IAA-SERIE: AUTOINDUSTRIE UNTER STROM (5)

Elektro-Offensive zwingt VW-Töchter zur Kooperation

Für Porsche und Audi ist eine gemeinsame modulare Plattform für E-Autos der Sport- und Luxusklasse ein wichtiger Baustein in der Strategie

Elektro-Offensive zwingt VW-Töchter zur Kooperation

In der groß angelegten Elektrooffensive der Konzernmutter Volkswagen sind Porsche und Audi gezwungen, über Kooperationen enger zusammenzurücken. Das ist für beide VW-Töchter ein nützlicher Schritt, um die hohen Vorleistungen für E-Autos zu stemmen und die Risiken zu streuen. Allerdings ist dieses Unterfangen für sie nicht einfach, gilt ihr Arbeitsverhältnis infolge der Dieselbetrugsaffäre doch als schwer belastet.Von Isabel Gomez, Stuttgart, und Stefan Kroneck, MünchenDie Stimmung zwischen Audi und Porsche ist nicht erst seit dem bekannt gewordenen Abgasbetrug schlecht. Schon immer waren die beiden Marken weniger harmonische Schwestern denn Wettbewerber im Volkswagen-Reich. Hinzu kam in den vergangenen Jahren ein gewisses Unverständnis in Stuttgart gegenüber strategischen Entscheidungen des Audi-Managements. Etwa die 2008 getroffene, sich aus der von Volkswagen, Porsche und Audi gemeinsam betriebenen Entwicklung von Plug-in-Hybriden zurückzuziehen. Ein strategischer Fehler, wie es heute im Konzern heißt.Vollkommen zerstört wurde das Verhältnis dann im September 2015 durch den Abgasbetrug. Porsche hat selbst nie Diesel-Motoren entwickelt, sondern jahrelang manipulierte Motoren von Audi bezogen. Porsche-Chef Oliver Blume übernahm in der Öffentlichkeit dennoch die Verantwortung gegenüber den eigenen Kunden. Als Hersteller hafte letztlich Porsche, auch für Fehler von Zulieferern, sagte er. Seit Februar 2018 bietet Porsche gar keine Diesel-Modelle mehr an. 2017 lag deren Absatzanteil bei 12 %.Der Konzernauftrag, gemeinsam eine modulare Plattform für E-Autos der Premium- und Luxusklasse zu entwickeln, kommt auch aus diesem Grund nur sehr langsam voran, wie Insider erzählen. Doch der Abgasbetrug des Konzerns erhöhte den politischen und gesellschaftlichen Druck, zügig die Emissionen von Feinstaub und Kohlendioxid zu senken und mit Vollgas alternative Antriebe und die dazugehörigen Autos zu entwickeln. KapazitätsausbauAlso werkelten die Entwickler in Ingolstadt und Zuffenhausen auch getrennt voneinander los, während parallel an der Plattform gearbeitet wird. In den Reihen der Zulieferer werden Audis E-Tron und der Porsche Taycan bisweilen als “schnelle Imagepolitur” bezeichnet. Was die beiden E-Autos gemein haben, sind die damit verbundenen hohen Entwicklungskosten.Porsches Zentrale in Zuffenhausen ist derzeit eine große Baustelle. Anfang 2018 entschied Porsche, ihre Investitionen für Elektromobilität auf 6 Mrd. Euro bis 2022 zu verdoppeln. Von den 3 Mrd. Euro Sachinvestitionen fließt 1 Mrd. Euro in das Stammwerk, in dem ab Herbst der Taycan mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern nach dem NEFZ-Prüfzyklus vom Band rollen soll. Mehr als 20 000 Kunden haben Blume zufolge bereits jeweils 2500 Euro für das erste reine batteriebetriebene Porsche-Modell angezahlt. Bestellen kann man den Taycan aber noch nicht. Blume sprach zuletzt von einer Jahresproduktion von künftig “deutlich über 20 000” Stück nach einem Start mit unter 10 000 Taycan in diesem Jahr. Um den ehrgeizigen Zeitplan bis zur geplanten Weltpremiere im September einhalten zu können, müssen sich die Bauarbeiter und Porscheaner in Zuffenhausen strecken: Der bestehende Karosseriebau wird erweitert, es entstehen neue Gebäude für eine Lackiererei, die Elektromotoren- und Komponentenfertigung sowie ein neues Montagewerk.Auch das Werk Leipzig will Porsche für 600 Mill. Euro für die Produktion von E-Autos bereit machen. Dort wird der kleine SUV Macan