IAA-SERIE: AUTOINDUSTRIE UNTER STROM (3)

Daimler fährt für die E-Mobilität mehrspurig

Autokonzern will mit Diesel, Hybriden und E-Autos die CO2-Ziele erreichen - Höchste Investitionen pro Fahrzeug nach Tesla - Kein Einstieg in die Zellfertigung

Daimler fährt für die E-Mobilität mehrspurig

Daimler ist bislang weit von den ab 2021 geltenden Grenzwerten für die CO2-Emissionen der eigenen Fahrzeugflotte entfernt. Um hohen Strafzahlungen zu entgehen, setzen die Stuttgarter neben rein batterieelektrischen Autos vor allem auf Plug-in-Hybride. Von Isabel Gomez, StuttgartZwei Jahre lang hat Ola Källenius die Forschung und Entwicklung bei Daimler verantwortet, bevor er im Mai den Vorstandsvorsitz übernahm. Ein großer Teil jener Elektroautos, die der Autohersteller in den kommenden Jahren auf den Markt bringen will, wurden in dieser Zeit entwickelt. Wenn Källenius also verkündet, dass die Neuwagenflotte von Mercedes bis 2039 kein CO2 mehr ausstoßen soll und bis 2030 als Zwischenschritt mehr als 50 % aller verkauften Autos batterieelektrische E-Autos oder Plug-in-Hybride sein sollen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er fest an dieses Ziel glaubt, hoch (vgl. BZ vom 14. Mai).Bis 2022 will Mercedes in jedem Segment, vom Smart bis zum SUV, mindestens eine elektrische Version anbieten. Dazu zählen auch Plug-in-Hybride. Bis 2025 sollen mindestens zehn rein batterieelektrische Autos auf den Markt kommen und der Anteil alternativ angetriebener Autos am Gesamtabsatz von Mercedes zwischen 15 und 25 % liegen. 10 Mrd. Euro will sich Daimler das kosten lassen. Hinzu kommen gut 1 Mrd. Euro für neun weltweit verteilte Batteriefabriken (vgl. BZ vom 6. April).Und das alles, während die Autonachfrage weltweit und vor allem in China sinkt und Rückrufe im Zusammenhang mit dem Abgasskandal den Konzern finanziell belasten. Das mittelfristige Renditeziel von 8 % bis 10 % im Pkw-Geschäft wurde 2018 mit 6 % deutlich verpasst. Kürzlich kappte Daimler auch die Gewinnprognose für 2019 (vgl. BZ vom 25. Juni). Bis 2021 will Källenius den Konzern mit noch nicht näher benannten Gegenmaßnahmen wieder auf Kurs bringen.2018 stieg der durchschnittliche Kohlenstoffdioxid-Ausstoß der Mercedes-Flotte in Europa von 125 Gramm CO2 je Kilometer (g/km) auf 132 g/km. Dass nach dem seit September 2018 geltenden Prüfzyklus WLTP ausführlicher und realitätsnäher gemessen wird als bisher, ist Daimler zufolge ein Grund für den Anstieg. Dazu kommt, dass sich der Absatz vom Diesel zum Benziner verschoben hat und Kunden Geländewagen (SUV) mit hohen Verbräuchen stark nachfragen. Daher geht Daimler davon aus, dass der Flottenwert 2019 nur geringfügig sinkt.Ab 2020 sollen E-Autos und Plug-in-Hybride eine “deutliche Verringerung” der CO2-Werte auslösen. Damit wird die Zeit knapp. Denn bis 2021, so die EU-Vorgabe, muss der Flottenausstoß auf rund 102 g/km sinken. Im Herstellerschnitt sind 95 g/km gefordert, doch die Maßgaben beachten auch die jeweiligen Modellportfolios der Hersteller. Daher sind die Zielwerte für Hersteller großer und schwerer Fahrzeuge weniger streng. Bis 2030 muss der Wert von 2021 dann noch einmal um 37,5 % sinken. Werden die Ziele verfehlt, drohen schon ab 2021 empfindliche Bußgelder. Drei Ansätze als StrategieUm den Bußen vorzubauen, setzt Daimler