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Das schwere Erbe des nächsten Glencore-Chefs

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 13.12.2019 Ivan Glasenbergs Tage als Glencore-Chef sind gezählt. Der übermächtige Manager und Großaktionär (8,7 %) will schon im nächsten Jahr seinen Nachfolger präsentieren. Und der 62-jährige Südafrikaner...

Das schwere Erbe des nächsten Glencore-Chefs

Von Daniel Zulauf, ZürichIvan Glasenbergs Tage als Glencore-Chef sind gezählt. Der übermächtige Manager und Großaktionär (8,7 %) will schon im nächsten Jahr seinen Nachfolger präsentieren. Und der 62-jährige Südafrikaner ist nicht der Einzige, der vor dem Absprung steht. Glencore stehe vor einem “Generationswechsel”, sagte er vorige Woche auf einer Investorenkonferenz. Eine Erklärung für die beschleunigte personelle Erneuerung des Rohstoffkonzerns drängt sich geradezu auf: Glencore ist umzingelt von Ermittlungsbehörden, die mehr über die mutmaßlich korrupten Geschäftspraktiken in der tieferen Vergangenheit des Unternehmens wissen wollen. Erst unlängst hat auch das britische Serious Fraud Office die Eröffnung einer Strafuntersuchung wegen mutmaßlicher Bestechungszahlungen angekündigt.Was man im Grunde schon lange weiß, können spätestens jetzt auch Glasenbergs loyale Co-Aktionäre wie die Qatar Investment Authority (8,8 %) oder der amerikanische Value-Investmentfonds Harris Associates (3,1 %) nicht länger ignorieren: Glencore braucht ein neues Gesicht. Intern laufen die Wetten auf Glasenbergs Nachfolger schon länger. Im Vordergrund steht der 44-jährige Südafrikaner Gary Nagle. Als Chef des Kohlegeschäfts steht der Mann dort, wo einst auch Glasenberg gestanden hatte, bevor er 2002 den Chefposten übernahm. Der 42-jährige Brite Kenny Ives ist Co-Favorit. Er verantwortet das Nickel-Geschäft und steht sozusagen für die Zukunft von Glencore als zentrale Akteurin im globalen Markt für Akkumulatoren und Batterien. Zahlreiche ErmittlungenWer auch immer zum Zug kommen wird – Glasenbergs Nachfolger tritt ein schweres Erbe an. Die Bewältigung der schwierigen Vergangenheit von Glencore steht erst am Anfang. Vorangetrieben wird sie nicht vom Unternehmen selbst, sondern von Justiz- und Ermittlungsbehörden. Im Dezember 2017 beschuldigte das amerikanische Finanzministerium den früheren Glencore-Geschäftspartner Dan Gertler, die amerikanische Menschenrechts- und Anti-Korruptions-Gesetzgebung verletzt zu haben. Seither steht der Mann auf der Sanktionsliste wegen Zuwiderhandlungen gegen den Global Magnitsky Human Rights Accountability Act.In der Folge musste sich Glencore einen rechtlich ziemlich wagemutigen Weg einfallen lassen, um alte Verpflichtungen gegenüber Gertler trotzdem erfüllen zu können und eine Eskalation zu vermeiden. Beim Kauf von Schürfrechten in den kongolesischen Kobalt- und Kupfervorkommen hatte Glencore vor zehn Jahren Gertlers Dienste in Anspruch genommen. Ohne Bezahlung dieser Dienste hätte der im politischen Milieu des Kongos überaus gut vernetzte Gertler womöglich eine Enteignung der für Glencore strategisch wichtigen Minen erwirken können.Anfang Juli 2018 sah sich Glencore gezwungen, Nachforschungen der US-Justizbehörden wegen möglicher Korruptionsvergehen im Kongo, in Nigeria und in Venezuela zu bestätigen. Die Meldung löste einen Kurseinbruch aus und veranlasste zwei amerikanische Anwaltskanzleien zur Einreichung von zwei Sammelklagen. Im April 2019 machte auch die amerikanische Finanzaufsicht Commodity