gefertigt, den es künftig ebenfalls als E-Version geben soll. Er soll dann bereits auf der sogenannten PPE-Architektur (Premium Platform Electric) basieren, die Porsche und Audi seit Anfang 2018 gemeinsam entwickeln (vgl. BZ vom 13. März).Von den insgesamt mehr als 3 Mrd. Euro Entwicklungsinvestitionen will Porsche 500 Mill. Euro in die Entwicklung von Varianten und Derivaten des Taycan stecken. Gut 500 Mill. Euro fließen in die Elektrifizierung und Hybridisierung der bestehenden Produktpalette und 700 Mill. Euro in neue Technologien und Ladeinfrastruktur. Weiteres Geld fließt in die Weiterbildung von Mitarbeitern im Umgang mit Hochvolttechnologie oder 3D-Druck sowie neue Logistikkonzepte, etwa für den Versand der empfindlichen Batterien.Für Fertigung und Montage des Taycan sollen in Zuffenhausen 1200 neue Arbeitsplätze entstehen. 300 weitere sind für das zweite dort geplante E-Auto, den im März vorgestellten SUV Taycan Cross Turismo, vorgesehen. Auch er wird, wie der Taycan, auf 800-Volt-Technologie setzen.Mit dieser Spannungslage arbeitet Porsche im Rennsport bereits seit einigen Jahren. Mit dem 919 Hybrid gewann Porsche mehrfach das 24-Stunden-Rennen von Le Mans und tastete sich darüber an die Serienreife der Technologie heran. Die 800-Volt-Technologie stellte bei Porsche die Weichen für den gesamten elektrischen Antrieb von der Batterie über den Elektromotor bis zum Ladevorgang. Weil kein Zulieferer entsprechende Komponenten im Programm hatte entwickelte Porsche sie selbst. Auch die flüssiggekühlte Batterie des Taycan, der in vier Minuten mit Energie für 100 Kilometer ladbar sein soll, stammt aus dem Rennsport.Für die weitere Entwicklung elektrifizierter Autos hat sich Porsche im Juni mit 10 % beim kroatischen Supersportwagenhersteller Rimac eingekauft. Die strategische Partnerschaft soll Porsche vor allem in den Bereichen Batterietechnologie, Elektroantriebe sowie an der digitalen Schnittstelle zwischen Mensch und Auto weiterbringen.Die Hybridtechnologie bietet Porsche derzeit in sechs unterschiedlichen Varianten des Porsche Panamera an. Weitere Modelle, wie der beliebte SUV Cayenne, 2018 das nach dem kleineren Macan meistverkaufte Modell, sollen folgen. Auch der neue 911er wurde hybridfähig entwickelt. Im vergangenen Jahr hatte der Panamera Hybrid einen Anteil von 67 % an den Gesamtauslieferungen des Modells in Europa. Weltweit kletterte der Anteil um 10 % auf rund 27 %. Geld für Ladestationsnetz Um die ab 2021 geltenden EU-Grenzwerte für ihre Flotte einhalten zu können, setzt Blume aber vor allem auf den Taycan. “Wir sind optimistisch, dass wir damit die zunehmend strengeren EU-Klimaziele für Autos erreichen. Denn Porsche ist kein Volumenhersteller. Null Emissionen bei einer Baureihe wie dem Taycan schlagen sofort durch”, ist der Konzernchef überzeugt. 2017 waren die Flottenemissionen von Porsche von zuvor 194,3 Gramm CO2 je Kilometer auf 185 Gramm gesunken. Für 2018 liegen keine Zahlen vor. Im Schnitt müssen die Flotten in Europa 2021 einen Wert von 95 Gramm vorweisen, für Hersteller großer und schwerer Autos – wie Porsche und Audi – gelten indes höhere Grenzwerte.Neben Modellen und Produktionskapazitäten investiert Porsche im Zusammenhang mit der Elektromobilität vor allem in die Ladeinfrastruktur. Für private Haushalte und Firmen bietet der Hersteller Ladesysteme und Speicherlösungen für Netze mit geringerer Spannung an. Gemeinsam mit Audi, BMW, Daimler und Ford ist Porsche zudem an Ionity beteiligt. Das Ladeinfrastrukturunternehmen will bis Ende 2019 entlang des europäischen Autobahnnetzes mindestens 400 Ladestandorte mit jeweils mindestens zwei Schnellladesäulen aufbauen. Bis zur Markteinführung des Taycan baut Porsche zudem selbst weitere 2000 Niedrigspannungsladepunkte an “stark frequentierten Ladepunkten weltweit” und stattet die eigenen Händler damit aus.Porsche ist weiterhin die mit Abstand profitabelste Marke im VW-Reich. 