Nachhaltigkeit

Brüssel bringt ESG-Reporting auf die Zielgerade

Der Countdown für die Vollendung der EU-Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung läuft. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) begrüßt jüngste Vereinfachungen, hält aber eine Generalnorm vergleichbar dem "True and Fair View" in der Finanzberichterstattung auch im ESG-Reporting für angeraten.

Brüssel bringt ESG-Reporting auf die Zielgerade

Brüssel bringt ESG-Reporting auf die Zielgerade

EU-Kommission kommt Unternehmen entgegen – Wirtschaftsprüfervereinigung IDW empfiehlt Generalnorm vergleichbar dem „True and Fair View“

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Der Countdown für die Vollendung der EU-Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung läuft. Die EU-Kommission hat im Schlussspurt einige Erleichterungen für Unternehmen vorgeschlagen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) begrüßt das Einlenken, hält aber eine Generalnorm vergleichbar dem „True and Fair View” in der Finanzberichterstattung auch im ESG-Reporting für angeraten.

Die Entwicklung europäischer Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung setzt zum Schlussspurt an. Die EU-Kommission hat einen ersten Satz an European Sustainability Reporting Standards (ESRS) vorgelegt, die festlegen, wie Unternehmen gemäß der CSRD-Richtlinie über ESG-Themen zu informieren haben. Mit der Ausarbeitung des Regelwerks hat Brüssel die European Financial Reporting Advisory Group (Efrag) beauftragt. Deren Vorschläge hat die EU-Kommission zuletzt in einigen zentralen Punkten geändert, um die Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten und den Unternehmen die Anwendung der Standards zu erleichtern.

Die angepassten Entwürfe können noch bis 7. Juli kommentiert werden. Die Kommission will die Rückmeldungen in der Finalisierung berücksichtigen. Mit Annahme der endgültigen Standards wird noch im Juli gerechnet. Die Zeit drängt, sollen die ESRS-Normen doch beginnend ab dem 1. Januar 2024 für dann beginnende Geschäftsjahre europaweit verbindlich in allen Mitgliedsstaaten wirksam werden.

Zahlreiche Vereinfachungen

Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Erleichterungen knüpfen an verschiedenen Punkten an. Zentrales Element ist, dass Unternehmen nur noch im Detail über Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte berichten müssen, sofern diese Informationen für ihr Geschäft wesentlich sind. Damit dürften viele Firmen im Umfang der Offenlegung spürbar entlastet werden. Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission für bestimmte Unternehmensgrößen erweiterte Übergangsfristen vor – etwa in der Angabe der Scope-3-Emissionen. Zahlreiche ursprünglich verpflichtende Angaben dürfen Firmen nun im eigenen Ermessen freiwillig geben.

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) begrüßt die von der EU-Kommission vorgestellten Vereinfachungen in den Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Es komme den Anwendern entgegen, wenn sie Angaben nur noch veröffentlichen müssen, sofern sie für das jeweilige Unternehmen wesentlich sind.  Aus Sicht der Wirtschaftsprüfer sind die Anforderungen aber nach wie vor sehr umfangreich, und Einzelangaben könnten stärker hinsichtlich Größe und Komplexität der Unternehmen differenziert werden.

Dass einige Berichtspflichten im Vergleich zu  den ersten Efrag-Entwürfen gestrichen wurden oder bestimmte Punkte nicht mehr ausdrücklich vorgeschrieben sind, scheint aus Sicht des IDW Unsicherheit bei verschiedenen Stakeholdern hervorzurufen. Daraus könnte die Forderung erwachsen, die Regeln nochmal viel detaillierter zu fassen bzw. den Wesentlichkeitsvorbehalt wieder zurückzunehmen.  Davor warnt IDW-Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann: „Es ist ein Irrglaube, zu erwarten, dass sich jede Unsicherheit in Auslegung und Anwendung von Standards durch detaillierte Regeln klären lässt“,  gibt er zu bedenken. Die Erfahrung lehre, dass auch reines Case Law niemals alle Lebenssachverhalte erfassen könne.

Für einen Ausweg aus dieser Zwickmühle nimmt das IDW Bezug auf das lange in der Praxis bewährte prinzipienorientierte System der Finanzberichterstattung. Sowohl das deutsche Bilanzrecht als auch die  internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS sehen eine Generalnorm vor, wonach die Finanzberichterstattung als Ganzes ein den „tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild“ vermitteln muss. In der internationalen Welt der IFRS gilt der Maßstab des „True and Fair View“.       

Anlehnung an Finanzreporting

Darüber hinaus haben die Unternehmen  den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) zu folgen, den in der  Praxis herausgebildeten Regeln zur Rechnungslegung als „ungeschriebenes Recht“.  Naumann geht im Laufe der Zeit von einer ähnlichen Entwicklung im ESG-Reporting aus. „Wir haben in der Finanzberichterstattung gelernt, dass wir auf neue Lebenssachverhalte auch dort, wo wir keine Regulierung haben, ganz gut mit einer Generalnorm und dem GoB-Verweis leben können“, sagt Naumann.  Er appelliert an EU-Kommission und Efrag, eine Generalnorm auch in die Nachhaltigkeitsberichterstattung  aufzunehmen und in dem Regelwerk darauf Bezug zu nehmen. Das könnte aus seiner Sicht  die Komplexität verringern bzw. eine weitere Verkomplizierung der Regeln verhindern.

„Wir werden in den ersten Jahren in der Nachhaltigkeitsberichterstattung mit einer gewissen Diversity in Practice umgehen müssen, das war in  der Finanzberichterstattung auch so“, sagt Naumann voraus. „Mit einer Generalnorm wäre es möglich, dem Ganzen einen inhaltlichen Kern zu geben.“  Diese Klammer würde seiner Einschätzung  nach auch die Annäherung von EU und dem internationalen Nachhaltigkeitsstandardsetzer ISSB unterstützen. „Eine im Idealfall identische Generalnorm auf beiden Seiten könnte die Harmonisierung der Systeme fördern.“  

Der International Sustainability Standards Board (ISSB) hatte bereits Ende Juni endgültige Standards für das ESG-Reporting vorgelegt. Dabei geht es im IFRS S1 um „Allgemeine Vorschriften für die Angabe von nachhaltigkeitsbezogenen Finanzinformationen“ und im IFRS S2 um „Klimabezogene Angaben“, also die Offenlegung von Informationen über klimabezogene Risiken und Chancen. Der ISSB war Ende 2021 gegründet worden, um „Mindeststandards“ im Sinne einer globalen Basis für die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte zu entwickeln, die dem Informationsbedarf von Investoren entspricht.

Harmonisierung gewünscht

Eine weltweite Anwendung der ISSB-Standards von 2024 an wird angestrebt, ist aber bislang in keinem Land verpflichtend. Nach ersten Stimmen aus der Praxis werden die ESG-Berichtsstandards von ISSB und Efrag aber als durchaus kompatibel angesehen.

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