SERIE: AUTOKONZERNE AUF DEM PRÜFSTAND (4) - IAA

CEO von Ford nähert sich Ende der Schonfrist

Nach hundert Tagen im Amt stehen Entscheidungen über Zukunft in Indien, Investitionen in autonomes Fahren und Modellpolitik bevor

CEO von Ford nähert sich Ende der Schonfrist

Seit Ende Mai steht Jim Hackett an der Spitze des zweitgrößten US-Automobilherstellers Ford. Die ersten hundert Tage sind vorbei, und der neue CEO hat eine ganze Reihe von Projekten auf den Prüfstand gestellt. Die Ergebnisse seiner Untersuchung will Hackett in den nächsten Tagen vorstellen. Die weiteren Perspektiven des Konzerns in Indien und der Fahrplan für die Entwicklung eines autonomen Fahrzeugs dürften im Mittelpunkt stehen.Von Stefan Paravicini, New YorkWenn die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt Mitte September ihre Tore für das Publikum öffnet, hat der neue Ford-Chef Jim Hackett die ersten hundert Tage an der Spitze des zweitgrößten US-Automobilherstellers gerade hinter sich gebracht. Die Schonfrist für Hackett nähert sich ihrem Ende. Die Vorstellung einer für die ersten hundert Tage angekündigten Untersuchung der strategischen Optionen von Ford hat der Ende Mai als Nachfolger von Mark Fields an die Konzernspitze berufene Manager allerdings erst für den Oktober anberaumt. “Eine Menge Arbeit”Erste Hinweise auf die Themen, die bei der Untersuchung im Fokus stehen, wurden bereits in die Öffentlichkeit getragen. Demnach stehen bei Ford sowohl die Investitionen in Schwellenländern als auch die bis 2021 angekündigte Entwicklung eines autonomen Fahrzeugs auf dem Prüfstand. Überprüft werden auch die Modellstrategie und die künftige Rolle der Luxusmarke Lincoln, für die Hacketts Vorgänger ehrgeizige Ziele formuliert hatte.”Wir haben eine Menge Arbeit vor uns”, sagte Finanzvorstand Bob Shanks der Nachrichtenagentur Reuters zuletzt mit Blick auf das Engagement von Ford in Schwellenländern wie Indien. “Alle Optionen liegen auf dem Tisch.” Der amerikanische Branchenprimus General Motors hat erst im Mai angekündigt, den Verkauf von Automobilen auf dem Subkontinent zu stoppen, die Produktion in dem Land für Exporte in der Region aber aufrechtzuerhalten. Ford scheint mit dem neuem CEO ähnlichen Gedanken nachzuhängen.Noch sei keine Entscheidung gefallen, erklärte Shanks im Interview mit Reuters. Ford verfüge in Indien nicht nur über größere Marktanteile als GM, sondern sei sich auch darüber im Klaren, dass das Land nach Einschätzung von Marktbeobachtern in den nächsten Jahren zum drittgrößten Automarkt weltweit aufsteigen dürfte. Wie GM hat auch Ford in Indien allerdings mit geringen Margen zu kämpfen, da sich vor allem Kleinwagen gut verkaufen. Blick auf das Timing”Wir werden einige große Entscheidungen treffen”, stellte Shanks in Aussicht. Nicht alle Weichenstellungen würden allerdings bereits nach dem Ende der hundert Tage dauernden Überprüfung des Status quo verkündet. Als besonders wichtiges Signal mit Blick auf die Zukunft von Ford dürften Marktbeobachter jede Anpassung der Pläne für die Entwicklung eines autonomen Fahrzeugs bewerten, das Fields für das Jahr 2021 angekündigt hat. Hackett prüfe auch dieses Projekt mit Blick auf das Timing der Investitionen, heißt es in US-Medienberichten unter Berufung auf unternehmensnahe Kreise. Sollte der neue CEO hier auf die Bremse treten, müsste er eine gute Erklärung mitliefern, wo genau er die Rolle von Ford in Mobilitätskonzepten der Zukunft sieht.Der Marktforscher IHS geht davon aus, dass autonome Fahrzeuge bis 2035 bereits eine Marktdurchdringung in der Größenordnung von einem Drittel erreichen werden. Fahrdienstvermittler wie Uber oder Lyft könnten ihr Geschäft in Zukunft ganz ohne den Chauffeur als größten Kostenfaktor vorantreiben und den Preis ihrer Mobilitätsangebote nach Einschätzung von Analysten auf 1 Dollar pro gefahrener Meile senken. Das würde ihre Angebote noch einmal attraktiver im Vergleich mit dem Eigentum eines eigenen Fahrzeugs machen, das 95 % der Zeit nicht gebraucht wird und in Städten wie London oder New York über weite Strecken “langsamer als ein rennendes Schwein” unterwegs ist, wie die Analysten von Bank of America Merrill Lynch in einer Studie schreiben.Ford hat zuletzt angedeutet, dass der Konzern mit Blick auf die Zukunft der Mobilität klotzen statt kleckern will und sich noch unter Fields am Start-up Argo AI beteiligt. Bei dem Spezialisten für künstliche Intelligenz und Robotik will der Konzerns