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Der Lufthansa fliegt die Zeit davon

Börsen-Zeitung, 8.8.2020 Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) scheint den Überschnallknall von 3,6 Mrd. Euro, mit dem die Lufthansa im ersten Halbjahr in die roten Zahlen gedüst ist, nicht hören zu wollen. Und auch die anderen...

Der Lufthansa fliegt die Zeit davon

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) scheint den Überschnallknall von 3,6 Mrd. Euro, mit dem die Lufthansa im ersten Halbjahr in die roten Zahlen gedüst ist, nicht hören zu wollen. Und auch die anderen Gewerkschaften – Ufo beim Kabinenpersonal und Verdi bei den Beschäftigten am Boden – stellen sich taub, wenn es um den erforderlichen Stellenabbau bei der Lufthansa in Pandemie-Zeiten geht. Das staatliche Rettungspaket von insgesamt 9 Mrd. Euro, mit dem die Airline vor wenigen Wochen vor der unausweichlich drohenden Bruchlandung bewahrt wurde, wirkt bei den Gewerkschaftsfunktionären offensichtlich wie jener in Flugzeugen so beliebte Noise-Reduction-Kopfhörer, wenn es um Einsparungen bei den Personalkosten geht. Und die Bundesregierung hatte der Crew um Konzernchef Carsten Spohr zwar versichert, sich nicht ins operative Geschäft einzumischen, doch aus dem Lager der Koalitionspartner ertönt dessen ungeachtet die Erwartung, mit der Staatsbeteiligung “möglichst allen Beschäftigten eine Perspektive im Unternehmen zu ermöglichen”, wie sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Bernd Westphal zitieren ließ. 22 000 Stellen zu viel22 000 Vollzeitstellen hat die weltweit knapp 130 000 Menschen beschäftigende Lufthansa nach Auffassung ihres Managements zu viel an Bord, darunter derzeit 800 Piloten, 2 600 Flugbegleiter und 1 000 Mitarbeiter in der Konzernzentrale. Doch die Verhandlungen mit der Pilotengewerkschaft ziehen eine Schleife nach der anderen, wie einst die auf Landung wartenden Flieger über Frankfurt in Vor-Corona-Zeiten. Dass zuletzt nur ein Bruchteil der 760 Flugzeuge benötigt wurde und der Konzernumsatz im zweiten Quartal von 9,6 auf 1,9 Mrd. Euro geradezu im Sturzflug abgeschmiert ist – who cares außer Konzernchef Spohr? Die freien Aktionäre jedenfalls müssen sich auf weitere Turbulenzen gefasst machen, wenn dem grundsätzlichen Auftrieb aus dem Restrukturierungsprogramm “ReNew” die Sicherung der Gruppeninteressen der Belegschaft in die Quere kommt. WunschdenkenSchon jetzt wird erkennbar, dass der Einstieg des Staates bei der Lufthansa ein Fehler war. Denn der Staat hält sich beim überlebensnotwendigen Restrukturierungsprogramm vornehm zurück (“Keine Einmischung ins operative Geschäft”), macht aber durch seine Kapitalbeteiligung die Lufthansa noch mehr als bisher zu einem “politischen” Unternehmen, dessen Schicksal in Berliner Hinterzimmern nicht nur diskutiert, sondern mitentschieden wird. Ein Unternehmen, das jeden Monat rund 500 Mill. Euro verbrennt, wie die Lufthansa aktuell, ist seinen Geldgebern ausgeliefert. Der Tag wird kommen, an dem Konzernchef Spohr bedauert, dass er die Lufthansa nicht im Wege des Schutzschirmverfahrens durch die Krise geführt, radikal geschrumpft und saniert hat, sondern den Weg der staatlichen Beteiligung gehen musste. Denn die Hoffnung der Branche, bis zum Jahr 2024 wieder die Flughöhe des Vorkrisenniveaus erreicht zu haben, ist reines Wunschdenken. Der Luftverkehrsmarkt wird sich durch die längst nicht ausgestandene Pandemie grundlegend verändern: bei Geschäftsreisen, bei Urlaubsreisen und in der Fracht. Mit anderen Worten: Die Lufthansa wird ein Sanierungs- und Restrukturierungsfall bleiben mit einem von der politischen Stimmung abhängigen Kurs. Was das heißen kann, wenn der Staat mitfliegt, hat Carsten Spohr als Assistent des einstigen Lufthansa-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Weber noch erfahren dürfen. Nicht ohne Grund war der Einstieg des Bundes als Großaktionär bei Spohr auf wenig Begeisterung gestoßen.Da die relevanten Wettbewerber, von einigen Ausnahmen wie Ryanair abgesehen, ihre Tanks ebenfalls mit Staatsgeldern gefüllt bekommen, werden Überkapazitäten die Branche auch in den nächsten Jahren prägen. Bisher war es der Lufthansa immer wieder gelungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Staatscarriern zu behaupten und gegen allzu dreiste Subventionierung Stimmung zu machen und die EU-Kommission auf den Plan zu rufen. Aber jetzt? Wer im Glashaus sitzt, muss sich das Steinewerfen verkneifen. Und wenn der Staat bleibt?Bei diesen Rahmenbedingungen dürfte es für die Lufthansa sehr schwer werden, die stille Einlage von 4,7 Mrd. Euro zuzüglich Zinsen bis Jahresende 2023 wie vereinbart an den Bund zurückzuzahlen, um den Staat beziehungsweise den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) als Großaktionär wieder loszuwerden. Für die Lufthansa sind dies auch deshalb keine schönen Aussichten, weil nach der nächsten Bundestagswahl in Berlin eine andere Farbenlehre herrschen und eine schwarz-grüne Koalition regieren dürfte. Sie würde wohl insbesondere im Verkehrssektor die Weichen anders stellen und staatliche Finanzhilfen an klimafreundliche Investitionen knüpfen. Da hat traditionell ein anderer Staatskonzern die Nase vorn: Obwohl die Deutsche Bahn im ersten Halbjahr mit 3,7 Mrd. Euro einen ähnlich großen Verlust wie die Lufthansa eingefahren hat, ist dort nicht Restrukturierung und Kapazitätsabbau angesagt, sondern im Gegenteil ein zig Milliarden schweres Investitionsprogramm in Infrastruktur, Menschen und Material. Piloten pokern hochWenn es Lufthansa-Chef Spohr nicht gelingt, alsbald in schwarze Zahlen zu fliegen oder werthaltige Konzernteile wie Lufthansa Technik zu versilbern, um den Staat als Aktionär rechtzeitig wieder loszuwerden, können die Zeiten der “Nichteinmischung” der Politik ins operative Geschäft schnell vorbei sein. Das sollten vor allem jene Gewerkschaften bedenken, die trotz Krise auf Zeit spielen und die Restrukturierung verzögern. Denn dass sich später ein grüner Wirtschafts- oder Verkehrsminister für die Besitzstände der Lufthansa-Piloten einsetzen wird, ist eher nicht zu erwarten. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Von Claus DöringJe länger die Gewerkschaften die Restrukturierung der Lufthansa verzögern, desto stärker treiben sie die Fluggesellschaft in die Arme der Politik. ——