BMW und Daimler machen gemeinsam mobil
Die beiden führenden Hersteller von Oberklassefahrzeugen haben im März 2018 die Bündelung ihrer Mobilitätsdienste beschlossen. Indem die Investitionen geteilt werden, sollen die einzelnen Geschäftsmodelle schneller skaliert werden und den Markt vor Wettbewerbern aus der IT-Welt besetzen. Ziel ist zunächst eine führende Stellung in Europa. Dann wollen BMW und Daimler in den USA und Asien angreifen.Von Isabel Gomez, StuttgartHarmonisch saßen Harald Krüger und Dieter Zetsche am 22. Februar nebeneinander auf einer Bühne unterhalb des Potsdamer Platzes in Berlin. BMW und Daimler hatten eingeladen, um fünf neue, künftig gemeinsam und gleichberechtigt betriebene Mobilitätsdienste vorzustellen. Die Redezeit war gleich verteilt, Krüger und Zetsche warfen sich verbal Bälle zu, scherzten, und fast wirkte es, als säßen da nicht die Vorstandschefs der beiden größten Rivalen im Pkw-Premiumsegment. Alte Strukturen verabschiedetSpätestens seit Audi, BMW und Daimler Mitte 2015 den Kartendienst Here von Nokia übernahmen, ist klar, dass die deutschen Hersteller auf dem Weg zu vernetzten und autonom fahrenden Autos und Mobilitätsdiensten umdenken müssen. Sie können Autos entwickeln und bauen. Aber Software für digitale Angebote zu schreiben, binnen Wochen auf neue Trends und sich ändernde Rahmenbedingungen zu reagieren oder digitale Geschäftsmodelle zu skalieren: Das ist die Kompetenz von IT-Konzernen wie Alphabet oder neuen Mobilitätsanbietern wie Uber oder Didi Chuxing. Um nicht zum Hardware-Lieferanten für Mobilitätsdienste degradiert zu werden, sind radikalere Schritte erforderlich. Die Bündelung ihrer Mobilitätsdienste in fünf Joint Ventures ist daher nicht nur eine Transaktion, die für BMW und Daimler unter Investitionsgesichtspunkten sinnvoll ist und eine schnellere Skalierung ermöglicht. Sie leitete auch endgültig den Abschied von den alten Strukturen der Autoindustrie ein. Nur eine Woche nach der Vorstellung der Now-Firmen in Berlin teilten BMW und Daimler mit, gemeinsam ein autonomes Fahrsystem für Fahrten auf Autobahnen und für Parkfunktionen entwickeln zu wollen. Kooperationsbedarf erkanntDer entspannte gemeinsame Auftritt von Krüger und Zetsche bedeutet nicht, dass der Zusammenschluss das Ergebnis einiger Treffen bei einem Bier zwischen den Finanzvorständen Nicolas Peter und Bodo Uebber ist. Vielmehr zwangen die Umstände beide Konzerne dazu, sich über ihr Angebotsportfolio Gedanken zu machen. Darüber, wie aus einzelnen Services von Carsharing über Mitfahrdienste bis zu Park- und Ladeservices ein profitables Ökosystem entstehen kann. Car2go wurde 2009 gegründet, Drive Now zwei Jahre später. Zwar wuchsen die Dienste seither auf gemeinsam rund vier Millionen Kunden an. Mit der Plattform Moovel, den Mitfahrdiensten und BMWs Lade- und Parkdiensten kommen die Angebote auf 60 Millionen Nutzer und einen Bruttoumsatz von 3 Mrd. Euro. Aber keiner der Dienste macht flächendeckend und nachhaltig Gewinn. In München und Stuttgart reifte daher die Erkenntnis, einen Partner zu benötigen. Über Schatten gesprungenDie Führungsriege von BMW dürfte dabei über einen größeren Schatten gesprungen sein als Daimler, nachdem die Selbstanzeige der Stuttgarter im Zusammenhang mit dem Verdacht auf ein Pkw-Kartell für heftige Misstöne zwischen den beiden Konzernen gesorgt hatte (vgl. BZ vom 8.11.2017). Da hilft eine Portion Pragmatismus, wie ihn BMW-CFO Peter zeigt. “Wir kämpfen in anderen Bereichen schon noch hart gegeneinander und sind Wettbewerber. Aber bei den Mobilitätsdiensten kommt es auf Größe, Skalierung, Geschwindigkeit an. Da sitzt der Gegner nicht in Stuttgart oder München, sondern wo ganz anders”, sagt er.Seit Juni 2016 liefen also Gespräche auf oberster Ebene. Von BMW waren neben Peter der unter anderem für Digital Business Innovation zuständige BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer sowie Motorrad-Chef Markus Schramm, damals noch als Leiter Unternehmensstrategie, eingebunden. Daimler schickte neben Uebber den Vorstandschef der Finanztochter Daimler Financial Services, Klaus Entenmann, sowie den damaligen Strategiechef und jetzigen Einkaufsvorstand von Mercedes, Wilko Stark. Sie mussten zunächst einige Hürden aus dem Weg räumen. Partner rausgekauftDie Aufklärungsarbeit begann im eigenen Konzern. “Bei zwei so starken Häusern, die beide über 100 Jahre Historie im Mobilitätsbereich und eine eigene starke Kultur haben, da dauert es einen Moment, bis man sich zusammenrüttelt”, so Peter. Manchmal sei es “zwei Schritte nach vorne und einen wieder zurück gegangen”. Aber immer sei klar gewesen, dass die Fusion für beide Konzerne richtig sei.Deren frühere Partner im Carsharing sahen das zunächst anders. An Drive Now war der Autovermieter Sixt hälftig beteiligt, der Wettbewerber