"Die Umsatzrendite werden wir nicht halten können"
Herr Asenkerschbaumer, im Mai haben Sie erwähnt, dass der Umsatz von Bosch im ersten Quartal stagnierte. Wie hat sich Ihr Kerngeschäft seither weiterentwickelt?Ähnlich wie im ersten Quartal. Die Wirtschaftsleistung liegt weltweit fast einen Prozentpunkt unter dem Vorjahr. Mit Blick auf unsere Kernmärkte ist das eine große Herausforderung. Der Automobilmarkt wird dieses Jahr unserer aktuellen Schätzung nach rund 5 % unter dem Vorjahr liegen. Und auch im Maschinenbau ist der Auftragseingang rückläufig. Sie haben Ihre Marktprognose damit ein Stück nach unten korrigiert. Was bedeutet das für Ihre Jahresprognose, die ohnehin nur ein leichtes Umsatzplus und eine von 7 % auf 6 % rückläufige Umsatzrendite vorsieht?Die hohe Umsatzrendite des Vorjahres werden wir aufgrund der Umsatzentwicklung nicht halten können. Die weitere Entwicklung hängt auch stark davon ab, ob das konjunkturelle Umfeld im zweiten Halbjahr so angespannt bleibt. In jedem Fall ist es für uns extrem wichtig, intensiv an unserer Effizienz zu arbeiten, und das geht auch mit strikter Kostendisziplin einher. Nur so können wir auch unsere strategische Innovationsagenda vorantreiben. Was heißt das für das Diesel-Geschäft? Dort hat Bosch 2018 bereits Hunderte befristete Stellen abgebaut. Werden Sie Mitarbeiter entlassen müssen?Bisher ist es uns gelungen, die Auftragsrückgänge durch Ausschöpfung sämtlicher Flexibilitätsmaßnahmen auszugleichen. Wir haben befristete Stellen nicht ersetzt, nutzen Gleitzeitkonten oder haben Brückentage eingeführt. Gleichzeitig versuchen wir, über Qualifizierungsmaßnahmen unsere Mitarbeiter in die Bereiche zu transferieren, in denen wir mehr Bedarf haben. Welche Bereiche sind das?Wir haben auf der einen Seite die strukturellen Veränderungen in angestammten Bereichen unserer Mobility Solutions aufgrund des technologischen Wandels. Auf der anderen Seite haben wir hohen Bedarf in künftigen Geschäftsfeldern wie automatisiertes Fahren und Internet der Dinge. Unsere große Herausforderung ist es, unsere Belegschaft fit zu machen für neue Anforderungen. Daher geben wir jährlich rund 250 Mill. Euro für Qualifikationsmaßnahmen aus. Geht das über Requalifizierung schnell genug? Eine Diesel-Ingenieurin wird ja nicht in drei Wochen zur Programmiererin.Das ist richtig. Die Automobilbranche braucht für diesen Wandel Zeit. Darauf weisen auch die Arbeitnehmervertreter hin. Unsere Maßnahmen forcieren wir wo immer möglich, aber jedes Jahr, das wir für diesen Transformationsprozess zusätzlich bekommen, ist ein gutes Jahr. Wie schätzen Sie Ihre relevanten Märkte auf einen Horizont von drei Jahren ein?Wir gehen von einer weltweit insgesamt stagnierenden Automobilproduktion aus, und darauf müssen wir uns einstellen. Wie steuern Sie vor dem Hintergrund Ihre Investitionen? Fließt noch Geld in den Verbrennungsmotor?Der Schwerpunkt liegt auf neuen Technologien und Geschäftsfeldern. Aber wir investieren unverändert auch in den klassischen Verbrennungsmotor, beispielsweise in neue, optimierte Produktgenerationen, die aus unserer Sicht für die zukünftige Mobilität unerlässlich sind. Wir prüfen aber die Kapitalrückflussdauer intensiver. Sie investieren also kurzfristiger?Bosch verfolgt traditionell eine sehr vorausschauende Investitionspolitik. Wir investieren aktuell aber auch unter Berücksichtigung des aktuellen Transformationsprozesses. Auch 2030 werden noch rund 75 % der Fahrzeuge auf den Straßen von Verbrennungsmotoren angetrieben sein. Hier gilt es daher, weiter zu investieren. Sie haben Effizienzpotenziale und Kostendisziplin erwähnt. Wenn selbst ein großer und diversifizierter Konzern wie Bosch den Technologiewandel in Kombination mit der konjunkturellen Entwicklung so deutlich spürt: Wie ist die Lage bei Ihren Zulieferern?Ganz gemischt. Deshalb ist es wichtig, sich als Lieferant rechtzeitig