Der Kampf um das Kapital

Siemens Healthineers sucht richtigen Mix aus Eigen- und Fremdfinanzierung für den Kauf von Varian - Streubesitz contra Siemens AG

Der Kampf um das Kapital

Kapitalerhöhungen sind eine heikle Angelegenheit. Das Management will Geld, und die Aktionäre sollen zahlen – müssen aber überzeugt sein, dass sich dies auch lohnt. Besonders schwierig kann es werden, wenn die Interessen von Hauptaktionär und Streubesitz auseinandergehen. Dies ist zwar noch keine ausgemachte Sache im Fall von Siemens Healthineers, aber gewisse Bruchlinien zeichnen sich bei der Finanzierung des Kaufs von Varian ab.mic München – Im Grundsatz ist die Sache klar: Das Medizintechnikunternehmen Healthineers will den größten Zukauf der Siemens-Geschichte stemmen. Nach der Freigabe der Übernahme von Varian Medical Systems durch das Committee on Foreign Investment in the United States zu Wochenbeginn, das keine Bedenken bezüglich der nationalen Sicherheit hat, ist ein Scheitern der Übernahme kaum mehr vorstellbar. Die erforderlichen 16,4 Mrd. Dollar für den US-Krebsspezialisten soll ein Finanzierungsmix liefern.Einerseits wird das Eigenkapital aufgestockt. Eine Kapitalerhöhung über 2,7 Mrd. Euro zeichneten die Investoren im September. Eine zweite Emission ist möglich, sobald die Aktionäre auf der Hauptversammlung am 12. Februar einen neuen Kapitalrahmen genehmigt haben.Andererseits soll der Kaufpreis mit Fremdkapital finanziert werden. Die Höhe der Kredite leitet sich daraus ab, wie viel Eigenkapital Siemens Healthineers letztlich einsammelt. Den Rest müssen eben die Darlehen liefern. Sie sollen von der Siemens AG extern aufgenommen und an Healthineers weitergereicht werden.Doch was ist die richtige Mischung? Bereits bei der Verkündung der Transaktion am 2. August setzten Siemens Healthineers und die Muttergesellschaft etwas unterschiedliche Akzente. Die Siemens AG, die zu diesem Zeitpunkt 85 % der Anteile hielt, zurrte die Größenordnung der Kapitalerhöhung indirekt fest, indem sie ein Absinken der Beteiligung durch die Nicht-Teilnahme an der Emission auf “etwa 72 %” ankündigte. Damit ist klar, eine umfangreiche zweite Kapitalerhöhung ist notwendig, schließlich brachte die platzierte 2,7 Mrd.-Euro-Tranche – immerhin 70 % des Volumens beim Börsengang 2018 – den Anteil erst auf 79 %. Günstige KrediteSiemens Healthineers dagegen bewahrte sich in der damaligen eigenen Pressemitteilung Flexibilität. “Bis zu etwa 50 %” des Brückenkredits der Mutter solle durch Eigenkapital ersetzt werden. Dieser Kreditrahmen betrug im August 15,2 Mrd. Euro und schrumpfte per Ende September wegen der Kapitalerhöhung auf 12,5 Mrd. Euro. “Bis zu” lässt viel Spielraum, den Anteil des Fremdkapitals stark hochzufahren.Dies weckt Begehrlichkeiten. Denn aus der Sicht der Minderheitsaktionäre sind Darlehen attraktiv. Die Notenbanken fluten den Markt, entsprechend günstig sind die Konditionen. Siemens musste im Juni für Milliarden-Euro-Anleihen den Gläubigern nur einen Kupon von 0,125 % bis 0,375 % bieten, für den dreijährigen Euro-Bond akzeptierten die Investoren sogar eine negative Rendite. Dagegen ist Eigenkapital viel teurer. Healthineers-Aktionäre zahlen für eine Kapitalerhöhung den Preis einer Verwässerung ihres Gewinns. Je stärker das Grundkapital aufgestockt wird, desto stärker belastet dies erst einmal das Ergebnis pro Aktie.Exemplarisch hat dies die Deutsche Bank durchgerechnet. Unter der Federführung ihres Analysten Falko Friedrichs stellte sie Anfang Oktober fest: “Ausgehend von den Kommentaren, die das Unternehmen kürzlich auf Konferenzen abgegeben hat, scheint es eine Chance zu geben, dass Siemens Healthineers auf eine zweite Kapitalerhöhung verzichtet.” Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf den Gewinn pro Aktie. Er würde im Geschäftsjahr 2021/22 um 10 % statt nur um 3 % steigen, und im Folgejahr wären 12 % Plus drin statt 5 %, ermittelten die Analysten.Derlei Hoffnungen hat das Management der Siemens AG anschließend einen Riegel vorgeschoben. Finanzvorstand Ralf Thomas nutzte die Bilanzpressekonferenz Mitte November zum Erwartungsmanagement nach der ersten Kapitalerhöhung. “Das Siemens-Healthineers-Management hat avisiert, dass es eine zweite geben wird”, stellte er in der Frage-Antwort-Runde mit Journalisten fest. Dies sei auch nachvollziehbar aus den Ankündigungen bei Vertragsunterzeichnung. Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser hatte schon zuvor in seiner Rede erklärt, die Kapitalerhöhung sei der erste Schritt: “Ein weiterer soll ja folgen.” Aktienkurs ist sehr niedrigTatsächlich hatte Finanzvorstand Jochen Schmitz wenige Tage zuvor in der Bilanzpressekonferenz von Siemens Healthineers erklärt: “Wir haben nicht gesagt, dass wir keine machen.” Seine Formulierung ist allerdings nicht so direkt wie jene von Kaeser und Thomas. Auf der Hauptversammlung im Februar werde man sich ein weiteres genehmigtes Kapital autorisieren lassen, “mit dem wir dann, wenn wir das meinen und wann wir das meinen, weitere Eigenkapitalmaßnahmen starten könnten”. Die Aussage, bis zu 50 % würden per Eigenkapital beglichen, habe sich nicht verändert. Wichtig ist aus der Sicht von Schmitz zugleich: Siemens Healthineers sei nicht unter Zeitdruck, die Brückenfinanzierung könnte einen ganzen Zeitraum tragen. Man gehe ganz ruhig und bedacht an die nächsten Schritte.Dies hat eine gewisse Logik. Denn zur aktuellen Bewertung ist die Verwässerung viel höher als noch bei der Ankündigung der Transaktion – dementsprechend könnte sich ein Warten auf einen höheren Aktienkurs im Jahresverlauf 2021 auszahlen. Seit Anfang August ist der Kurs der Siemens-Healthineers-Aktie um 15 % auf 37,55 Euro gesunken, während der MDax um 11 % und der Dax um 8 % gestiegen sind. Dies zeigt: Der Markt beurteilt den Varian-Deal zurückhaltend, und zwar auch wegen den Kapitalerhöhungen.Letztlich treffen Kursrückgang und Verwässerung ebenso den Mehrheitsaktionär Siemens AG. Die Muttergesellschaft muss aber auch andere Faktoren im Blick haben. Schließlich hatte das Management immer kommuniziert, die Medizintechnik-Sparte deswegen an die Börse zu führen, um Transaktionen mit einem hohen Multiple und mit einem großen Volumen per Kapitalerhöhung mitzufinanzieren. Wozu dient eine Notierung noch, wenn man im Ernstfall doch Fremdkapital attraktiver findet?Vor allem aber: Thomas – der auch als Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Healthineers fungiert – will keinesfalls das aktuelle Rating von Siemens aufgeben. Schließlich bestimmt die Einstufung der Agenturen nicht nur die Konditionen von Anleihen. Sie entscheidet auch darüber, ob ein Konzern überhaupt eine Refinanzierung stemmen kann, wenn die Märkte wie in der Finanzkrise in Richtung Illiquidität marschieren. Auch nach dem Aufflammen der Pandemie im Frühjahr war die Geldaufnahme in Teilmärkten gestört. Negativer RatingausblickMoody’s stuft den Konzern mit “A1” ein, Standard & Poor’s mit “A+”. Jedoch haben beide Agenturen den Ausblick nach Ankündigung der Varian-Übernahme auf “negativ” gesetzt. Dies spiegele unter anderem die geschwächten Kredit-Kennzahlen, kommentierte Moody’s die eigene Entscheidung. Damit ist klar: Eine höhere Fremdverschuldung als mit den Agenturen vereinbart könnte zu einer Herabstufung führen.Bisherige Kennzahlen musste Siemens schon streichen, selbst wenn der Healthineers-Anteil wie vom Vorstand geplant auf 72 % abgeschmolzen wird. So wurde das Ziel, die Nettoverschuldung im Kerngeschäft theoretisch durch den operativen Gewinn (Ebitda) eines Jahres zurückzahlen zu können, vorerst gestrichen. Der Quotient industrielle Nettoverschuldung zu Ebitda wird künftig höher ausfallen. “Wir haben dies extensiv mit den Ratingagenturen besprochen”, erklärte Thomas auf der Bilanzpressekonferenz.Diskussionsbedarf wird es nun auch mit den Aktionären geben. Die Mehrheit hat die Siemens AG auf der kommenden Healthineers-Hauptversammlung sicher. Dies schließt aber Debatten nicht aus.