"Der Tiefpunkt liegt hinter uns"
Herr Toepfer, arbeiten Sie seit Juni weniger?(Lacht) Nein, das kann ich nicht sagen, aber ich weiß natürlich, worauf Sie anspielen. Ich bin bereit, auf 15 % meines Gehalts zu verzichten, ohne weniger zu arbeiten. Können Sie kurz das Modell erklären, auf das sich Covestro mit der Arbeitnehmervertretung verständigt hat?Wir haben uns mit der Arbeitnehmerseite darauf geeinigt, dass die Tarifangestellten für sechs Monate bis Ende November auf einen Teil ihres Gehalts verzichten bei gleichzeitiger Arbeitszeitverkürzung. Es geht dabei um etwas weniger als 10 %. Wir haben dieses Modell gestaffelt und nach oben erhöht. Der Vorstand leistet mit 15 % den höchsten Beitrag. Das Modell haben wir auch auf alle leitenden Angestellten und global ausgerollt. Alle haben sich mit überwältigender Mehrheit beteiligt. Das zeigt: Erstens sind die Leute bereit, einen persönlichen Beitrag zu leisten in einer schwierigen Phase, und zweitens glauben alle daran, dass es auch wieder besser wird. Warum hat Covestro nicht auf das Instrument Kurzarbeit zurückgegriffen?Unsere Anlagen lassen sich nicht einfach abschalten, sondern wir fahren die Auslastung zurück. Von daher passt Kurzarbeit bei uns nicht so gut. Außerdem finden wir es gut, wenn wir eine Lösung finden, die uns von externer Unterstützung unabhängig macht. Aber Sie können doch auch innerhalb der Kurzarbeit beispielsweise eine Arbeitszeitreduzierung um 10 % vereinbaren, oder?Das stimmt, aber das wäre sehr ungleich über das gesamte Unternehmen verteilt gewesen. Unser Ziel war eine Lösung, an der alle Arbeitnehmer gleichermaßen teilnehmen. Covestro hat im zweiten Quartal den Tiefpunkt erreicht und in der Folge einen Verlust geschrieben. Lässt sich abschätzen, wann Sie wieder auf das Vorkrisenniveau zurückkehren?Es stimmt, wir haben einen Verlust geschrieben. Nichtsdestotrotz haben wir im zweiten Quartal ein Ebitda (operatives Ergebnis vor Abschreibungen, Anm. d. Red.) von 125 Mill. Euro erreicht und damit die Markterwartung deutlich übertroffen. Wichtig ist aber auch, dass wir einen positiven Free Operating Cash-flow erwirtschaftet haben – trotz der massiven Einschläge. Wenn man in das Quartal hineinzoomt, sieht man, dass wir in den Monaten April und Mai Volumenrückgänge von um die 30 % hatten. Danach haben wir sequenzielle Verbesserungen gesehen. Das positive Momentum setzt sich bisher auch im dritten Quartal fort. Der Juli wird besser als der Juni ausfallen und – nach allem, was wir sehen können – nur noch leicht unter Vorjahr liegen. Schaut man in die Segmente hinein, scheint sich Polycarbonates besser zu entwickeln als das Geschäft mit Kunststoffschäumen. Woran liegt das?Die Entwicklung, die ich gerade beschrieben habe, gilt grundsätzlich für alle Segmente. Der Tiefpunkt liegt also überall hinter uns. Bei Polycarbonates haben wir den Vorteil, dass es uns gelungen ist, Material aus Industrien, die besonders stark betroffen sind – namentlich die Automobilindustrie – in andere Applikationen zu verkaufen. Dadurch ist der Volumenrückgang im Vergleich zu den anderen Segmenten geringer ausgefallen. Die Verkaufspreise sind weiter rückläufig. Können Sie abschätzen, wann hier der Boden gefunden ist?Es ist richtig, dass die Verkaufspreise im Vergleich zu 2019 rückläufig sind. Doch in den letzten sechs Monaten ist die Marge über unsere drei Business Units relativ konstant geblieben, obwohl das Volumen im zweiten Quartal massiv zurückgegangen ist. Das ist aus meiner Sicht die entscheidende Nachricht. Ende April hatten Sie davon gesprochen, liquiditätsseitig exzellent aufgestellt zu sein. Seither haben Sie am Bondmarkt 1 Mrd. Euro eingesammelt und zugleich angekündigt, die Dividende für 2019 – die Hauptversammlung findet am 30. Juli statt – zu halbieren. Das hört sich nicht nach Liquidität im Überfluss an.Wir haben die Bonds emittiert, weil das Marktumfeld extrem günstig war. Mit diesem Geld wollen wir die Liquidität des Unternehmens stärken, das scheint in dieser Situation angemessen. Die Back-up-Linie von 2,5 Mrd. Euro, die wir im ersten Quartal vereinbarten, wollen wir nach Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen. Mit der Anleihe haben wir zudem die Refinanzierung einer 500 Mill. Euro schweren Anleihe, die im Herbst 2021 fällig wird, vorgenommen. Das Interview führte Annette Becker.