"Die Krise wird uns mit voller Wucht treffen"
Die konventionelle Stromerzeugung macht RWE immer stärker zu schaffen. Im ersten Halbjahr ist das Ergebnis dieser Sparte um übe 60% eingebrochen. Der Dax-Konzern will daher zahlreiche Kraftwerke stilllegen und sein Kostenprogramm noch einmal verschärfen. Im ersten Halbjahr rettete nur eine Sonderzahlung von Gazprom die Bilanz.ahe Düsseldorf – Der Energieversorger RWE legt in Deutschland und den Niederlanden Kraftwerkskapazitäten im Volumen von 3,1 Gigawatt (GW) still. Dies beschloss der Essener Konzern nach einer eingehenden Analyse seines heutigen Erzeugungsparks. Weitere Gas- und Kohleblöcke stehen auf dem Prüfstand. Zudem wurden Lieferverträge mit anderen Kohleverstromern im Volumen von 1,2 GW gekündigt.”Wir erleben die größte Branchenkrise seit vielen Jahrzehnten”, kommentierte Finanzvorstand Bernhard Günther in einer Telefonkonferenz die Beschlüsse und verwies auf die Halbjahresbilanz des Konzerns. In den ersten sechs Monaten hatte RWE in der konventionellen Stromerzeugung fast zwei Drittel seines operativen Gewinns aus dem Vorjahr verloren. Die traditionell eigentlich wichtigste Sparte des Unternehmens erwirtschaftete 1,1 Mrd. Euro weniger Betriebsergebnis als im Vorjahr.Der konzerninternen Analyse zufolge, in der RWE den eigenen Erzeugungspark in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien unter die Lupe genommen hat, werden in den Jahren 2013 bis 2015 nur noch 50 bis 60 % der Kraftwerke ihre Kapitalkosten vor Steuern verdienen (siehe Grafik). 30 bis 40 % der Anlagen mit einer Kapazität von derzeit insgesamt 44 GW werden demnach operativ rote Zahlen schreiben. 3,1 GW werden stillgelegtGünther erklärte dies mit dem starken Ausbau der erneuerbaren Energien und vor allem der Fotovoltaik, wodurch konventionelle Anlagen aus dem Markt gedrängt und die Strompreise an den Großhandelsmärkten unter Druck gesetzt werden. Die Energiewirtschaft erlebe derzeit “turbulente Zeiten”, sagte Günther. Und RWE sei eines der Unternehmen, das die Rasanz dieser Neustrukturierungen des Marktes zu spüren bekomme.Dabei profitiert der Energiekonzern zurzeit sogar noch davon, dass die Stromproduktion immer zwei bis drei Jahre im Voraus verkauft wird. Für 2013 hat RWE für seinen Atom- und Braunkohlestrom beispielsweise noch Preise von rund 50 Euro je Megawattstunde festgezurrt. Im derzeitigen Handel werden für Stromlieferungen in den Jahren 2015/16 nur noch rund 36 Euro gezahlt. Auch Günther schwant daher nichts Gutes für die Zukunft: “Unsere diesjährige Erzeugung und zum Teil auch die der beiden kommenden Jahre haben wir zu Preisen über dem aktuellen Marktniveau verkauft”, sagte er. “Dieser Preisvorteil wird im Laufe der Zeit nach und nach verschwinden, und die Krise wird uns dann mit voller Wucht treffen.”Im ersten Halbjahr nahmen die Essener bereits Wertberichtigungen auf ihren niederländischen Erzeugungspark von rund 800 Mill. Euro vor. Weitere Abschreibungen wollte auch Günther nicht ausschließen.In den Ergebnissen der ersten sechs Monate machte sich zudem deutlich bemerkbar, dass auch RWE seit Jahresbeginn die für die Stromerzeugung benötigten CO2-Zertifikate vollständig selbst erwerben muss und keine Zertifikate mehr kostenlos zugeteilt bekommt wie noch im vergangenen Jahr. Allein dies hatte einen negativen Effekt von 660 Mill. Euro. Neue Verluste in GassparteDass der Dax-Konzern dennoch eine Verbesserung seines Betriebsergebnisses um 12 % auf 4,09 Mrd. Euro ausweisen konnte, lag im Wesentlichen an den Kompensationszahlungen des russischen Gaslieferanten Gazprom. Nach einem Spruch des Wiener Schiedsgerichts Ende Juni im Streit um die Konditionen eines langlaufenden Liefervertrages hatte RWE Rückerstattungen von Gazprom für einen Dreijahreszeitraum in Höhe von insgesamt rund 1 Mrd. Euro erhalten. Überraschenderweise musste Finanzchef Günther jetzt einräumen, dass RWE auch nach der Neuaufstellung seiner Lieferverträge rote Zahlen im Gashandelsgeschäft schreibt. Es gehe zurzeit um einen niedrigen dreistelligen Mill.-Euro-Betrag, sagte er. RWE hoffe aber, sich diesen in der nächsten Preisrunde von Gazprom zumindest zum Teil zurückholen zu können.Prognoseanpassungen hatte es nach dem Gazprom-Urteil nicht gegeben. Und auch bei der Vorlage des Halbjahresberichts blieb RWE bei seinen Ankündigungen für das Gesamtjahr: Das Betriebsergebnis wird 2013 bei 5,9 (i. V. 6,4) Mrd. Euro erwartet und das für die Dividende entscheidende bereinigte, so genannte nachhaltige Nettoergebnis bei 2,4 (2,5) Mrd. Euro. Im ersten Halbjahr hatte das nachhaltige Nettoergebnis wegen des Gazprom-Effekts bereits ein Niveau von 1,99 Mrd. Euro erreicht. Das waren 19 % mehr als im Vorjahr.Trotz der aktuell schwierigen Situation ist keine neue Kapitalerhöhung geplant, wie Günther bei der Vorlage der Zahlen noch einmal klarstellte. Allerdings wird RWE sein Sparprogramm noch einmal verschärfen, wie er bestätigte. Genaue Zahlen hierzu will der Konzern im November bekannt geben.In die künftigen Planungen werden dann auch die neuen Belastungen durch das Standortauswahlgesetz einfließen. Dieses sagt, dass die Kernkraftbetreiber für die Kosten der Endlagersuche aufkommen müssen. RWE rechnet damit, dass langfristig zusätzlichen Zahlungen von etwa 1,1 Mrd. Euro auf den Konzern zukommen werden. In der Halbjahresbilanz wurden bereits Rückstellungen von 400 Mill. Euro eingebucht.