Futures Trading Commission eine Untersuchung gegen Glencore wegen möglicher Verstöße gegen Geldwäsche- und Anti-Korruptionsbestimmungen publik. Und nun führen also auch die Briten eine Strafuntersuchung. Kobalt-Preiseinbruch belastet”Die rechtlichen Probleme lasten auf dem Aktienkurs von Glencore”, sagt Hunter Hillcoat, Bergbauspezialist bei der südafrikanischen Investmentbank Investec in London. Sinnvoll zu messen seien diese allerdings nicht. Messbar sind allein die ausgewiesenen Leistungswerte. Und diese sehen derzeit wenig vorteilhaft aus. Ein massiver Preiseinbruch bei den von Glencore vornehmlich im Kongo geförderten Kobaltvorkommen bescherte dem Konzern in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen Rückgang der betrieblich erarbeiteten Mittel (Ebitda) um rund ein Drittel auf 5,6 Mrd. Dollar. Die Profitabilität, gemessen am Ebit beziehungsweise am Gewinn, ging sogar um 56 % respektive um 92 % zurück.Derweil notieren die Glencore-Aktien 60 % unter dem beim IPO im Jahr 2011 festgelegten Emissionspreis von 530 britischen Pence. Allein 2019 büßte der Kurs 25 % ein. Andere Bergbaukonzerne wie Anglo American, BHP oder Rio Tinto erfreuen sich heuer an Kursaufschlägen zwischen 11 und 25 %. Schuld an der schlechten Glencore-Performance haben nicht nur die offenen Rechtsfälle. Ein Problem ist auch das Geschäftsportfolio. Der Konzern ist mit einer Jahresproduktionsmenge von knapp 130 Mill. Tonnen (2018) der weltgrößte privatwirtschaftliche Kohleproduzent. Die Einnahmen aus der Kohleförderung steuerten in den ersten sechs Monaten des Jahres 37 % zum Ebitda und sogar 44 % zum Ebit bei. Und der Preis für die von Glencore vornehmlich produzierte Kraftwerkskohle fällt steil. Der Preiseinbruch seit Jahresbeginn beträgt rund ein Drittel. Doch Glasenberg sieht die derzeit fallende operationelle Formkurve seines Unternehmens als zyklische Erscheinung. Im Konsens liegt er mit dieser Ansicht nicht.Der britische Konkurrent Anglo American ist schon seit 2014 mit der Veräußerung von Kraftwerkskohleminen beschäftigt. Er hat die Fördermenge von 80 Mill. Jahrestonnen auf zuletzt 30 Mill. Jahrestonnen reduziert. Auch die australische BHP erwog unlängst den Ausstieg aus der Produktion von thermischer Kohle. Rio Tinto hat diesen Prozess schon 2018 zum Abschluss gebracht – aus guten Gründen.Die Ratingagentur-Fitch geht davon aus, dass sich die chinesische Nachfrage nach australischer Importkohle in den nächsten Jahren deutlich abschwächen wird. Die Verlagerung der Industrie ins Hinterland werde zu einer verstärkten Nachfrage nach einheimischer Kohle führen, heißt es in einem Papier der Fitch-Analysten. Kunden gehen auf AbstandAuch in Indien könnte die Nachfrage schneller sinken als bisher angenommen. Der Subkontinent macht schnelle Fortschritte beim Aufbau einer landesweiten Infrastruktur für Solarenergie. Neue Studien besagen, dass Indien den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 von 22 % auf über 40 % steigern könnte. Glencores wichtigster Abnehmer von thermischer Kohle sitzen derzeit aber weder in China noch in Indien, sondern in Japan. Der Inselstaat strebt gemäß einem im Sommer verabschiedeten Plan der Regierung bis 2050 eine C02-neutrale Energiebilanz an. Auch Japan dürfte bald deutlich weniger Kohle in Australien bestellen. Glasenbergs Nachfolger wird auch die geschäftlichen Perspektiven des Konzerns kritisch überprüfen müssen. Dafür fehlt es dem derzeitigen Chef definitiv an kritischer Distanz.