Chefkontrolleurin der Aufspaltung
Nach sechs Monaten Führungskrise geht Thyssenkrupp mit einem wieder vollzähligen Aufsichtsrat und einem komplettierten Top-Management in das Jahr 2019, das die Aufspaltung des angeschlagenen Industriekonzerns bringt. Auf die neue Aufsichtsratschefin Martina Merz wartet eine schwierige Aufgabe.cru Düsseldorf – Die Unternehmensberaterin Martina Merz soll nach der Hauptversammlung von Thyssenkrupp und ihrer Wahl durch das Kontrollgremium als Aufsichtsratsvorsitzende die geplante Neuordnung und Aufspaltung des Industriekonzerns federführend kontrollieren. Das geht aus der Einladung zu dem Aktionärstreffen am 1. Februar 2019 hervor. Zuvor hatten Airbus-Chef Tom Enders, Unilever-Chairman Marijn Dekkers, Perella-Weinberg-Manager Markus Schenck und Daimler-Finanzchef Bodo Uebber den Posten als Aufsichtsratschef aus unterschiedlichen Gründen nicht angenommen.Die 55 Jahre alte frühere Bosch-Managerin Merz genießt das Vertrauen der drei Machtzentren bei Thyssenkrupp: Ihr werden gute Verbindungen zu den im Konzern einflussreichen Gewerkschaftern der IG Metall ebenso nachgesagt wie zum Großaktionär Krupp-Stiftung und dem zweitgrößten Anteilseigner, dem schwedischen Finanzinvestor Cevian. Insofern dürfte ihr die notwendige Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat sicher sein. Kein LeichtgewichtObwohl Merz weniger bekannt ist als die Top-Manager, die für den Posten abgewunken haben, ist die studierte Maschinenbauerin nicht zu unterschätzen: Sie sitzt nicht nur im Aufsichtsrat der Lufthansa, sondern agiert auch als Chairwoman im Board of Directors beim Lastwagenzulieferer SAF Holland und als Mitglied im Verwaltungsrat des schwedischen Lastwagenherstellers Volvo. Bei Thyssenkrupp wird sie allerdings auf eine außergewöhnliche Konstellation großer Aktionäre mit divergierenden Interessen treffen. Während Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather auf die Einheit des Unternehmens bedacht sein muss, strebt Cevian-Mitinhaber Lars Förberg seit langem die Zerschlagung des Konglomerats mit den sechs Sparten für Aufzüge, Automobilkomponenten, Anlagenbau, Stahl, Werkstoffhandel und Kriegsschiffe an – oder zumindest einen Kahlschlag der überdimensionierten Verwaltung und mehr operative Eigenständigkeit für die Töchter. Goldman Sachs als BeraterDer Kompromiss lautet vorerst: Aufspaltung in zwei Unternehmen. Dabei wird nach dem Plan von Konzernchef Guido Kerkhoff, der von Goldman Sachs beraten wird, der Industriegüterkonzern Thyssenkrupp Industrials binnen Jahresfrist vom alten Stahlkonzern Thyssenkrupp Materials abgespalten.Der erste und bedeutende Schritt der Neuordnung ist bereits getan – die Fusion der Stahlsparte mit dem Europageschäft des indischen Konkurrenten Tata Steel braucht nur noch Ende März das grüne Licht der Kartellwächter in Brüssel. Sobald das Closing erfolgt, wird Thyssenkrupp durch die Entkonsolidierung der Stahlsparte samt Pensionslasten die Eigenkapitalquote um die Hälfte auf 15 % steigern und die Schulden um die Hälfte auf 4 Mrd. Euro senken.Weniger begeistert dürften die Aktionäre jedoch über die immensen Kosten sein, die die geplante Aufspaltung verursacht. Bevor die Vorteile eintreten, muss der Konzern zunächst 800 Mill. Euro an Steuern zahlen für stille Reserven, die bei der Umhängung von Tochtergesellschaften sichtbar werden. Hinzu kommen sonstige Kosten der Transaktion in Höhe von 300 Mill. Euro.Neben Goldman Sachs arbeiten auch Deutsche Bank und J.P. Morgan an der Aufspaltung mit, die vor drei Jahren ebenfalls erwogen, aber damals verworfen wurde. Mit der rechtlichen Beratung ist die Kanzlei Linklaters beauftragt worden.Martina Merz wird zunächst Ruhe schaffen müssen. Thyssenkrupp hatte 2018 nicht nur eine schwere Führungskrise zu bewältigen. Erst nach dem überraschenden Rücktritt von Konzernchef Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner im Juli hatte der bisherige Finanzchef Guido Kerkhoff das Ruder übernommen. Auch operativ ist weniger vorangekommen als erhofft. Tatsächlich hat der Konzern ein Horrorjahr hinter sich – mit Kartellrisiken in der Stahlsparte, abrupten Managerwechseln, einer Viertelmilliarde Verlust im Anlagenbau und Qualitätsmängeln in der Autosparte.Das Eigenkapital von nur 3,3 Mrd. Euro ist nach wie vor stark verbesserungswürdig – eine Kapitalerhöhung aber nicht vorgesehen. Das Verhältnis von Eigenkapital zu Schulden – eine wichtige Kennzahl für die Gläubigerbanken – hat sich von 58 % auf 72 % verschlechtert.Im fortgeführten Geschäft ohne Stahlsparte peilt Kerkhoff zwar 2018/19 ein um Sondereffekte bereinigtes Betriebsergebnis von über 1 Mrd. Euro an. Aber die geplante Abspaltung des Industriegütergeschäfts (Thyssenkrupp Industrials) vom Stahlkonzern (Thyssenkrupp Materials) wird “im Rahmen der Herstellung der Transaktionsstrukturen den Jahresüberschuss und den Free Cash-flow im Geschäftsjahr 2018/19 erheblich belasten”. Zweiter CEO gesuchtIm Frühjahr 2019 wird dann entschieden, welchen der beiden neuen Konzerne Kerkhoff führt und wer den anderen führt. Im November wird mit der Bilanz der Spaltungsbericht vorgelegt, bevor Anfang 2020 die Hauptversammlung entscheidet.Die Investoren sind skeptisch. Der Kurs der Thyssenkrupp-Aktie reagierte am Mittwoch auf die Aufsichtsratspersonalien zwar mit einem Plus von zeitweise 1 % auf 15,95 Euro. Der Börsenwert des Konzerns hat sich aber auch so noch seit Juli 2011 halbiert auf 10 Mrd. Euro.—– Personen Seite 12