strukturell vorzubereiten. Unterstützen Sie dabei gegebenenfalls?Wir werden unsere Lieferanten in den nächsten Jahren fair begleiten, werden keine Verträge einseitig kündigen und Entwicklungen klar kommunizieren. Das heißt natürlich nicht, dass wir jeden einzelnen Lieferanten bei einer Schräglage retten werden. Zugleich werden wir aber auch Insourcing nicht einseitig betreiben und immer die Wirtschaftlichkeit sowie die langjährigen Beziehungen zu unseren Lieferanten berücksichtigen. Für welchen Zeitraum haben Sie Unterstützung zugesichert? Ihre Automobilkunden senken reihenweise ihre Jahresprognosen. Dadurch werden die Verhandlungen über Mengen und Preise ja auch für Bosch nicht einfacher.Uns verbindet mit unseren Lieferanten das gemeinsame Ziel der Wettbewerbsfähigkeit. Durch Digitalisierung und über Innovationspartnerschaften können wir uns dabei zum Beispiel gegenseitig unterstützen. Vor allem ist die Digitalisierung ein ganz wesentlicher Performance-Treiber. Wir haben exzellente Lieferanten, die auch mit eigenen Ideen deutliche Kostensenkungspotenziale bei uns generieren. Wenn wir diese Offenheit in der Zusammenarbeit beibehalten, dann können wir in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten gemeinsam erfolgreich sein. Bei klassischen Themen wie Kostendisziplin und Effizienzmaßnahmen muss jeder seine Hausaufgaben selbst machen. Aber in der Ausrichtung auf die Zukunft sehen wir für Lieferanten auf der Kostenseite riesiges Potenzial durch Vernetzung und Digitalisierung. In der E-Mobilität hat sich Bosch ehrgeizige Ziele gesetzt: Sie wollen 2025 rund 5 Mrd. Euro Umsatz damit erzielen, was eine Verzehnfachung gegenüber 2018 wäre. Wie läuft die E-Mobilität an?Wir erleben einen steilen Hochlauf. Wir sind Stand heute in China bei Pkw marktführend mit unseren Produkten und haben auch in Europa eine gute Auftragslage. Derzeit kommt der deutlich größere Teil der Aufträge noch aus China. Aber das wird sich über die Zeit einpendeln. Ist die Zahl der Aufträge aus dem Bereich gegenüber den 30 Projekten, die Sie Ende 2018 vermeldet hatten, weiter gestiegen?Bosch hat bereits für 50 Elektrofahrzeug-Plattformen passgenaue Powertrain-Projekte realisiert. Wir sind auch 2019 weiter auf einem guten Weg. Im Januar haben Sie den Elektromotorenhersteller EM-Motive von Ihrem Joint-Venture-Partner Daimler vollständig übernommen. Wie läuft die Integration?Schon vor der Komplettübernahme der Anteile war die gesamte Organisation im Prinzip bei uns angesiedelt. Daher ist die Integration kein großes Thema. Trotz der Beteiligung an EM-Motive seit 2011 hat mit ZF Friedrichshafen einer Ihrer Hauptwettbewerber den Zuschlag für den elektrischen Antrieb des Mercedes EQC erhalten. War Bosch beim Einstieg in die E-Mobilität zu zögerlich und wurde überholt?Von überholt kann keine Rede sein. Weltweit sind bereits mehr als eine Million Elektroautos mit Antriebskomponenten von Bosch unterwegs. In China sind wir im Pkw-Bereich Marktführer. Die erwähnten 30 Projekte haben ein Volumen von mehr als 8 Mrd. Euro. Wir haben bei Bosch frühzeitig Wissen und hohe Finanzmittel eingesetzt, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Wir sind hier weltweit sehr erfolgreich unterwegs, auch wenn wir bei diesem einen Projekt nicht zum Zug gekommen sind. Digitalisierung und Vernetzung wird auch in Bereichen, für die Sie zuständig sind, relevanter: Einkauf, Logistik und Finanzen. Sie haben bereits erwähnt, dass Sie darüber auch Effizienzen heben und Kosten einsparen wollen. Wie soll das denn beispielsweise im Einkauf genau funktionieren?Die künftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Lieferketten beginnt für uns mit dem effizienten Austausch von Informationen und Daten. Wir bündeln daher beispielsweise alle Stammdaten unseres Lieferantennetzwerks auf der Zulieferplattform Supply On, an der auch andere Unternehmen