Bosch der zwei Geschwindigkeiten
Von Isabel Gomez, zzt. Palo AltoRobert Bosch ist 23 Jahre, als er 1884 bei Edison in New York anheuert. Die Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik in Stuttgart wird er zwei Jahre später, vor genau 130 Jahren, gründen. Die Elektrotechnik ist damals in den USA fortgeschrittener als in Deutschland und der gelernte Mechaniker will erreichen, was erst Dekaden später üblich ist: Diversifizierung in den Spitzentechnologien der damaligen Zeit.Innovation ist seit jeher Kern des Stiftungskonzerns Bosch. Aber die Welt hat sich nie schneller gewandelt als heute. Die Digitalisierung, die die Vernetzung von Produkten und damit neue Geschäftsmodelle ermöglicht, verändert nicht nur alle Branchen, in denen Bosch tätig ist – vom Kerngeschäft als weltweit führender Zulieferer für die Autoindustrie über Haushaltsgeräte und Werkzeug bis hin zu Sicherheits- und Gebäudetechnik. Sondern sie verändert auch Arbeitsformen, macht mehr Forschung notwendig und hat das Potenzial, Unternehmen vom Markt zu fegen, die sich nicht schnell genug anpassen. Um dieses Risiko zu minimieren, ist Bosch dahin gegangen, wo dieser Wandel seinen Ursprung hat: ins Silicon Valley.”Wir wollen die Nummer 1 bei der Vernetzung werden”, sagt Werner Struth, in der Bosch-Geschäftsführung für Nordamerika zuständig. Bosch sei führender Hersteller von Sensoren, habe und investiere in Software-Kompetenz und baue darauf neue Dienstleistungen auf. Als Vorteil gegenüber der Konkurrenz, die in Palo Alto vor allem aus amerikanischen IT-Riesen besteht, sieht Struth die breite und tiefe Konzernaufstellung. Bosch entwickelt und fertigt nicht nur Sensoren, die den Abstand zwischen Fahrzeugen messen, sondern kann das Auto mit der Heizung zu Hause verbinden, damit sich diese automatisch einschaltet. “Das Ziel ist: Jedes neue Produkt aus unserem Haus muss vernetzungsfähig sein”, fasst Mike Mansuetti, President von Bosch Nordamerika den Anspruch der Geschäftsführung in Stuttgart zusammen. Bosch soll das Internet der Dinge (IoT) dominieren. Die Vernetzung, so hofft Bosch, ist der Magnetzünder von morgen und soll die nächsten 130 Jahre Wachstum sichern. Milliardenschweres Geschäft56 000 Wissenschaftler forschen für den weltweit 375 000 Mitarbeiter beschäftigenden Konzern. 15 000 von ihnen sind Softwareentwickler, 3 000 beschäftigen sich mit IoT. Das Marktpotenzial wird bis 2020 auf 250 Mrd. Dollar geschätzt. “Wir erwarten ein zusätzliches Umsatzpotenzial von mehreren Milliarden Euro”, sagt Struth. Die Ideen aus Palo Alto und den anderen Forschungszentren in Robotik, Data Mining, künstlicher Intelligenz oder Batterietechnik finden Eingang in unterschiedliche Projekte. In Stuttgart testet der Konzern etwa Community Based Parking. Dabei übertragen mit Sensoren und Kameras ausgestattete Fahrzeuge Daten über freie Parkplätze an die Bosch-IoT-Cloud, über die andere Fahrzeuge Zugriff auf die Informationen haben. In zwei Jahren soll die Technologie marktreif sein. Smart City in KalifornienDas umfassendste Projekt jedoch ist in der früheren Werft von San Francisco angesiedelt. Dort baut Five Point, ein Spin-off des US-Baukonzerns Lennar, eine Smart City. Auf drei Quadratkilometern sollen mehr als 12 000 Häuser, Einkaufs- und Freizeitangebote, Parks und Infrastruktur entstehen. Vernetzt von Bosch, deren Haushaltsgeräte zudem in allen von Five Point verkauften Häusern stehen werden. Auf 8 Mrd. Dollar taxiert Five-Point-Vizechefin Sheryl McKibben die Kosten. Wie viel Bosch investiert und welche finanziellen Erwartungen damit verbunden sind: keine Auskunft. Aber: Jedes Gebäude, jeder Parkplatz, jede Kamera, jedes Transportmittel wird datensammelnde Sensoren und Software von Bosch enthalten, auf die sich Dienste aufbauen lassen. Bosch hat hier, wenn auch nur in einem Projekt, erreicht, was als Kern künftigen Erfolges gesehen wird: Bosch kontrolliert die Plattform, auf der das Projekt basiert. Geld verdient Bosch mit der IoT-Technik noch nicht. Die 71 Mrd. Euro Umsatz und 3,5 Mrd. Euro Gewinn 2015 stammen vor allem aus der Autosparte. Struth spricht vom “Bosch der zwei Geschwindigkeiten”, wenn er beschreibt, wie Bosch die neue und die alte Welt in Balance halten will, bis die neue Welt Gewinn macht. Also: etablierte, sichere Entwicklungsmethoden im Kerngeschäft. Schnelligkeit, Risikofreude und die Erlaubnis zu scheitern im Zukunftsgeschäft. Letzteres wird durch Investitionen in Start-ups und interne Ideen flankiert. 420 Mill. Dollar verwaltet der in 30 Firmen investierte Bosch Venture Capital Fund. Langer AtemDie Veränderungen durch die Digitalisierung von Verwaltung und Produktion, die hohen Forschungskosten (2015 waren es 9 % des Umsatzes, Tendenz steigend) und der lange Atem, der nötig ist, um mit hochkapitalisierten Konzernen wie Apple oder Google mithalten zu können: Das sei alles zu bewältigen, sagen die Forscher und Manager in Palo Alto, weil Bosch unabhängig von ungeduldigen Investoren sei. Daher spiele auch keine Rolle, welche Technologie sich in der Batteriezelltechnik oder als Kommunikationsstandard vernetzter Maschinen durchsetzen werde. “Was auch immer geschehen wird, wir werden darauf vorbereitet sein”, sagt Struth.