2018 stieg der Absatz um 4 % auf rund 256 000 Fahrzeuge. Der Umsatz kletterte um 10 % auf 25,8 Mrd. Euro. Das operative Ergebnis lag mit 4,3 Mrd. Euro um 4 % über dem Vorjahr und die Umsatzrendite lag mit 16,6 % noch deutlich über dem strategischen Ziel von 15 %. An diesem hält Finanzchef Lutz Meschke trotz steigender Investitionen, sich eintrübender Konjunkturaussichten und zwischen 6 000 und 10 000 Euro höherer Materialkosten je Fahrzeug durch den Wandel vom Verbrenner- zum Elektroantrieb weiter fest. “Wir brauchen die Premium-Rendite zwingend, um zukünftige Technologien für die kommenden Premium-Produkte zu finanzieren”, so Meschke. Er geht davon aus, dass 2025 bereits mehr als die Hälfte aller Porsche-Modelle in einer elektrifizierten Version auf den Straßen unterwegs ist. Ab 2030, so Meschke, gebe es “wahrscheinlich kein Fahrzeugmodell von Porsche ohne Elektrovariante”.2018 setzte Meschke ein Sparprogramm auf, durch das bis 2025 rund 6 Mrd. Euro und ab 2025 jährlich 2 Mrd. Euro eingespart werden sollen (vgl. BZ vom 16. März). 2 Mrd. Euro entsprechen ungefähr dem Ertrag, der Porsche durch die Mehrkosten bei der Produktion von E-Autos entgeht. Porsche kann dabei auch froh sein, dass die Beschäftigten sich stark mit der Marke identifizieren. Sie verzichten, vor allem um den Umbau in Zuffenhausen mitzufinanzieren, auf einen Teil ihrer Tariferhöhungen.Derweil kann sich der Audi-Chef Bram Schot nicht mehr damit aufhalten, das mit Porsche infolge der Dieselbetrugsaffäre belastete Verhältnis bis ins Detail aufzuarbeiten. Die von der Dieselkrise durchgerüttelte Ingolstädter VW-Tochter wagt mit dem Niederländer an der Spitze einen Neuanfang. Dabei steht der CEO unter Zeitdruck, muss er doch Versäumnisse der Vergangenheit beim Thema E-Mobilität in kurzer Zeit wettmachen, um nicht den Anschluss in der Branche zu verlieren. Ziel: BMW überholenMehr noch: Schot will mit seinem beschleunigten Programm für E-Autos bis spätestens 2025 den Wettbewerber BMW im Premiumsegment überholen. Während der Münchner Hersteller den Anteil elektrifizierter Fahrzeuge bis Mitte der nächsten Dekade am gesamten Konzernabsatz auf 15 bis 25 % steigern will (2018: 5,7 %), sollen bei Audi bis dahin fast die Hälfte aller weltweit verkauften Neuwagen Stromer sein. Auf der zurückliegenden Hauptversammlung von Audi Ende Mai nannte er eine Quote von 40 % (vgl. BZ vom 24. Mai). Das entspricht dem CEO zufolge rund einer Million Fahrzeugen. Das ist mehr als ein ehrgeiziges Vorhaben. Es ist eine Kampfansage an den größeren Rivalen. Schots Ausgangslage ist aber schwierig. 2019 liegt der Aneili von E-Autos am Gesamtabsatz bei geschätzten 4 %. Als er das Amt von seinem Vorgänger Rupert Stadler im vorigen Jahr übernahm, lag Audi beim Thema E-Mobilität im Branchenvergleich deutlich zurück. In der Dieselkrise verlor das Unternehmen an Zugkraft. Audi war wegen der Aufarbeitung der Manipulationen sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Affäre kostete den als Beschuldigten geführten Stadler nach einer langen Untersuchungshaft das Amt. Unter ihm als CEO verschlechterte sich das Arbeitsverhältnis zu Porsche massiv.Nach diesem Tiefpunkt kann es nur besser werden. Das erste E-Modell im Premium- und Luxussegment auf Basis der modularen Plattform mit dem Sportwagenbauer soll nach Unternehmensangaben “zu Beginn des nächsten Jahrzehnts auf den Markt kommen”. Geplant sind ein Audi E-Tron GT und ein Audi E-Tron GT Avant, zwei Ableger von Porsches Elektroerstling Taycon. Im Segment kleinerer Fahrzeuge, wozu unter anderem der Audi A1 gehört, werkeln die Ingolstädter zusammen mit der Marke VW Pkw im Rahmen