Big Blue setzt sich rote Mütze auf

IT-Konzern IBM übernimmt für 34 Mrd. Dollar den Linux-Spezialisten Red Hat - US-Konzern legt Aktienrückkäufe 2020 und 2021 auf Eis

Big Blue setzt sich rote Mütze auf

Erst vor wenigen Tagen hat IBM zum 23. Mal in 27 Quartalen einen Umsatzrückgang gemeldet. Auch CEO Ginni Rometty glaubt nicht mehr daran, aus eigener Kraft auf einen Wachstumspfad zurückzukehren. Mit der 34 Mrd. Dollar schweren Offerte für Red Hat setzt “Big Blue” alles auf eine Karte.sp New York – Der IT-Konzern IBM hat keine zwei Wochen nach der Veröffentlichung von erneut enttäuschenden Geschäftszahlen die bisher größte Übernahme in der 107-jährigen Firmengeschichte angekündigt. Für die US-Softwarefirma Red Hat bezahlt “Big Blue” rund 34 Mrd. Dollar und legt mit 190 Dollar je Aktie im Vergleich zum Schlusskurs vom Freitag eine Prämie von mehr als 60 % auf den Tisch, wie die Unternehmen mitteilten. Am Montag notierten Red Hat 45 % im Plus und lagen unterhalb des Allzeithochs, das der Titel Mitte Juni erreicht hatte. IBM gaben knapp 3 % ab.Zur Finanzierung der Übernahme greift IBM, die im laufenden Jahr einen freien Cash-flow in Höhe von 12 Mrd. Dollar anpeilt, auf 14 Mrd. Dollar Barmittel zurück. Darüber hinaus stehen dem Konzern J.P. Morgan und Goldman Sachs zur Seite. Lazard hat IBM beraten. Die für die Jahre 2020 und 2021 geplanten Aktienrückkäufe werden ausgesetzt. Einen positiven Beitrag zu Cash-flow und Ergebnis soll Red Hat zwölf Monate nach dem erwarteten Abschluss der Übernahme in der zweiten Jahreshälfte 2019 leisten.Als IBM-Chefin Virginia “Ginni” Rometty vor wenigen Tagen den 23. Umsatzrückgang in den vergangenen 27 Quartalen meldete, rutschte IBM um mehr als 8 % ab und verzeichnete den größten Abschlag in den vergangenen vier Jahren. Die Enttäuschung fiel auch deshalb groß aus, weil es gerade die designierten Wachstumsfelder wie das Angebot von künstlicher Intelligenz der Marke “Watson” waren, die in den vergangenen Monaten unter den Erwartungen geblieben sind.Nach sieben Jahren an der Unternehmensspitze glaubt Rometty nun offenbar nicht mehr daran, den Schrumpfkurs ohne Verstärkung von außen verlassen zu können. Bisher ist es ihr nicht gelungen, die sinkenden Umsätze in traditionellen Geschäftsfeldern durch neue Angebote wie Analytics oder Cybersicherheit aus der Cloud auszugleichen. Seit ihrer Berufung zur Konzernchefin Ende 2011 ist der Umsatz von IBM um rund ein Viertel geschrumpft, während die Aktie allein in diesem Jahr rund ein Fünftel verloren hat. Viele enttäuschte GesichterMit Red Hat, deren Firmenname auf die rote Schildmütze des Vaters einer der beiden Firmengründer zurückgeht, setzt die IBM-Chefin jetzt voll auf das Geschäft mit Software für Firmenkunden aus der Cloud. Das 1993 gegründete Unternehmen mit Sitz in Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina vertreibt Software, die auf das Open-Source-Betriebssystem Linux aufbaut, das als Alternative zu Windows von Microsoft entwickelt wurde (siehe Kasten), und bietet Kunden neben einem abobasierten Gesamtpaket aus der Cloud weitere Dienstleistungen an, die zunehmend auch von großen Firmenkunden nachgefragt werden.Im Ende August abgeschlossenen zweiten Quartal verzeichnete Red Hat laut J.P. Morgan elf Vertragsabschlüsse mit einem Volumen von mehr als 5 Mill. Dollar und 73 Deals im Wert von mehr als 1 Mill. Dollar – so viele wie noch nie zuvor. Dennoch verfehlte die Firma mit einem Umsatzplus von 14 % auf 823 Mill. Dollar die durchschnittlichen Erwartungen. Unter dem Strich blieb mit 87 Mill. Dollar ein Zehntel weniger als im Vergleichszeitraum hängen. Bei IBM, die in ihrem dritten Quartal ebenfalls enttäuschte, soll Red Hat als eigenständige Einheit weiterlaufen. CEO Jim Whitehurst, der das seit 1999 börsennotierte Unternehmen bald zehn Jahren führt, zieht in den Vorstand von IBM ein und wird künftig direkt an Rometty berichten.Die bisher größte Wette der IBM-Chefin folgte nur wenige Stunden nach enttäuschenden Ergebnissen der Technologiekonzerne Amazon und Alphabet, die Firmenkunden umfassende IT-Leistungen aus der Cloud anbieten und hier Tempo eingebüßt haben. Am Freitag fiel der Börsenwert der beiden Konzerne um insgesamt 82 Mrd. Dollar. Während Microsoft in dem Geschäft rasant aufholt, läuft IBM trotz der 2 Mrd. Dollar schweren Übernahme von Softlayer vor fünf Jahren bis heute der Konkurrenz hinterher. Red Hat, die sich mit ihrer vergleichsweise geringen Größe im Wettbewerb mit den Branchenschwergewichten ebenfalls schwertut, soll Abhilfe schaffen.”Die Übernahme ändert alles im Cloud-Markt”, sagte Rometty, die IBM zusammen mit der neuen Tochter bereits als führenden Anbieter von Produkten für die Integration von Cloud und On-Premise-Software versteht. Auch wenn diese Euphorie nicht von jedem geteilt wird und die Akquisition von vielen Marktbeobachtern in erster Linie als Eingeständnis gewertet wurde, dass der Konzernumbau bei IBM nicht so weit gediehen ist wie behauptet, billigen Analysten IBM nach der Akquisition dennoch zu, Glaubwürdigkeit im Cloud-Markt gewonnen zu haben. “Das gibt ihnen ein Asset, das nach vorne schaut statt nach hinten”, schreibt Anurag Rana von Bloomberg Intelligence. Die Position im Wettbewerb bleibe schwierig, gemeinsam könnten IBM und Red Hat aber überzeugendere Argumente für ihre Produkte anbieten.