Studie

Finanzvorstände alter Schule geraten in Bedrängnis

Männlich, über 50 und BWL studiert – das sind bis heute die üblichen Charakteristika eines Finanzvorstands (CFO) in einem deutschen börsennotierten Unternehmen. Doch anders als die seit Jahrzehnten homogene Gruppe der Finanzchefs hat sich die Rolle...

Finanzvorstände alter Schule geraten in Bedrängnis

Von Annette Becker, Düsseldorf

Männlich, über 50 und BWL studiert – das sind bis heute die üblichen Charakteristika eines Finanzvorstands (CFO) in einem deutschen börsennotierten Unternehmen. Doch anders als die seit Jahrzehnten homogene Gruppe der Finanzchefs hat sich die Rolle des CFO über die Jahre drastisch gewandelt. „Der Veränderungsdruck hat sich im Zuge der Pandemie nochmals erhöht. Der CFO muss das abbilden. Finanzvorstände der alten Schule geraten zunehmend in Bedrängnis“, erläutert Peter Neubacher, Director bei Alix Partners und Co-Autor der Studie „How to succeed – or fail – as a CFO”, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Neubacher muss es wissen, kommt er als Sanierungsberater doch häufig als Interims-CFO zum Einsatz.

Für die Studie wurden die CFOs aus Dax, MDax und SDax im zweiten Quartal 2020 unter die Lupe genommen. Die Analyse fußt auf öffentlich zugänglichen Informationen. „Es spricht nichts gegen mehr Diversifikation in der CFO-Position“, formuliert Neubacher leise Kritik.

Dass das Pflichtenheft von CFOs dicker geworden ist und damit nicht jeder klarkommt, spiegelt sich nach der Studie auch in der kürzeren Verweildauer von Finanzchefs auf ihren Posten. Die Personalberatung Korn Ferry förderte zutage, dass die Verweildauer der CFOs in den Top 1 000 US-Unternehmen jüngst um 10 % oder 0,4 Jahre abgenommen hat. Auch in Deutschland kommt es demnach häufiger zu CFO-Wechseln.

Empathie gefragt

Finanzvorstände müssten sich der veränderten Rolle bewusst werden, die mit neuen Eigentümerstrukturen und der Vielstimmigkeit im Kreis der Kapitalgeber einhergehen, sagen die Studienautoren. Doch auch in der Innensicht komme dem Finanzvorstand eine größere Bedeutung zu. „Entscheidend ist, die verschiedenen Stakeholderinteressen zu verstehen und unter Berücksichtigung dieser eine Strategie zu erarbeiten. Das heißt, der CFO muss Empathie mitbringen.“ Denn es sei Aufgabe des Finanzchefs, das „Strategiebuch“ für Wertschaffung und Veränderung zu schreiben.

Damit ist auch klar, dass es auf Transparenz und Kommunikation mit allen Stakeholdern – angefangen bei den Banken und anderen Geldgebern über die Beschäftigten bis hin zu den Gewerkschaften – ankommt. Deren Interessen zu verstehen und unter einen Hut zu bringen, sei entscheidend in der Transformation. „Transparenz schaffen, heißt nicht, ein neues ERP-System einzuführen“, bringt es Neubacher auf den Punkt.

Zwar sei der Druck auf traditionelle Geschäftsmodelle schon vor Ausbruch der Coronakrise gewachsen, die Pandemie habe die Entwicklung aber zweifelsohne beschleunigt. Kernaufgabe eines Finanzvorstands sei es, das Geschäftsmodell kontinuierlich fortzuentwickeln und die Vorstellungen der verschiedenen Stakeholder in messbare Prozesse zu wandeln. „Das hat wenig mit der vergangenheitsbezogener Zahlenanalyse zu tun“, weiß Neubacher.

