Bayer in den Fängen der US-Klageindustrie

Glyphosatprozesse überlagern Monsanto-Integration - Baumann: Kein Anlass für Vergleiche - Branchenüblicher Versicherungsschutz

Bayer in den Fängen der US-Klageindustrie

Bayer macht sich mit großem Enthusiasmus an die Integration von Monsanto. Das Projekt, das binnen drei Jahren Synergien von 1,2 Mrd. Dollar verspricht, wird allerdings von der Klagewelle im Zusammenhang mit dem Herbizid Glyphosat überlagert, auch wenn Bayer von der eigenen Rechtsposition überzeugt ist.Von Annette Becker, zzt. St. LouisMit dem grünen Licht der US-Kartellbehörde ist am 16. August endlich der Startschuss für die Integration des US-Saatgutriesen Monsanto in den Bayer-Konzern gefallen. Enthusiastisch hatten die Bayer-Oberen den Termin herbeigesehnt, hatte sich die Übernahme aus kartellrechtlichen Gründen doch schon erheblich verzögert. Anstatt die geballte Energie in den Aufbau des weltgrößten Agrochemiekonzerns stecken zu können, sieht sich Bayer nun aber erst einmal einer riesigen Klagewelle im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichter Glyphosat, der aus den Laboren von Monsanto stammt, gegenüber. Das Herbizid steht im Verdacht, Krebs zu verursachen.Die Klagewelle bindet nicht nur Managementkapazität, sondern hat auch bei den Investoren für reichlich Verunsicherung gesorgt, wie die Entwicklung des Aktienkurses eindrucksvoll belegt (siehe Chart). Ausgehend vom Kurs am 9. August, dem Tag bevor das erste Schadenersatzurteil im Fall Dewayne Johnson bekannt wurde, bis heute, hat der Dax-Wert ein Viertel an Wert eingebüßt, 21 Mrd. Euro an Marktkapitalisierung sind verpufft.Wenngleich Bayer beteuert, dass die Prozesslawine – per Ende August waren 8 700 Klagen anhängig, aktuelle Zahlen will Bayer mit dem Zwischenbericht am 13. November vorlegen – auf das Integrationsprojekt keinen Einfluss nimmt, sind die Glyphosatklagen allgegenwärtig. Bayer steht unter Rechtfertigungszwang, auch wenn Vorstandschef Werner Baumann nicht müde wird zu betonen, dass sich durch die Klagen “die Risikoposition des Unternehmens nicht verändert hat” und sich der Konzern gegen die aus Bayer-Sicht ungerechtfertigten Klagen entschieden verteidigen wird. Falls nötig, werde Bayer das Verfahren bis in die letzte Instanz tragen, gab sich Baumann vor Journalisten in St. Louis, dem Firmensitz der einstigen Monsanto, kämpferisch. Gestützt auf hunderte wissenschaftliche Studien, welche die Sicherheit von Glyphosat bei sachgerechter Anwendung bestätigten, gebe es keinen Grund, den Vergleichsweg einzuschlagen, gibt Baumann die Richtung vor. Lange TraditionMassenklagen auf Schadenersatz (Mass Tort Litigation) haben in den USA nicht nur eine lange Tradition, sondern sind auch ein riesiges Geschäft, wie Mark Behrens von der Kanzlei Shook, Hardy & Bacon weiß. Allein für TV-Werbespots sollen Kanzleien und Dienstleister der US-Klageindustrie 2017 knapp 1 Mrd. Dollar ausgegeben haben. Behrens beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Massenklagen und hat selbst zahlreiche Asbestprozesse bestritten. In die Glyphosatverfahren von Monsanto respektive Bayer ist er gleichwohl nicht involviert. Rechtsstreitigkeiten in den USA seien ein bisschen wie Glücksspiel, sagt Behrens.Dabei wird das “Big Business” von zahlreichen Faktoren befeuert. So hat der Kläger beispielsweise nichts zu verlieren, auch wenn er im Prozess unterliegt. “Der Klägeranwalt bekommt nur Geld, wenn es zu einem Vergleich oder einem rechtskräftigen Schadenersatzurteil kommt”, erläutert Behrens. Dann erhalte der Anwalt mindestens 30 % der erstrittenen Summe zuzüglich seiner