beteiligt sind. Welche denn?Anteilseigner von Supply On sind Continental, ZF, Schaeffler und wir. Auf der Plattform liegen viele Stammdaten unserer Lieferanten, wobei natürlich jedes Unternehmen nur Zugang zu den Daten der eigenen Lieferanten hat. Diese Daten fließen bei uns in eine umfassende Datenbank, die uns beispielsweise im Falle einer Naturkatastrophe die Möglichkeit gibt, betroffene Lieferanten, eigene Werke und Kunden zu identifizieren und zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen. Ein weiteres Beispiel sind sogenannte Advanced Shipping Notes. Dabei werden für Bestellungen Lieferscheine und Transportinformationen digitalisiert und uns als Empfänger bereits beim Versand zur Verfügung gestellt. Welchen Vorteil hat Bosch dadurch?Damit kann die Lieferkette bereits ab dem Versand durch uns verfolgt werden, und die Informationen fließen direkt in unsere IT-Systeme. Wir können den gesamten Wareneingang vorbereiten und vollkommen automatisieren. Wo wir diesen Prozess schon umgesetzt haben, sind die Kosten im Wareneingang um 30 % gesunken. Gilt dieser Einblick auch in die andere Richtung?Das gilt auch für die andere Richtung. Wir gewähren zum Beispiel unseren Lieferanten Einblicke in unserer Produktionsplanung. So haben sie die Möglichkeit, ihre Produktion entsprechend unseren geplanten Abrufen zu optimieren. Bereits 15 % unseres Einkaufsvolumens sind daran gekoppelt. Der Anteil soll auf deutlich über 50 % steigen. Vor allem bei größeren Lieferanten können wir durch eine engere Verzahnung in der Produktion auch die Transportströme optimieren. Optimieren heißt hier, den Warenverkehr zu reduzieren und damit auch CO2 einzusparen. Welches Potenzial durch Digitalisierung sehen Sie für Ihre eigene Produktion?Auch hier geht es um die intelligente Verknüpfung von Daten. Wir haben eine vernetzte Intralogistik entwickelt, die auf Basis von Informationen zu Kundenaufträgen und zu Teilebeständen Fertigungsaufträge berechnet. Diese werden digital in die Produktionsbereiche übermittelt. Gleichzeitig erhalten die lokalen Lagerbereiche in den Fertigungshallen direkt entsprechende Transportaufträge. Die Vernetzung der Prozesse der Intralogistik und die Automatisierung der Materialversorgung hat ein enormes Effizienzpotenzial. Es entsteht eine komplett digitalisierte und automatisierte Liefer- und Produktionskette. Kommt dieses System in Ihren Werken schon zum Einsatz, und welches Einsparpotenzial sehen Sie dadurch konkret?Wir haben das System in acht Werken pilotiert, die dadurch deutlich produktiver wurden. Wenn wir alle genannten Tools verbinden, entsteht über fast die gesamte Wertschöpfungskette ein digitaler Informationsaustausch. Unsere Logistikkosten sind auch durch solche Systeme in den letzten fünf Jahren um 20 % gesunken. Sie sind damit darauf angewiesen, dass sich möglichst viele Lieferanten an Ihre Systeme anschließen. Was kostet die das denn?Basis ist die bereits erwähnte Supply-On-Plattform. Über diese Plattform sind unsere Lieferanten ja bereits grundsätzlich mit dem System verbunden. Wenn sich ein Lieferant entschließt, die Plattform für Advanced Shipping Notes zu nutzen, dann sind die Kosten dafür vernachlässigbar. Und was kostet Bosch das Ausrollen dieser Systeme in allen weltweit rund 300 Werken?Die Kosten sind überschaubar, sie amortisieren sich schnell, in den Pilotwerken innerhalb eines Jahres. Gilt das Ziel, Prozesse zu digitalisieren, für das Finanzressort im selben Maß wie für Einkauf und Logistik?Ja, dort gilt es genauso. Im Finanzbereich sehen wir in der Digitalisierung vor allem einen Kompetenzverstärker. Beispielsweise nutzen wir intelligente Softwareanwendungen zur diagnostischen Analyse. Wir können damit funktionsübergreifende Prozessketten in Echtzeit analysieren, von der Bestellung bis zur Zahlung. Im Finanzbereich konnten wir durch solche Programme und Effizienzmaßnahmen