NOTIERT IN PARIS

Der Kampf um die Kunden

Die Schlacht um den Lebensmitteleinzelhandel in Paris gewinnt an Fahrt. Erst kündigte der bisher nicht mit Geschäften in der Hauptstadt vertretene Supermarktbetreiber Leclerc an, er werde dort noch diesen Monat einen Bringdienst lancieren. Dann ließ...

Der Kampf um die Kunden

Die Schlacht um den Lebensmitteleinzelhandel in Paris gewinnt an Fahrt. Erst kündigte der bisher nicht mit Geschäften in der Hauptstadt vertretene Supermarktbetreiber Leclerc an, er werde dort noch diesen Monat einen Bringdienst lancieren. Dann ließ die zur Casino-Gruppe gehörende Kette Franprix wissen, einer ihrer Supermärkte im Pariser Hallenviertel werde künftig die ganze Nacht über geöffnet bleiben, um auf die Bedürfnisse städtischer Verbraucher mit ihren oft ungewöhnlichen Einkaufszeiten zu reagieren.Franprix hat die nächtlichen Öffnungszeiten in Paris bereits drei Wochen lang getestet und plant schon einen zweiten rund um die Uhr geöffneten Supermarkt. Von 21 Uhr bis 6 Uhr morgens wird der von Sicherheitskräften bewachte Laden mit automatischen Kassen laufen. Die Kette will zudem in einem Supermarkt im 16. Arrondissement die Verlängerung der Öffnungszeiten bis Mitternacht testen.Sowohl Leclerc als auch Franprix (Casino) reagieren auf die wachsende Bedrohung durch Amazon. Der Internetgigant schielt mit seinem Lebensmittelbringdienst auch auf Frankreich und diskutiert gerade mit dem Einzelhändler Système U über eine mögliche Allianz. Die Ankündigungen von Leclerc und Franprix zeigen aber auch, wie sehr das Konzept der städtischen Nachbarschaftssupermärkte derzeit im Fokus französischer Einzelhandelskonzerne steht. Sie konzentrieren sich dabei vor allem auf Paris. Immerhin wiegt das Geschäft mit Lebensmitteln dort nach Angaben von Casino-Chef Jean-Charles Naouri 7 Mrd. Euro.Verbraucher in der französischen Hauptstadt können sich darüber freuen, dass Carrefour, Casino und Co. dort immer mehr kleine Supermärkte betreiben, die abends erst um 22 Uhr schließen und auch Sonntagvormittag geöffnet haben. Doch die “Araber von der Ecke”, wie die kleinen, unabhängigen Lebensmittelläden in Frankreich genannt werden, haben das Nachsehen. Sie geraten durch die steigende Konkurrenz immer stärker unter Druck. Seit die großen Einzelhändler verstärkt auf das städtische Nachbarschaftskonzept setzen, ist ihr Umsatz stark zurückgegangen. Die meisten dieser unabhängigen Lebensmittelhändler stammen aus Marokko oder Tunesien, sind in der Regel Berber, heißen Walid, Mohammed, Ali oder Samir. Doch in Frankreich werden sie einfach nur der “Araber von der Ecke” genannt. Jahrzehntelang haben sie mit ihren kleinen, bis nachts geöffneten Läden das Bild französischer Städte geprägt. Der Araber von der Ecke ist das Pendant zum rheinischen Büdchen und den Tankstellenshops in deutschen Städten. Er ist die Anlaufstelle für alle, die sonntags aus den Ferien zurückkommen und vor einem leeren Kühlschrank stehen, für diejenigen, die nach Überstunden spät von der Arbeit kommen und keinen Kaffee mehr im Haus haben. Und für diejenigen, denen an Feiertagen der Zucker ausgeht oder bei einer Party die Getränke. Noch. Denn seit Carrefour und Casino mit ihren City-Formaten französische Innenstädte überziehen, müssen immer mehr Araber von der Ecke ihr Geschäft aufgeben. Zwischen 2005 und 2015 ist die Zahl der kleinen, innerstädtischen Supermärkte der großen Einzelhandelsketten in Frankreich um rund 40 % gestiegen, in Paris waren es sogar 111 %. Dabei dürfte es nicht bleiben, denn die kleinen Supermärkte verbuchten nach Angaben der Unternehmensberatung Nielsen 2017 mit einem Plus von 4 % nach Drive-Läden erneut den größten Zuwachs. Der in die roten Zahlen gerutschte Einzelhändler Carrefour will nun die Flächen seiner riesigen Hypermarchés in den Vororten verkleinern, einige Supermärkte verkaufen, gleichzeitig aber in den nächsten fünf Jahren auch 2 000 Läden mit gestrafftem Angebot in größeren Städten eröffnen.Dagegen nehmen die Araber von der Ecke mit ihren kleinen Läden stetig ab. In den sechziger Jahren habe es in Frankreich noch 140 000 kleine Lebensmittelgeschäfte gegeben, berichtet Alexis Roux de Bézieux, ein ehemaliger Unternehmensberater, der ein Buch über die Geschichte und die soziale Rolle der Araber von der Ecke in Frankreich geschrieben hat. Inzwischen gibt es laut Roux de Bézieux nur noch etwa 35 000 kleine Lebensmittelläden in Frankreich, davon ist lediglich die Hälfte unabhängig.