Start-ups

Europas VC-Investoren halten Einhörner für überbewertet

Laut einer Umfrage zweifeln Risikokapitalgeber derzeit mehrheitlich an den milliardenhohen Bewertungen europäischer Start-ups. Gleichzeitig entscheiden die Investoren oft noch aus dem Bauch heraus, ob sie in ein Unternehmen investieren oder nicht.

Europas VC-Investoren halten Einhörner für überbewertet

Europas VC-Investoren halten Einhörner für überbewertet

Vergleich mit börsennotierten Unternehmen schürt Zweifel am Renditepotenzial – Investmententscheidungen oft aus dem Bauch heraus

Unter europäischen Wagniskapitalgebern herrscht laut einer Umfrage derzeit Skepsis, was die Bewertungen sogenannter Einhörner in der Region angeht. Ganze 84% halten Start-ups, die in ihrer jüngsten Finanzierungsrunde auf eine Bewertung von mehr als 1 Mrd. Dollar gekommen sind, für überbewertet, wie aus einer Befragung des österreichischen Frühphasen-Investors Speedinvest und der Technischen Universität München unter 437 europäischen Investoren hervorgeht. Die Umfrage wurde im Schlussquartal 2022 durchgeführt.

Preise deutlich gesunken

Aus Sicht von Andreas Schwarzenbrunner, Partner bei Speedinvest und Leiter der Umfrage, ist das ein eindeutiges Ergebnis. Vor allem der Vergleich mit den öffentlichen Märkten und mit der Private-Equity-Branche sorge derzeit für Zweifel unter den Venture-Capital(VC)-Investoren. „Wenn man sich die Bewertungen börsennotierter Unternehmen anschaut, dann sieht man, dass vor allem Tech-Firmen in der jüngeren Vergangenheit teilweise bis zu 90% an Wert eingebüßt haben“, sagt Schwarzenbrunner im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Bei großen Übernahmen durch Finanzinvestoren seien zudem die Kaufpreise deutlich gesunken. „In Kombination mit den gestiegenen Zinsen und der Inflation führt das zu der Annahme, dass Preise, die in den vergangenen zwei Jahren für gewisse Beteiligungen gezahlt wurden, wahrscheinlich nicht mehr dem entsprechen, was man jetzt dafür bei einem Exit bekommt.“

Die daraus folgende Zurückhaltung der VC-Branche hat sich bereits auf die „Geburtenrate“ europäischer Einhörner ausgewirkt. Im laufenden Jahr ist deren Anzahl laut Pitchbook erstmals seit 2015 unter dem Strich noch nicht größer geworden. Bis Ende Mai zählte der US-Datenanbieter insgesamt 128 Start-ups mit Milliardenbewertung – genauso viele wie im Vorjahr. Die Gesamtbewertung ist im Vergleich zum Vorjahr mit 471 Mrd. Euro sogar leicht zurückgegangen.

Das Ausstiegsszenario ist aber nicht der einzige Faktor, der sich laut der Speedinvest-Umfrage auf die Bewertung von Start-ups auswirkt. 30% der Investoren berücksichtigen demzufolge bei der Analyse auch den gewünschten Eigentumsanteil. Und der liegt in Europa mit durchschnittlich 13% momentan noch deutlich unterhalb dessen, was US-amerikanische VC-Investoren fordern (23%). „Ein Grund für diese Unterschiede könnte darin liegen, dass europäische Risikokapitalgeber eher dazu tendieren, Investitionen im Syndikat durchzuführen“, heißt es in der Studie. Dies wiederum könne damit zusammenhängen, dass hiesige Investmentgesellschaften meist noch jünger sind als US-amerikanische und deshalb stärker auf den Netzwerkeffekt setzen.

Schwarzenbrunner geht jedoch davon aus, dass auch europäische VCs in Zukunft noch höhere Forderungen stellen dürften. „Ich glaube, dass den Firmen zunehmend bewusst werden dürfte, dass die Beteiligungshöhe an einem Unternehmen bei einem Exitfall einen massiven Unterschied macht“, so der Investor. „Ob ich 5, 10 oder 15% an einem erfolgreichen Unternehmen halte, hat einen riesigen Einfluss auf die Performance meines Fonds.“

Finanzen oft nebensächlich

Bekanntermaßen treffen VC-Investoren ihre Entscheidungen aber ohnehin nicht nur auf Grundlage von finanziellen Bewertungskriterien. Das hat die Umfrage von Speedinvest ebenfalls sehr deutlich gezeigt. Ganze 13% schenken Finanzkennzahlen tatsächlich gar keine Beachtung, wenn sie überlegen, ob sie in ein Start-up einsteigen oder nicht. Gleichzeitig hält jedoch die Hälfte aller Teilnehmer das Management-Team für den entscheidenden Faktor. 42% seien bei einem ersten Treffen mit einem Management-Team auch schlicht schon mal ihrem „Bauchgefühl“ gefolgt. „Das unterstreicht: Der erste Eindruck zählt“, so das Resümee von Speedinvest.

Das massive Ungleichgewicht in der Mittelverteilung etwa zwischen männlichen und weiblichen Start-up-Gründern verwundert vor dem Hintergrund wenig. „Es ist ein starker Bias dabei, was viele Investoren wahrscheinlich unterschreiben würden“, sagt Schwarzenbrunner. Der „Bias“ wird in der Wissenschaft als Verzerrung der eigenen Wahrnehmung beschrieben, die von Stereotypisierungen und Vorurteilen geprägt ist. Eine Folge ist, dass rein weibliche Gründerteams im vergangenen Jahr in Europa genau 0,9% vom insgesamt investierten Risikokapital erhalten haben. Auch Gründer und Gründerinnen mit Migrationshintergrund sind in der hiesigen Start-up-Szene noch massiv unterrepräsentiert und erhalten weniger Kapital. „In vielen Investment-Teams herrscht bislang noch wenig Diversität“, sagt Schwarzenbrunner. Gerade im Vergleich zur wachsenden Zahl an Unternehmensgründerinnen gebe es auf der Seite noch viel Aufholpotenzial.

kro Frankfurt