im Gegensatz zu VW nicht vollständig auf rein batterieelektrische Autos. Bei Daimlers Initiative “Der Weg zum emissionsfreien Fahren” steht die “Weiterentwicklung unserer Fahrzeuge mit modernsten Verbrennungsmotoren mit dem Ziel, Verbrauch und Emissionen deutlich zu senken” an erster Stelle, gefolgt von der Hybridisierung sowie, an dritter Stelle, E-Autos “mit Batterie- und Brennstoffzellenantrieb”.Den Diesel-Antrieb will Daimler als eigenständige Technologie und in Kombination mit einer Batterie so lange wie möglich erhalten. Durch eine Bordnetzspannung von 48 Volt, die Daimler sukzessive einführt, wird die Abgasnachbehandlung bei Hybriden auch im elektrischen Modus warm gehalten und springt so beim Wechsel des Antriebs sofort voll an. Dass die Abgasnachbehandlung im kalten Zustand nicht voll funktioniert, ist ein technischer Grund dafür, dass Herstellerangaben und Messwerte bei Diesel bisher teilweise eklatant auseinander lagen.Die Stuttgarter haben als bisher einziger Anbieter neben Benziner-Hybriden auch Diesel-Motor und Batterie in Kombination im Angebot. 2019 werden nach und nach die neuen Plug-in-Hybrid-Generationen der C-, E- und S-Klasse auf den Markt gebracht. Im kommenden Jahr sollen neben Hybridversionen der SUVs GLC und GLE auch erste Plug-in-Kompaktwagen folgen.Daimler hofft bei den Plug-in-Hybriden vor allem auf Flottenmanager von Firmenkunden, weil sie aufgrund der gekauften Volumina tatsächlich einen Hebel zur Erreichung der CO2-Ziele bilden können. Nicht umsonst sind die als Dienstwagen beliebten C- und E-Klassen bereits als Diesel-Plug-in erhältlich. 2018 entfielen fast 60 % der Neuzulassungen in Deutschland auf Unternehmenskunden. Dass für privat genutzte Firmenwagen nur noch die Hälfte an Steuern fällig wird, wenn es sich um einen Plug-in-Hybrid handelt, kommt der Daimler-Strategie entgegen.Auf der IAA im September wird Daimler den Fokus aber auf die dritte strategische Säule, reine E-Autos, legen. Dabei ist diese Antriebsform für viele Modelle bei den derzeitigen Batteriekosten noch nicht ideal. Daimlers Absatz bleibt derzeit vor allem durch die Nachfrage nach SUV stabil. Sie stoßen als Verbrenner nicht nur mehr CO2 aus als kleinere Wagen, sondern gelten sämtlichen Branchenbeobachtern auch als ungeeignete E-Autos: Die größere und teurere Batterie macht sie ineffizient.Daimlers erstes Fahrzeug der Elektromarke EQ wird dennoch ein SUV. Auch weil er mehr Platz für die Batterie bietet. Der EQC rollt in Bremen vom Band und kann vorbestellt werden. Bei einem Verbrauch von 22,2 Kilowattstunden pro 100 Kilometer liegt die maximale Reichweite nach WLTP bei 410 Kilometern. Der Basispreis für die 408 elektrischen PS liegt bei 71 000 Euro – gut 20 000 Euro mehr als die Verbrennermodelle. Im Gegensatz zu Audis E-Tron und Teslas Model X kann der EQC jedoch durch den Nettopreis von unter 60 000 Euro mit 4 000 Euro Umweltprämie gefördert werden.Auch das zweite EQ-Modell wird mit der elektrischen V-Klasse EQV ein großes Fahrzeug. Sie soll bei der IAA als Serienversion gezeigt werden und über 400 Kilometer Reichweite verfügen. Nach dem EQV fokussiert Daimler dann kleinere Autos. Den Smart, der ab 2020 mit dem Partner Geely in China gebaut wird, wird es künftig nur noch als E-Auto geben. Da die Produktion aus dem