei den beiden notierten Wettbewerbern Nel und McPhy.

Angesichts des schwachen Umfelds im Aktienmarkt war das Nucera-IPO alles andere als ein Selbstläufer. In Großbritannien war der Kurs des Zahlungsdienstleisters CAB Payments gerade erst am Tag des Erstlistings um 10% eingebrochen. Der britische Chemiekonzern WE Soda hatte sein Debüt kurze Zeit vorher ganz abgesagt. Und der Kurs der United-Internet-Webhosting-Tochter Ionos, die im Februar in Frankfurt an die Börse gekommen war, ist seither um ein Drittel abgestürzt. Noch vor wenigen Jahren war laut Thyssenkrupp-Chef Miguel Ángel López Borrego das Kerngeschäft von Nucera – die Chlor-Alkali-Elektrolyse – eine Art “verwunschene Prinzessin”; “kaum jemand im Konzern erkannte das Potenzial dieser Technologie”, sagte der Manager, der erst vor kurzem an der Spitze des Konzerns gestartet ist und den Mut hatte, das IPO trotz des schwierigen Umfelds nicht abzusagen. “Wir haben Glück, einige haben es erkannt. Und wir gaben ihnen die unternehmerische Freiheit, etwas Starkes aufzubauen. Und heute ist dies ein Milliardengeschäft. Aus der verwunschenen Prinzessin wurde ein Einhorn”, fasste Borrego am Freitag in Frankfurt die Entwicklung zusammen, bevor in der Alten Börse die Glocke zum Handelsstart geläutet wurde.

Citigroup und Deutsche Bank haben das IPO als Joint Global Coordinator über die Bühne gebracht. Commerzbank, Société Générale and Unicredit/Kepler Cheuvreux waren Joint Bookrunners; Crédit Agricole, IMI-Intesa Sanpaolo und Santander waren als Co-Lead-Manager dabei. „Das heutige Börsendebüt ist ein Zeichen für das qualitativ sehr gute Orderbuch”, sagte Malte Hopp, Leiter Equity Capital Markets bei Citi in Deutschland. “Nucera stieß auf großes Interesse von institutionellen und privaten Anlegern”, ergänzt Christof Muerb, Managing Director, Deutsche Bank.

Als Cornerstone-Investoren hatten der Staatsfonds Saudi-Arabiens und BNP Paribas vorab schon 45% der Aktien übernommen. Rund 100 institutionelle Adressen hatten danach gezeichnet. “Bei den institutionellen Anlegern waren es vor allem Fonds, die sich auf die Energiewende konzentrieren”, sagte Muerb. Investoren seien vor allem überzeugt von der Technologie des Unternehmens und den starken Wachstumsaussichten für das Geschäft mit grünem Wasserstoff. Tatsächlich war das IPO mehrfach überzeichnet – wie hoch genau, wird nicht verraten, damit kein Kunde beleidigt über seine Zuteilungsquote ist. “Bei den institutionellen Anlegern waren es vor allem Fonds, die sich auf die Energiewende konzentrieren”, sagte Deutsche-Bank-Mann Muerb. Es wurde auch eingeräumt, dass bei der Zuteilung eine gewisse Beteiligung von Hedgefonds erforderlich ist, um Liquidität bereitzustellen.

Allerdings fehlten auch viele der ganz großen Long-only-Adressen – also die Blackrocks dieser Welt –, weil sie so schlechte Erfahrungen mit vorhergehenden IPOs gemacht hatten. Insofern kann Nucera auch nur bedingt die erhoffte Funktion als Eisbrecher für den deutschen IPO-Markt übernehmen. Es ist in gewissem Umfang ein Sonderfall, weil das Unternehmen auf spezielles Interesse von ESG-Fonds gestoßen ist, die auf die Energiewende setzen. In den Startlöchern für ein IPO stehen in Deutschland der Medikamentenspritzenhersteller Schott Pharma, der gerade mit Analysten spricht, sowie der Panzergetriebehersteller Renk, der Sandalenhersteller Birkenstock und der Fernbusbetreiber Flixbus.

Das Emissionsvolumen aus IPOs und Kapitalerhöhungen ist 2023 in Europa bis dato nur um 10% im Vergleich zum schwachen Vorjahr gestiegen. Damit die Emissionen bei Investoren Interesse finden, braucht es einen klaren Verwendungszweck. Als solcher gilt eine Akquisition oder die Senkung der Schuldenlast.

Das Nucera-IPO ist gemessen am schwierigen Umfeld ein solider Erfolg geworden. Allerdings kann die Thyssenkrupp-Tochter nur bedingt als Eisbrecher für den IPO-Markt dienen. Der Börsengang ist in gewissem Umfang ein Sonderfall, weil Nucera auf Interesse von ESG-Fonds gestoßen ist, die auf die Energiewende setzen.