NOTIERT IN PARIS

Depardieu und die französische Kinoindustrie

Börsen-Zeitung, 8.1.2013 Seit Wochen schon halten die Auswanderungspläne von Schauspielstar Gérard Depardieu Frankreich in Atem. Der 64-Jährige hatte im Dezember angekündigt, seinen Wohnsitz wegen des von der sozialistischen Regierung geplanten...

Depardieu und die französische Kinoindustrie

Seit Wochen schon halten die Auswanderungspläne von Schauspielstar Gérard Depardieu Frankreich in Atem. Der 64-Jährige hatte im Dezember angekündigt, seinen Wohnsitz wegen des von der sozialistischen Regierung geplanten Spitzensteuersatzes von 75 % auf Einkommen ab 1 Mill. Euro jährlich nach Belgien verlegen zu wollen. “Erbärmlich”, sagte Premierminister Jean-Marc Ayrault dazu. Daraufhin hatte Depardieu angekündigt, er werde seinen französischen Pass zurückgeben. Einen neuen hat er bereits, einen russischen, den er sich persönlich bei Staatspräsident Wladimir Putin abholte. *Die Affäre um Depardieu hat in Frankreich auch eine Diskussion über die Filmindustrie ausgelöst. Angestoßen wurde sie von Vincent Maraval, einem Produzenten und Mitbegründer des Filmverleihs Wild Bunch. “Frankreichs Filmschauspieler verdienen zu viel”, lautete die Überschrift eines Gastbeitrags, den er in der Tageszeitung “Le Monde” veröffentlichte. Damit versetzte der 44-Jährige Frankreichs Kinoindustrie in Aufruhr. Denn er kritisiert nicht nur die hohen Gagen, die einige Stars wie eben Depardieu oder Dany Boon kassieren, sondern das gesamte System der französischen Filmindustrie. Sie beruhe immer mehr auf Subventionen, bemängelt er. “Das berühmte System der Hilfen für das französische Kino nützt nur ein paar Parvenüs. Aber das würde nie einen solchen aufsehenerregenden Skandal auslösen wie die Steuerflucht von Gérard Depardieu.” Dabei hätten alle großen französischen Filme im letzten Jahr Verluste in Millionenhöhe eingefahren.Die Reaktionen auf Maravals Beitrag ließen nicht lange auf sich warten. So verteidigte sich Schauspieler und Produzent Dany Boon, international bekannt geworden durch seinen Film “Willkommen bei den Sch’tis”, er habe für seinen Auftritt im letzten Asterix-Streifen nicht wie behauptet 1 Mill. Euro, sondern nur 600 000 Euro bekommen. Doch andere Schauspieler und Regisseure stimmen Maraval zu. “Es gibt ein echtes Problem in Frankreich. Einige Schauspieler verdienen zu viel, aber 99 % zu wenig”, meint beispielsweise François Berléand, der in dem Film “Die Chorknaben” mitspielte. Regisseur Michel Hazanavicius, dessen Werk “The Artist” 2012 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, hält die von Maraval angestoßene Debatte ebenfalls für gerechtfertigt: “Er spricht von existierenden Problemen.”In der Tat sind die meisten französischen Filme, deren Produktionskosten im Schnitt 5,4 Mill. Euro betragen, nicht rentabel. Der Wirtschaftssender BFM Business hat ausgerechnet, dass von 129 französischen Filmen, die 2012 ins Kino kamen, gerade einmal 14 % Gewinn einspielten. Im internationalen Wettbewerb dagegen verbuchte die französische Filmindustrie 2012 ein gutes Jahr, da sie die Zuschauerzahlen im Ausland von 70 Millionen im Jahr 2011 auf 130 Millionen steigern konnte. Zu verdanken ist das vor allem dem Erfolg von “Ziemlich beste Freunde”, “Taken 2” und “The Artist”.Maravals Kritik löst bei einigen Vertretern der Filmindustrie Sorgen aus. Wie solle man nach einem solchen Artikel die französische Kinoindustrie in Brüssel verteidigen, geben sie zu bedenken. Denn bisher hat Brüssel das protektionistische französische System geduldet. Doch ob es ewig so weitergehen wird, weiß niemand. Finanziert werden französische Kinofilme zum einen durch eine Steuer von 11 %, die auf jede Kinoeintrittskarte erhoben wird, zum anderen durch regionale Subventionen in Höhe von 1,7 % und durch Investitionen, zu denen französische Fernsehsender verpflichtet sind. Dazu kommen Finanzierungsgesellschaften, die ihre Investitionen steuerlich absetzen können, die Einnahmen an den Kinokassen und aus den Verkauf von Videos.Kulturministerin Aurélie Filipetti verteidigte das bestehende System gegen Kritik. Doch sie erklärte auch, dass angesichts der Tatsache, dass immer mehr Filme im Internet angeschaut würden, auch über neue Regeln nachgedacht werden müsse. Die hohen Gehälter dagegen, findet sie, würden durch Steuergesetze geregelt. Denn die Regierung zeigt sich entschlossen, die 75 %-Steuer nach dem Veto des Verfassungsrates nun überarbeiten zu wollen.