Europcar hielt 25 % an Car2go Europe. Sie mussten vor der Fusion herausgekauft werden, da sich speziell Sixt dagegen sperrte, mit dem Rivalen gemeinsame Sache zu machen (vgl. BZ vom 30.1.2018). Letztlich übernahm BMW den Sixt-Anteil vor gut einem Jahr für 210 Mill. Euro. Zwei Monate später war auch Daimler bei Europcar so weit (vgl. BZ vom 2.3.2018). Man habe weiterhin gute Geschäftsbeziehungen miteinander, sagen Entenmann und Peter.Die nächste Hürde waren die Kartellbehörden. Offiziell angekündigt wurde die Zusammenlegung im März 2018. Doch erst Ende Dezember gaben die US-Wettbewerbshüter und damit die letzte erforderliche Behörde grünes Licht. “Die Dauer der Freigaben zeigt auch, wie einmalig dieser Zusammenschluss ist”, so Peter. Auflagen gab es nur in der EU wegen der marktbeherrschenden Stellung im Carsharing. “Wir haben mit der EU-Kommission Abhilfemaßnahmen vereinbart. So geben wir anderen Carsharing-Unternehmen Zugang zur multimodalen Mobilitäts-App”, so Entenmann.Erst Wochen vor der Vorstellung konnten BMW und Daimler also die Verträge unterschreiben. Anderthalb Tage hätten die Kolleginnen und Kollegen in den Räumen eines Münchner Notars Unterschriften getätigt, erzählen Entenmann und Peter. Dabei hätten natürlich Anwälte unterstützt, externe Berater waren dagegen nicht involviert. Teams aufgestelltDie richtige Arbeit beginnt freilich erst jetzt, indem über die fünf Firmen hinweg ein integriertes Angebot für Kunden erstellt wird. “Das größte Arbeitspaket besteht aus den Themen, die wir jetzt behandeln: Operations, Prozesse, IT-Systeme, Datenbanken, welche Vereinbarungen gibt es in den einzelnen Verticals und wie können wir über die Verticals hinweg Synergien schaffen”, so Entenmann.3 000 Mitarbeiter hat die Now-Familie. Daraus sollen in den nächsten Jahren 4 000 werden. Die fünf Teams müssten auch untereinander gut zusammenarbeiten. “Daher auch die Entscheidung für den Standort Berlin statt München oder Stuttgart. Das wird der Kultur des Unternehmens helfen”, so Peter. “Das Joint Venture ist ein Technologieunternehmen”, fügt Entenmann hinzu. Entwickler ermöglichten die Geschäftsmodelle erst. “In Berlin haben wir gute Chancen, geeignete Leute dafür zu finden.”Die Anfangsinvestition von gut 1 Mrd. Euro wird bei weitem nicht ausreichen, um das Ziel, einen weltweit führenden Mobilitätsanbieter aufzubauen, zu erreichen. “Wir konnten bis zur Vertragsunterschrift aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht über Details reden und schauen uns nun an, wie die fünf einzelnen Services wachsen wollen”, so Peter. Die ersten Vorschläge der Teams dazu erwarten die Manager in ein paar Wochen. Dann werde auch über die nächsten Investitionen entschieden. Erweiterung geplantZudem fehlt mit China noch eine wichtige Region. Dort bieten BMW und Daimler Carsharing mit anderen Partnern an. Daimler schloss zudem im Oktober eine Kooperation mit ihrem Großaktionär Geely im Bereich Fahrdienste. “Wir können nun auch die Gespräche, wie wir uns in den einzelnen Segmenten in China aufstellen wollen, angehen”, so Entenmann. Wahrscheinlich sei, dass dort andere Schwerpunkte gesetzt würden als in Europa. Zudem sagte Zetsche in Berlin, dass das Mobilitätsangebot langfristig durchaus auch auf die dritte Dimension ausgeweitet werden könnte. Daimler ist am Flugtaxihersteller Volocopter beteiligt. Die Partnerschaft soll auch weiteren Firmen offenstehen. “Es wäre naiv, wenn wir uns jetzt verschließen würden”, so Peter. Weitere Kooperationen würden aber eher situativ entstehen. Partner könnten dabei auch “von der technologischen Seite kommen”, so Entenmann.So gerne Entenmann und Peter über die Transaktion plaudern: Zu finanziellen Zielen gibt es keine konkreten Aussagen. Auch weil die Partner nicht vorhersagen könnten, “welche Regeln für autonomes Fahren wir in sechs Jahren in welcher Region auf der Welt haben werden”, so Peter. Daher sei es zunächst wichtig, “eine Haltung in dieser Mannschaft zu haben und hohe Geschwindigkeit”, so Peter weiter. Er habe den Eindruck, beides sei vorhanden. Zudem hätten sowohl BMW als auch Daimler “auch in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen, von denen wir erst zehn Jahre später wussten, ob sie funktionieren”. Besser gewappnet für die unsichere Zukunft sei man jetzt allemal. Oder wie Entenmann es formuliert: “Die Frage ist doch: Was brauche ich langfristig in einer Metropole, um ein autonomes Fahrzeugsystem zu betreiben? Das sind elektrisch und autonom fahrende Fahrzeuge, Platz zum Parken und Reinigen und Lademöglichkeiten. Wir haben die Infrastruktur, die Fahrzeuge, das Wissen, die Ladetechnologie und Erfahrung in beiden Häusern im Bereich Asset Holding und Flottenmanagement. Wir sind also optimal vorbereitet.”—-Zuletzt erschienen:- Henkel (12.3.)- Linde (8.3.)- Lanxess (5.3.)