Prozess um Datteln 4

Eine unendliche Geschichte

Der Rechtsstreit um den Bebauungsplan für das Steinkohlekraftwerk Datteln 4, das seit Sommer 2020 am Netz ist, mutet wie ein Schildbürgerstreich an.

Eine unendliche Geschichte

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam

Prozess um Bebauungsplan für Steinkohlekraftwerk Datteln steht nach 17 Jahren wieder am Anfang

ab Düsseldorf
Von Annette Becker, Düsseldorf

Wer sich die Frage stellt, warum Deutschland mit großen Infrastrukturprojekten regelmäßig ins Hintertreffen gerät, muss nur einen Blick ins nördliche Ruhrgebiet werfen, genauer: nach Datteln. In der unendlich anmutenden Geschichte um das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 hat das Bundesverwaltungsgericht Anfang Dezember eine weitere Episode hinzugeschrieben.

Die Richter in Leipzig hoben am 7. Dezember ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster auf. Zweieinhalb Jahre zuvor hatte das OVG den Bebauungsplan, auf dem das Steinkohlekraftwerk errichtet wurde, abermals für unwirksam erklärt (Az. 10 D 40/15.NE). Ungeachtet dessen war das Kraftwerk im Sommer 2020 mit einer gesetzlich zugesicherten Laufzeit bis 2038 in Betrieb gegangen.

Zurück auf Los

Das OVG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Standortalternativprüfung für das Kraftwerk im Regionalplan fehlerhaft gewesen sei, urteilte das Bundesverwaltungsgericht (Az. 4CN 4.22). Die Folge: Die Münsteraner Verwaltungsrichter müssen das Verfahren nun neu aufrollen. Damit steht der Rechtsstreit 17 Jahre nach seinem Beginn wieder am Anfang.

Gegen den Bebauungsplan hatten drei Anwohner, die Nachbarstadt Waltrop und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) geklagt. 2009 erging das erste Urteil des OVG Münster, das den Bebauungsplan für unwirksam erklärte. Zum damaligen Zeitpunkt hatte Eon, zu welcher der Kraftwerksstandort damals noch gehörte, mit dem Bau begonnen und die ersten 800 Mill. Euro in den Neubau investiert. Da das Bundesverwaltungsgericht gegen das OVG-Urteil keine Revision zuließ, wurde der Bebauungsplan endgültig aufgehoben.

Geänderter Regionalplan

Um die Kraftwerkspläne dennoch zu retten, musste also ein neuer Bebauungsplan her. Das wiederum erforderte einen geänderten Regionalplan. In Regionalplänen werden die Ziele für die Raumentwicklung in den Planungsregionen festgelegt. Zuständiger Träger war in diesem Fall der Regionalverband Ruhr, der dem geänderten Regionalplan im Sommer 2011 zustimmte. Damit war den Anforderungen jedoch noch nicht genüge getan.

Erst Mitte 2014 genehmigte der Stadtrat der Kommune Datteln den neuen Bebauungs- und Flächennutzungsplan, der die planungsrechtliche Grundlage für das Kraftwerk wiederherstellte. Doch auch dagegen formierte sich Widerstand, der im Sommer 2021 erneut in der Unwirksamkeitserklärung des neuen Bebauungsplans mündete. Im Gegensatz zum ersten Urteil des OVG Münster in dieser Causa ließ das Bundesverwaltungsgericht diesmal jedoch die Revision gegen den Richterspruch zu. Vorausgegangen waren Nichtzulassungsbeschwerden der Stadt und von Uniper.

Verkauf bis Ende 2026

Der eigentliche Clou an der Geschichte ist jedoch, dass die 2016 von Eon abgespaltene Kraftwerkstochter Uniper das umstrittene Kraftwerk bis Ende 2026 verkauft haben muss. Das ist eine der Auflagen, welche die EU-Kommission vor ziemlich genau einem Jahr im Gegenzug für die staatliche Rettung des Gasimporteurs verfügte. Eine Auflage, die auch ohne die ungeklärte Rechtsfrage ambitioniert erscheint. Denn laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung „idealerweise“ bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen.

Zwar kann Uniper in etwaigen Verkaufsverhandlungen mit der gesetzlich zugesicherten Laufzeit bis 2038 wuchern, die einem potenziellen Käufer einen gewissen Verhandlungsspielraum bezüglich Entschädigungszahlungen eröffnet. Doch das Risiko, dass der Bebauungsplan für den Standort endgültig für unwirksam erklärt wird und das Kraftwerk in der Folge abgerissen werden muss, wird wohl kein Käufer übernehmen. "Dieses Risiko wird wahrscheinlich der Verkäufer tragen müssen", räumt selbst Uniper ein. Ein Umstand, der im Kaufpreis berücksichtigt werden dürfte.

Dennoch gibt sich der verstaatlichte Energieversorger bezüglich des Verkaufs zuversichtlich: „Der Standort ist ein energiewirtschaftliches Drehkreuz in Deutschland und entsprechend wertvoll für die Energiewirtschaft und Versorgungssicherheit sowie den Bahnverkehr – auch in einer Zukunft ohne Kohle“, sagt Uniper-Chef Michael Lewis. Es würde nicht erstaunen, wenn das Kraftwerk schneller einen neuen Besitzer findet, als der Rechtsstreit ein für allemal zu den Akten gelegt werden kann.

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