WER GEHT, WER KOMMT

Druck aktiver Investoren sorgt für Wechsel in deutschen Topkonzernen

Eine Doppelspitze für SAP - Siemens macht es spannend - Abrupte Abgänge auch in Familienunternehmen

Druck aktiver Investoren sorgt für Wechsel in deutschen Topkonzernen

Von Walther Becker, FrankfurtGeht er doch in die Verlängerung, oder überlässt er das Feld dem im September zum Vize auserkorenen Roland Busch? Siemens-Chef Joe Kaeser macht es spannend. Die Kür von Busch, der schon seit acht Jahren dem Vorstand des jetzt in Auflösung begriffenen Konzerns angehört, ist längst nicht gesichert. Doch befeuerte Kaeser anders lautende Mutmaßungen, als er sagte, in der allergrößten Not würde er sich noch einmal für zwei Jahre verpflichten und damit über seinen bis 2021 laufenden Vertrag hinaus. Dabei soll es doch erstmals, seitdem 2005 Klaus Kleinfeld auf Heinrich v. Pierer folgte, eine geordnete Nachfolgeplanung geben.Das ist in diversen Unternehmen anders, wo es im ablaufenden Jahr abrupte Wechsel gegeben hat beziehungsweise Abgänge für 2020 ankündigt sind. Stärker als in den Vorjahren nehmen Investoren Einfluss auf die personelle Führung und lassen das auch spüren. Ein Duo auf McDermottIm Sommer 2020 gibt es, wie Kaeser, der Busch vorgeschlagen hatte, sagt, viele Faktoren für die Entscheidung – etwa, ob die Konzernteilung mit Erfolg abgeschlossen ist. Zu seinen eigenen Ambitionen äußert er sich nicht präzise. Seine Rolle sei es, im Widerstreit der Interessen zwischen dem Industrie- und dem Energieteil dafür zu sorgen, dass beide erfolgreich in die Zukunft entlassen werden: “Da ist es vielleicht ganz gut, dass es einen gibt, der nach heutigem Ermessen nach fünf Jahren wahrscheinlich nicht mehr da ist.” Institutionelle Investoren sind uneins, ob es einen zeitnahen Wechsel oder eine Verlängerung von Kaesers Mandat geben sollte.Den größten Knall gab es dieses Jahr bei SAP: Mit einem Kursanstieg von mehr als 10 % haben Investoren die Vorgänge bei dem schwersten deutschen Unternehmen im Oktober quittiert. Dort legte im April der Hedgefonds Elliott einen Anteil von knapp 1 % offen, was den Aktienkurs stark nach oben trieb. Vorstandschef Bill McDermott, der als erster Amerikaner seit 2014 allein an der Spitze des Softwarekonzerns stand, kündigte im Oktober überraschend seinen Abgang an. Er machte den Weg für ein Duo frei, mit dem SAP die Führung verjüngt. Mit der 48-jährigen Jennifer Morgan, die seit 2004 bei SAP ist, rückt wiederum eine Führungskraft aus den USA in dem Softwarekonzern ganz nach oben. Sie ist die erste Spitzenfrau im Dax, teilt sich die Führungsrolle aber mit dem erst 39-jährigen Christian Klein, der ebenfalls Co-CEO wird. Der 58-jährige McDermott, dessen Vertrag bis 2021 gelaufen wäre, heuert bei dem cloudbasierten IT-Konzern Servicenow, einem US-Partner von SAP an.Auch in Familienunternehmen gibt es gehörigen Aktionärsdruck – wie BMW, Henkel und Knorr-Bremse zeigen. Mit Oliver Zipse hat BMW seit Mitte August einen neuen Vorstandschef. Vorgänger Harald Krüger hatte zuvor seinen Rückzug angekündigt. Ihm trauten die Gesellschafter – 46 % hält die Familie Quandt – nicht mehr zu, den Wechsel zur Elektromobilität zu meistern und die Kosten im Griff zu halten. Zipse, zuvor Produktionsvorstand, verbrachte seine ganze Laufbahn in dem weiß-blauen Autokonzern, zeitweise als Strategiechef.Bei Henkel muss indes Hans Van Bylen gehen: Die Gesellschafter des Klebstoff- und Konsumgüterherstellers hatten den 58-Jährigen nach nur dreieinhalb Jahren als CEO dazu veranlasst, den Posten am Jahresende zu räumen: Nach mehreren Gewinnwarnungen und der anhaltenden Schwäche der Kosmetiksparte zog die Familie die Reißleine. Sein Nachfolger steht mit CFO Carsten Knobel fest. Der 50-Jährige ist seit 1995 im Hause. CEOs von Henkel wechseln normalerweise in den Ruhestand oder nehmen, wie 2016 Kasper Ror-sted mit Adidas, einen anderen prestigeträchtigen