des modularen E-Antriebs-Baukastens.Diese Kooperationen innerhalb des Konzerns sind für Schot wichtige Bausteine, die hohen Kosten für den Wandel in der Antriebstechnik im Zaum zu halten. Ausschließlich reine Insellösungen wie noch zu Zeiten von Konzernpatriarch Ferdinand Piëch wären deshalb nicht geeignet, weil sie zu viel Geld verschlingen.Bis zum Jahr 2023 will Audi für die Zukunftsthemen E-Autos, Digitalisierung und autonomes Fahren 14 Mrd. Euro investieren. Machten diese Themen 2017 noch 28 % der 3,8 Mrd. Euro umfassenden Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen aus, wuchs dieser Anteil 2018 auf 35 % von insgesamt 4,2 Mrd. Euro. Im Detail legten die F&E-Kosten für diese drei Felder im vorigen Jahr also um 400 Mill. auf knapp 1,5 Mrd. Euro zu – Tendenz steigend. Auch im laufenden Jahr wird der Anteil der F&E-Aufwendungen am Umsatz mit voraussichtlich abermaligen 7,1 % leicht über dem Zielkorridor von 6,5 bis 7 % liegen.Der Cash-flow und die Erträge aus dem operativen Geschäft mit Benzin- und Dieselautos genügen nicht, um die hohen Vorleistungen zu stemmen und zugleich die operative Zielrendite von 9 bis 11 % zu erreichen. Aufgrund der hohen Investitionen und Kosten fiel das Unternehmen im vorigen Jahr um 1,8 Punkte auf 6 % zurück. Schot dreht zusätzlich an der Kostenschraube. Mit einem verschärften Sparprogramm will der Audi-Chef bis 2022 rund 15 Mrd. Euro “für Zukunftsthemen freispielen”. Dabei setzt er darauf, Synergien im VW-Konzern besser zu nutzen. Dies spiegelt sich in den modularen Baukästen wider – wie bei den herkömmlichen Verbrennungsmotoren bedienen sich die verschiedenen Marken bei E-Autos mit den gleichen Komponenten. Die Einsparungen beinhalten auch, dass Schot und seine Mannen Fahrzeuge streichen, die nicht mehr ins Konzept passen, da sie zu kostspielig sind. Die Sportwagen Audi TT und Audi R8 sind Auslaufmodelle. Sie sollen durch E-Modelle ersetzt werden. Insgesamt zielt er darauf ab, bis zum Schlüsseljahr 2025 mehr als 30 Modelle mit Elektroantrieb im Angebot zu haben, darunter 20 rein batteriebetriebene. Hybrid-Konzept erweitert Das impliziert, dass die Hybrid-Fahrzeuge in dieser Strategie wie bei BMW und Daimler eine wichtige Rolle spielen. Noch vor Jahren waren bei Audi Autos mit Diesel- und Benzinmotoren in Kombination mit einem Elektroantrieb verpönt. Doch dann mussten die Audianer erkennen, dass ohne die Plug-in-Hybride die strengeren Abgas-Normen der EU nicht einzuhalten sind. Mit 129 Gramm Kohlendioxid-Ausstoß pro Kilometer im Durchschnitt der Neuwagenzulassungen ist Audi noch weit entfernt von der künftigen EU-Vorgabe. Unter Zeitdruck kündigte Audi an, ihr Angebot an Hybrid-Autos zu erweitern. Betroffen sind davon große Modelle wie der Audi A6, A7, A8, Q5 und Q7, also Fahrzeuge, mit denen Audi hohe Deckungsbeiträge erwirtschaftet.Aber auch die VW-Tochter ist in ihrem E-Konzept nicht frei von Rückschlägen. Die Ingolstädter mussten jüngst hunderte von Fahrzeugen ihres ersten reinen Elektromodells E-Tron in die Werkstätten zurückrufen. Als Grund gab der Hersteller mit den vier Ringen an, dass durch eine fehlerhafte Dichtung Feuchtigkeit in die Batterie eindringen könnte, was zu einem Kurzschluss und im Extremfall zu einem Brand führen würde.Anders als BMW mit dem Kleinwagen i3 konzipierte Audi noch unter Stadlers Regie den wuchtigen Elektro-SUV, um mit diesem gewagten Schritt die Wettbewerber in die Schranken zu weisen. Die Audianer versuchten erst gar nicht wie der weiß-blaue Konkurrent im Jahr 2013, ihre E-Offensive mit einem E-Kleinwagen zu beginnen. Klotzen gehört weiterhin zum Geschäftsgebaren der Ingolstädter. Das kostet. Zuletzt erschienen: Daimler fährt mit der E-Mobilität mehrspurig (28.6.) BMW pocht auf Führungsrolle in der E-Mobilität (2.7.)