Black Box
Eine der größten Zerlegungen der europäischen Wirtschaftsgeschichte ist unter Dach und Fach. Die Siemens-Aktionäre haben die Abspaltung des Energiegeschäfts mit einer überwältigenden Mehrheit gebilligt. Mehr als 99 % des Grundkapitals folgt dem Plan, den Konzern in eine verkleinerte Siemens AG und in eine Siemens Energy AG aufzuteilen.Das Abstimmungsergebnis in der außerordentlichen Hauptversammlung ist auch ein Lohn für die Überzeugungsarbeit, die Konzernchef Joe Kaeser und sein Finanzvorstand Ralf Thomas geleistet haben. Ihre Strategie wird zwar von Anteilseignern wiederholt im Detail kritisiert, doch wenn es darauf ankommt, stößt sie auf praktisch uneingeschränkten Beifall.Die Zustimmungsquote ist aber auch aus einem anderen Grund beeindruckend. Selten zuvor haben Eigentümer so viel Unterstützung gewährt für etwas, von dem sie so wenig wissen. Denn die künftigen Aktionäre von Siemens Energy akzeptieren, die Katze im Sack angeboten zu bekommen. Ein Quartal vor dem Start ist unklar, wofür das neue Unternehmen steht.Die Terra incognita beginnt beim Management. Einen Track Record können weder Vorstandschef noch Finanzvorständin vorweisen, weil sie erst vor wenigen Monaten überfallartig installiert wurden. Das Schicksal neuer Unternehmen, zumal wenn sie sich sofort dem aufmerksamen Markt aussetzen müssen, entscheidet sich aber oft an der Spitze. Auch die Strategie von Siemens Energy lässt sich nicht verorten. Als Gemischtwarenladen hat die Firma sowohl fossile Kraftwerke als auch erneuerbare Windanlagen im Angebot – doch leider sind sie defizitär. Wenn jedoch erst einmal der Service das Geld bringen soll, wie sieht dann die mittelfristige Perspektive aus? Es reicht nicht, Wasserstoff zu preisen.Risiken birgt auch das Verhältnis von Siemens Energy und Siemens AG. Die Interessen können sehr schnell ziemlich weit auseinanderlaufen. Das ist problematisch, weil die Firmen nicht nur über den Namen, sondern auch über zahlreiche Dienstleistungsverträge und ein Aktienpaket aneinandergekettet bleiben.Die hohe Zustimmungsquote spiegelt neben der Erwartung einer technischen Wertsteigerung die Vorfreude der Anleger, künftig selbst entscheiden zu dürfen, ob sie in Industrieautomatisierung oder Kraftwerksbau investieren. Sie können also die Katze im Sack schnell wieder verkaufen. Um dies zu verhindern, muss Siemens auf dem Kapitalmarkttag Anfang September einen überzeugenden Einblick in die Black Box gewähren.