in den vergangenen fünf Jahren die Kosten um rund 30 % senken. Durch welche Hebel genau?Prozessabläufe werden transparent, können entsprechend optimiert werden, sind damit schneller und weniger fehleranfällig. Gleiches gilt für eine Softwarelösung zur Mustererkennung, die zahlreiche Algorithmen umfasst und die wir im Bestandsmanagement einsetzen. Mit ihr haben wir festgestellt, dass wir Bestände deutlich senken können, nur indem wir die Bestellrhythmen ändern. Wir setzen auch für Finanzprognosen Softwarelösungen zur prädikativen Analyse ein. Wenn man die menschliche Prognose mit der des Algorithmus vergleicht, sieht man, dass der Algorithmus zum Beispiel einen Nachfrageabschwung viel früher erkennt als der Mensch. Machen Sie damit nicht Ihren eigenen Job obsolet?Im Gegenteil. All diese Hilfsmittel sollen vor allem dazu führen, dass unsere Finanz- und Controlling-Spezialisten das operative Geschäft besser unterstützen können. Sie kommen dadurch noch besser ihrer Aufgabe nach, “Business Partner” für ihre betreuten Geschäftseinheiten zu sein. Was ist damit gemeint? Soll ich mich als Controllerin strategisch einbringen, wenn die Systeme meine bisherigen Aufgaben übernehmen?Ja, denn die Controllerin erhält in ihrem Job Informationen frühzeitiger und bedarfsorientierter. Sie ist dann in der Lage, diese schnell und klar zu interpretieren und darauf basierend den operativ Verantwortlichen Empfehlungen zu geben, wie diese handeln sollten. Je früher sich das operative Geschäft an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen kann, desto besser. Wie sehen Ihre beiden Ressorts denn in zehn Jahren aus?Noch mehr Daten werden uns in Echtzeit zur Verfügung stehen. Dadurch wird es möglich sein, übergeordnete wirtschaftliche und konjunkturelle Entwicklungen sehr kurzfristig im operativen Geschäft zu berücksichtigen. Wir arbeiten beispielsweise gerade an einer Dashboard-Lösung für die monatlichen Geschäftsberichte, die uns auf Konzernebene einen Überblick über die Finanzkennzahlen der Unternehmensbereiche, Geschäftsbereiche und einzelner Geschäftseinheiten geben. Das Dashboard wird eine intuitiv zu bedienende digitale Lösung sein, die ohne unübersichtliche Datensammlungen oder Excel-Tabellen auskommt. Dieser echtzeit-orientierte Informationsstand wird die Zukunft sein. Der große Vorteil wird sein, dass der Controller sich stärker auf das Unternehmerische konzentrieren kann. Was heißt das für die Rolle des CFO? In einigen Unternehmen konzentriert sich der Finanzvorstand – teilweise auch, weil der CEO das so will – nach wie vor ausschließlich auf Finanzthemen und nimmt für sich keine strategisch gestaltende Rolle in Anspruch. Es hört sich so an, als sähen Sie für dieses Rollenverständnis keine Zukunft.Ich kann nur für mich sprechen. Ich habe Sozialwissenschaften und Betriebswirtschaft studiert, im Bereich der Analyse und Bewertung von technischem Wissen promoviert. Ich bin zu Bosch gekommen, weil mir hier versichert wurde, dass ich meinen interdisziplinären Blick einbringen kann. Ich habe Logistik- und Controlling-Bereiche geleitet, war Werkleiter und Arbeitsdirektor. Jetzt bin ich CFO. Dass ich als CFO die Bilanz verstehe, das ist selbstverständlich. Darüber hinaus ist insbesondere aber unternehmerische Beurteilungskompetenz gefordert. Und die entwickelt man als reiner Funktionsspezialist nur schwer. Als CFO muss man heute generalistisch über die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens hinweg denken und arbeiten. Ein CFO, der sich nur als Experte für finanzielle Kennzahlen versteht, wird aus meiner Sicht in Zukunft an Akzeptanz im Unternehmen verlieren. Deswegen sage ich auch zu jungen Menschen: Engt euch beruflich nicht zu sehr auf eine Funktion ein. Versucht vielmehr, euch in Studium und Beruf Kompetenzen in der Breite anzueignen. Das Interview führten Isabel Gomez und Lisa Schmelzer.