Posten an.Auch in einem weiteren Familienkonzern kracht es: Vorstandschef Klaus Deller (57), der Knorr-Bremse im Herbst 2018 an die Börse brachte, geht Ende April Knall auf Fall – wegen “unterschiedlicher Auffassungen von Führung und Zusammenarbeit” mit dem patriarchalischen Mehrheitsaktionär Heinz Hermann Thiele. Fünf Monate später ist der Nachfolger gefunden: Bernd Eulitz (54) führt das Münchner Familienunternehmen. Er war zuvor Amerika-Chef der fusionierten Linde. Mit dem Lift aus dem KellerMit dem Lift aus dem Keller soll Martina Merz Thyssenkrupp nach oben fahren. Erst 2018 war Guido Kerkhoff als CEO berufen worden – und wurde 2019 abserviert. Merz übernahm aus dem Aufsichtsrat wechselnd Ende September die Führung. Zuvor war die Zusammenlegung des Stahlgeschäfts mit dem von Tata gescheitert. Bei Thyssenkrupp sind Aktivisten wie Cevian und Elliott investiert, wobei auch die Krupp-Stiftung ein gewichtiges Wort mitzureden hat. In der Misere ist der Konzern zuletzt aus dem Dax geflogen.Nach dem Ausscheiden von CEO Klaus Schäfer holte Uniper zur Jahresmitte Andreas Schierenbeck als CEO. Er führte zuvor die zum Verkauf stehende Aufzugssparte von Thyssenkrupp. Auch bei dem Energiekonzern sind Hedgefonds mit von der Partie gewesen. Elliott und Knight Vinke kündigten im Oktober an, ihre Pakete für 2,3 Mrd. Euro an den finnischen Staatskonzern Fortum zu verkaufen. Damit geht die längste Übernahmeschlacht in Europas Energiebranche dem Ende entgegen.Von jetzt auf gleich hat Peer Schatz Qiagen verlassen. Seit 2003 führte der heute 54-Jährige den Anbieter von Technologien für die molekulare Diagnostik. Einen Nachfolger hat der Verwaltungsrat noch nicht zur Hand, Thierry Bernard fungiert nun als Interims-CEO. Wohl aber gibt es Übernahmeinteresse: Thermo Fisher, der weltgrößte Laborausrüster aus den USA, soll die Fühler ausgestreckt haben.Bei RTL geht der Chef von Großaktionär Bertelsmann selbst ans Ruder. Thomas Rabe führt auch die wichtigste Tochter des Familienunternehmens. Bert Habets trete “aus persönlichen Erwägungen” zurück, heißt es. Machtkampf verlorenDen Machtkampf beim Einzelhändler Ceconomy verliert nach nur sieben Monaten an der Spitze des Konzerns, der vor allem mit Media Markt und Saturn bekannt ist, Vorstandschef Jörn Werner. Aus dem Aufsichtsrat kommend wird Bernhard Düttmann interimistisch CEO. Bei Ceconomy liegt die Familie Kellerhals mit den alten Stammaktionären der Metro seit Jahren im Clinch.Es gibt aber auch geordnete Stabwechsel: So ist die Nachfolge von Heidelberg-Cement-CEO Bernd Scheifele, dem dienstältesten Dax-Chef – er amtiert seit 2005 -, mit Dominik von Achten schon lange geklärt. Er gilt seit 2015 als Kronprinz. Damit hat Frank Appel, seit 2008 CEO der Deutschen Post DHL, die meisten Vorsitzendenjahre im Dax auf dem Buckel.Steven Holland, der den weltgrößten Chemiedistributeur Brenntag seit 2011 leitet, geht mit 62 in den Ruhestand. Ihm folgt Christian Kohlpaintner, der lange im Hoechst-Umfeld zu Hause war. Raus aus der Großküche, rein in Software für den Bau: Bei Nemetschek tritt Anfang Januar Axel Kaufmann (50) als Konzernchef an. Der frühere CFO von Koenig & Bauer folgt auf Patrik Heider und führt das Unternehmen als CEO, Finanzvorstand und COO. Simon Moroney, einer der Gründer von Morphosys und dort seit 1999 an der Spitze, geht in Ruhestand. Auf ihn folgt im September Jean-Paul Kress. Der 54-Jährige war zuvor Chef des Biotechnologieunternehmens Syntimmune. Und nicht zuletzt schließt die Optikerkette Fielmann die Nachfolge ab: Gründer und Mehrheitsaktionär Günther Fielmann (80) zieht sich aus der Führung zurück. Alleiniger CEO ist nun sein Sohn Marc (30).Auch bei zwei Landesbanken ist die Nachfolge dieses Jahr geklärt worden. Thomas Groß löste im Juni 2020 Helaba-Chef Herbert Hans Grüntker ab. Und Stephan Winkelmeier führt seit Mitte 2019 als Nachfolger von Johannes-Jörg Riegler die BayernLB.