Zugleich verfügt der Finanzchef über die beste Ausgangsposition. „Der CFO ist weitgehend unabhängig vom operativen Geschäft und verfügt daher über die beste Möglichkeit, kontinuierlich das Geschäftsmodell zu hinterfragen“, ist sich Axel Schulte, Managing Director und Global Co-Leader Turnaround & Restructuring bei Alix Partners, sicher. Die Pandemie habe den Transformationsbedarf sichtbar gemacht. Ein Beispiel dafür sei, dass viele Unternehmen im vergangenen Frühjahr plötzlich ohne nach vorn gerichtete Liquiditätsplanung dastanden. Auch die Digitalisierung am Front End habe viele Firmen vor Herausforderungen gestellt, sagen die Sanierungsexperten. Sie sorgen sich, weil die Aufräumarbeiten nach der Pandemie noch gar nicht begonnen haben. Spätestens wenn die KfW-Kredite zurückbezahlt werden müssten, zeige sich, wer Krise könne. „Der CEO braucht in erster Linie einen exzellenten Co-Piloten und nicht bloß einen guten Steward in der Kabine“, gießt es Schulte in ein Bild. „Wer stark aus der Krise herauskommt, hatte in den meisten Fällen ein starkes Team aus CEO und CFO.“

Hire and Fire

Die Veränderung der CFO-Rolle hat schon weit vor der Pandemie begonnen, ausgelöst durch wachsende Investments von Finanzinvestoren sowie M&A-Aktivitäten. So habe die Untersuchung von zehn zufällig ausgewählten Unternehmen unter Private-Equity-Eigentümerschaft ergeben, dass sieben dieser Firmen in den vergangenen zehn Jahren mindestens vier verschiedene CFOs hatten. Bisweilen habe es sogar binnen eines Jahres gleich zwei CFO-Wechsel gegeben. Das liege daran, dass Finanzinvestoren mit einem kürzeren Zeithorizont arbeiten. Die Haltedauer für ein Portfoliounternehmen bewegt sich zwischen drei und fünf Jahren, und damit ist der Zeitrahmen für die Transformation abgesteckt.

Vor diesem Hintergrund muss nach dem Eigentümerwechsel sofort mit der Transformation begonnen werden, nimmt es doch viel Zeit in Anspruch, bevor Effizienzprogramme durchgeführt sind und in der Profitabilität auch sichtbar werden.

Riesige Chance

Anders als den CEOs, denen unter Finanzinvestoren als Eigentümern eine andere Rolle zukommt, liegt es am Finanzchef, den Prozess der Wertschaffung zu implementieren. „Unter Private-Equity-Eigentümerschaft ist der Finanzvorstand häufig am stärksten gefordert und wird oft auch als Erstes ausgetauscht“, weiß Co-Studienautor Schulte. Zudem sind Finanzinvestoren in der Regel mit ausreichend Branchenwissen ausgestattet, so dass sie mit dem Management auf Augenhöhe kommunizieren können. Nach Ansicht der Sanierungsexperten ist es weniger der Mangel an Know-how, sondern defensives, zu wenig auf Zusammenarbeit ausgerichtetes Verhalten der CFOs, das am Ende zum Austausch führt. Daher sollte der Finanzchef in dieser Situation das Heft in die Hand nehmen und aktiv in die Verantwortung für den Veränderungsprozess gehen.

Doch so sehr Krisen und Eigentümerwechsel den CFO fordern, so groß sind nach Einschätzung von Alix Partners auch die Chancen. So seien 27 % der Dax-Chefs zuvor Finanzchefs gewesen. Kaum ein Zufall: Wer vom CFO zum CEO aufsteigt, war zuvor in diesem Unternehmen für die Finanzen zuständig. Denn die Manager verfügen über die internen Netzwerke, kennen die Investoren und haben die Unternehmens-DNA verinnerlicht. „Der hohe Transformationsbedarf ist für CFOs auch eine riesige Chance. Wenn sie sich in der Krise bewähren, qualifizieren sie sich für höhere Weihen“, ist Schulte überzeugt.