Auslagen. Werden die Verfahren in die nächste Instanz getragen, wie aktuell im ersten Glyphosatprozess, kann die Beteiligung auf bis zu 50 % steigen. Hohe VerteidigungskostenDie Klägeranwälte machen eine simple Rechnung auf: Je höher die Zahl der Klagen, desto größer die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich, liegt den beklagten Unternehmen doch viel daran, das Thema vom Tisch zu bekommen. An diesem Punkt ist Bayer aber längst noch nicht angelangt, auch wenn die Klagewelle den Konzern viel Geld kosten wird. Während es den Kläger und seinen Anwalt kaum etwas kostet, eine Schadenersatzklage auf den Weg zu bringen – Behrens spricht von um die 400 Dollar im Federal Court System -, sieht es für die Beklagten völlig anders aus. In den USA tragen sie die Kosten der Beweiserhebung, selbst wenn am Ende des Verfahrens ein Freispruch steht.Auch das erhöhe die Vergleichsneigung, weiß der Anwalt. Sogar Baumann räumt ein, dass es bisweilen aus rein wirtschaftlichen Erwägungen sinnvoll sein könne, sich auf Vergleiche einzulassen. Dann nämlich, wenn die Vergleichszahlungen geringer sind als die Verteidigungskosten. So ging Bayer beispielsweise bei Klagen im Zusammenhang mit der Hormonspirale Mirena vor. Behrens warnt aber zugleich davor, zu früh Vergleiche anzustreben, denn “frühe Vergleichsabschlüsse können Anreize für neue Klagen schaffen”.Immerhin wird mit der sogenannten Multidistrict Litigation (MDL) ein Weg eröffnet, die Bearbeitung komplexer Fälle wie Produkthaftungsklagen zu beschleunigen. In diesem Rechtsverfahren wird die vorprozessuale Beweiserhebung für mehrere Klagen an einem Gericht gebündelt. Erst wenn es zur Verhandlung kommt, sind wieder die Bezirksgerichte zuständig. Das erste Glyphosatverfahren aus einer MDL ist für Februar in San Francisco anberaumt. Der Weg durch die InstanzenWerden Verfahren in erster Instanz vor einem Geschworenengericht verhandelt, setzt sich die Jury im Berufungsprozess aus drei Berufsrichtern zusammen. Sollte eine der Streitparteien mit dem dort gesprochenen Urteil nicht einverstanden sein, geht es an einem State Supreme Court in die letzte Instanz.Im Fall Johnson hat Bayer Berufung eingelegt, nachdem das Gericht in San Francisco kürzlich zwar die Schadenersatzsumme drastisch um 210 auf knapp 79 Mill. Dollar reduzierte, das Urteil im Kern jedoch bestätigte. Die Geschworenen hatten einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und der Krebserkrankung von Johnson als erwiesen angesehen.Doch selbst wenn Bayer diesen ersten Prozess in der Berufungsinstanz gewinnt, dürfte der Durchbruch damit noch längst nicht gelungen sein. Denn jeder Prozess verläuft anders und es bedarf zumindest mehrerer gewonnener Prozesse, bevor die Urteile womöglich eine abschreckende Wirkung entfalten. Ein weiterer Nachteil: Berufungsverfahren erstrecken sich bisweilen über mehrere Jahre.Zur Verteidigungsstrategie äußerte sich Baumann verständlicherweise nicht und auch mit Blick auf den Versicherungsschutz von Monsanto war dem Bayer-Chef nicht mehr als “im branchenüblichen Umfang” zu entlocken. Wenngleich Baumann an der bisherigen Verteidigungsstrategie des US-Agrokonzerns – der Fall wurde noch unter Monsanto-Regie verhandelt – keine Kritik üben will, räumte er auch ein, dass Monsanto in der Vergangenheit noch nie mit einer Klagewelle in dieser Größenordnung konfrontiert war. Inwieweit sich daraus Rückschlüsse auf den branchenüblichen Versicherungsschutz ziehen lassen, ließ der Bayer-Chef offen. Den Versicherungsschutz nachträglich auszuweiten, verbietet sich angesichts der prohibitiv hohen Versicherungsprämien.