insgesamt 1 Mrd. Dollar investieren. An der Beteiligung bei einem Fahrdienstvermittler wie Uber oder Lyft, bei der GM eingestiegen ist, ist Hackett nicht interessiert. Ford statte die Fahrer mit Fahrzeugen aus, erklärte der CEO in einem Interview mit “Fortune”. “Sie würden einen Rabatt verlangen, und ich will unsere Marge nicht zerstören”, erklärte Hackett mit Blick auf die Folgen einer direkten Beteiligung.Die Rolle von Ride-Hailing-Angeboten für Ford stand dennoch mit auf dem Untersuchungsplan für die ersten hundert Tage. Erst vor einem Jahr hat der Konzern mit der damals von Hackett geleiteten Smart-Mobility-Sparte für 65 Mill. Dollar das Start-up Chariot aus San Francisco übernommen, das mittlerweile in mehreren Städten mit Kleinbussen von Ford eine Art öffentlichen Nahverkehr mit Routen und Haltestellen anbietet, die sich in Echtzeit dem Bedarf anpassen. In der Bay Area ist Ford auch an einem populären Bike-Sharing-Programm beteiligt, das im nächsten Jahr mit Chariot verknüpft werden soll. Ebenso interessiert den neuen CEO das wachsende Geschäft mit Parking-Apps wie Spothero und andere Angebote rund um das Curb-Management in Städten.Er sehe seine Aufgabe bei Ford darin, den Konzern für eine Zeit vorzubereiten, in der die meisten Menschen in Städten leben und in vielen Fällen kein Bedarf mehr für ein eigenes Auto haben werden, sagt Hackett. Der erste Teil dieser Zukunftsvision ist längst Realität. Welche Rolle autonome Fahrzeuge in dieser Zukunft für Ford spielen und ob sie wie geplant schon im Jahr 2021 beginnen soll, wird Hackett aber erst nach der IAA erklären.In Sachen Elektrifizierung hat der neue CEO dagegen schon erkennbare Wegmarken gesetzt. Erst vor wenigen Tagen hat Ford verkündet, dass der Konzern mit der chinesischen Anhui Zotye Automobile an einem Joint Venture für die Produktion von Elektroautos arbeitet, dessen Details in Kürze vorgestellt werden sollen. Auch in China lebt bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten und leidet hier zunehmend unter der durch Verbrennungsmotoren verursachten Luftverschmutzung.Neben Indien und autonomen Fahrzeugen stehen bei Ford auch die Modellpolitik insgesamt und die Produktionsstandorte für die einzelnen Programme auf dem Prüfstand. Kurz nach seiner Berufung an die Unternehmensspitze hat Hackett die Verlagerung der Produktion der nächsten Generation des Ford Focus für den US-Markt von Mexiko nach China abgezeichnet, was Einsparungen in Höhe von 500 Mill. Dollar bringen soll. In einem nächsten Schritt könnte der Ford Mondeo statt in Europa künftig in Mexiko vom Band rollen, wo auch der Ford Fusion hergestellt wird. Die Produktion des Ford Fiesta, der bislang an mehreren Standorten zusammengeschweißt wird, könnte ebenso konsolidiert werden. Überprüft wird außerdem der Plan, in Zukunft mindestens ein halbes Dutzend Modelle wie den Ford Mustang, den Ford Explorer und den Lincoln Continental auf einer flexiblen Produktionsplattform zu bauen. Die Pläne für die Luxusmarke Lincoln werden ebenfalls neu begutachtet. Schwacher US-MarktInvestoren von Ford warten derzeit allerdings nicht nur auf die Einsichten von Hackett aus den ersten hundert Tagen, sondern haben vor allem den zuletzt enttäuschenden US-Automarkt im Blick. Gemessen an den erwarteten Ergebnissen der nächsten zwölf Monate wird Ford im Vergleich zum breiten US-Aktienmarkt mit einem Abschlag von gut 60 % bewertet, während der historisch beobachtbare Discount bei durchschnittlich 25 % liegt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt in der Größenordnung von 7 ebenfalls auf einem historischen Tief. Da tröstet es wenig, dass GM zuletzt sogar noch darunter lag.Ford, die als einziger der großen US-Autobauer ohne Staatshilfe durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist, kann nach mehreren Sparrunden allerdings auch einen Abschwung auf dem US-Automarkt verkraften. Fields kündigte als eine seiner letzten Amtshandlungen einen drastischen Abbau von Arbeitsplätzen an, um die Profitabilität zu steigern. Heute würde Ford nach eigener Einschätzung auch dann den Break-even schaffen, wenn der US-Markt auf 11 Millionen Fahrzeuge einbrechen würde. Im vergangenen Jahr stand mit 17,8 Millionen ein Rekord zu Buche. Im laufenden Jahr dürften die Hersteller auf dem größten Automarkt hinter China nach dem bisherigen Verlauf rund 1 Million weniger Fahrzeuge absetzen.—-Bisher erschienen:- VW muss Vertrauensverlust wettmachen (31.8.)