Smart-Werk in Hambach abwandert, wird dort Platz für die elektrische A-Klasse EQA, die 2017 als Konzeptfahrzeug vorgestellt wurde. Ab 2021 soll als viertes bisher bekanntes EQ-Modell der große SUV GLB folgen.Die dreigleisige Strategie führt zu überdurchschnittlich hohen Investitionen. Bis 2014 gab Daimler pro Jahr nie mehr als 6 Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung aus. 2018 waren es 9,1 Mrd. Euro, Tendenz steigend. Nach Tesla gibt Daimler je Fahrzeug den höchsten Betrag für Sach- und F&E-Investitionen aus. Wobei im F&E-Aufwand auch Themen wie autonomes Fahren stecken. Flexibilität als SicherheitsnetzDer Anstieg der Investitionen rührt auch daher, dass Daimler ihre Lieferanten- und Produktionsplanung an der Elektrostrategie ausrichtet. Lieferanten werden nun etwa darauf geprüft, ob sie bestimmte Nachhaltigkeitsstandards einhalten. In der Produktion stattet Daimler die Werke mit Hochvolttechnologie aus, um künftig alle Antriebsarten eines Modells auf einer Linie fertigen zu können. Die Module für alle Antriebe sollen künftig vorzugsweise vom selben Zulieferer kommen.Oberstes Ziel ist es, flexibel auf Nachfrageschwankungen bei einzelnen Antriebsformen reagieren zu können. Das ist ein Unterschied zum VW-Konzern, der komplette Werke für E-Autos ausrüstet, und auf Linie mit der Strategie des BMW-Konzerns, die ebenfalls Flexibilität garantieren soll. Zulieferer bezeichnen die Strategie der Premiumhersteller aufgrund der vergleichsweise geringeren Stückzahlen als sinnvoll.Der Hochlauf der EQC-Produktion wird von Analysten und Branchenbeobachtern bisweilen als zu gemächlich bezeichnet. Doch der jüngste Rückruf von E-Trons wegen fehlerhafter Dichtungen zeigt, dass nicht nur Tesla Schwierigkeiten hat, E-Autos in Großserie zu fertigen. “Die Batterie ist fast so komplex wie ein Auto, deshalb sind wir gut beraten, die Produktion langsam hochzufahren”, begründete EQC-Baureihenleiter Michael Kelz den langen Vorlauf gegenüber der “Automobilwoche”. Spekulationen über eine stockende Versorgung mit Batteriezellen widersprach er dabei.Einen Einstieg in die Zellfertigung sieht Daimler im Gegensatz zu VW auf absehbare Zeit nicht. Daimler hat auf diesem Gebiet als einziger deutscher Hersteller ein wenig Erfahrung und betont das auch gerne. In Kamenz produzierte Daimler jahrelang Zellen und stellte die Fertigung wegen Unwirtschaftlichkeit wieder ein. Seither gilt bei Daimler, dass eine Zellfertigung in der derzeit verwendeten Lithium-Ionen-Technologie durch den Vorsprung asiatischer Hersteller nicht sinnvoll sei. Bei einem Technologiesprung könnte Daimler darüber aber noch einmal nachdenken. Die Zellforschung geht daher weiter. Im April stieg Daimler beim US-Unternehmen Sila Nanotechnologies ein, das neue Batteriematerialien erforscht.Ihren Zellbedarf deckt Daimler über Lieferverträge mit den führenden asiatischen Herstellern ab. Ende 2018 schloss der Konzern bis 2030 laufende Verträge über mehr als 20 Mrd. Euro. Zu Batteriepacks mit Leistungselektronik werden die Zellen in den neun bestehenden und entstehenden Batteriefabriken des Konzerns in den jeweiligen Pkw-Produktions- und Absatzmärkten montiert. Bisher erschienen: Pkw-Branche verlässt bekanntes Terrain (21.6.) Volkswagen geht mit Umstieg zum E-Auto auf Risiko (26.6.)