Führungskrise bei Bilfinger

Konzernspitze demonstriert nach CEO-Blitzrücktritt herzliche Einigkeit - Eignerwechselpläne gelten als Auslöser

Führungskrise bei Bilfinger

Bei Bilfinger hat es gekracht. CEO Tom Blades geht völlig überraschend Knall auf Fall. Eine überzeugende Erklärung dafür bleibt Aufsichtsratschef Eckhard Cordes schuldig. Beide demonstrieren Einigkeit. Als Auslöser für den Rücktritt gilt jedoch der voraussichtlich bevorstehende Eigentümerwechsel.cru/ds Frankfurt – Kurz vor einem möglicherweise bevorstehenden Eigentümerwechsel muss sich der Industriedienstleister Bilfinger einen neuen Chef suchen. CEO Tom Blades hat mit sofortiger Wirkung – ein halbes Jahr vor Ende der Vertragslaufzeit – sein Mandat als Vorstandschef niedergelegt und wird übergangsweise von Finanzchefin Christina Johansson abgelöst (vgl. BZ vom 20. Januar). Offiziell ist der überstürzte Rücktritt nicht mit einem Konflikt verbunden: Der Aufsichtsrat, geführt von Eckhard Cordes, dem Vertreter des aktivistischen Investors und Bilfinger-Hauptaktionärs Cevian, dankte Blades für “seine herausragende Leistung als Vorstandsvorsitzender”.Cordes selbst hatte Blades von Linde zu Bilfinger geholt und war lange Zeit zufrieden mit ihm. Umso rätselhafter wirkt die lückenhafte Erklärung der beiden Konzernlenker für den Blitzrücktritt: “Mit fast 65 Jahren und nach einer intensiven beruflichen Laufbahn möchte ich mich nun stärker auf meine Familie und das Privatleben konzentrieren”, schreibt Blades in einem Brief an die 29 000 Beschäftigten, der der Börsen-Zeitung vorliegt. “Bilfinger ist heute ein ganz anderes Unternehmen als zu meinem Start im Jahr 2016, wenn Sie sich die Fokussierung, die Leistungsfähigkeit, Kultur und Werte anschauen.” In einem Brief an die Belegschaft schreibt Aufsichtsratschef Cordes: “Tom Blades kam 2016 in turbulenten Zeiten zu Bilfinger. (. . .) Dank seines Engagements konnten wir zum Beispiel das US-Monitoring-Verfahren erfolgreich abschließen.” Damit nahm er Bezug auf die Tatsache, dass Bilfinger bis Ende 2018 unter anderem wegen eines Korruptionsfalls seiner ehemaligen Tochter Julius Berger in Nigeria unter Beobachtung des US-Justizministeriums stand. Weiter schreibt Cordes: “Sie sehen: Tom Blades hinterlässt ein bestelltes Haus, im besten Sinne des Wortes. (. . .) Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger werden darauf aufbauen können. Der Prozess für die Suche nach einer langfristigen Nachfolgerin oder einem Nachfolger ist angestoßen.” Fester Nachfolger fehltVor dem Hintergrund dieser so ausführlich vorgetragenen Einigkeit überrascht es, dass der Aufsichtsrat keinen dauerhaften Nachfolger präsentieren kann – zumal das Auslaufen des Vertrags von Blades ohnehin schon so nahe gerückt ist und eine Regelung längst überfällig war.Aus Finanzkreisen verlautet, der Rücktritt von Blades hänge mit dem voraussichtlich bevorstehenden Eigentümerwechsel bei Bilfinger zusammen. Ende Oktober kursierten Gerüchte über eine mögliche Übernahme. Blades hatte diese Gerüchte im November zu zerstreuen gesucht. “Wir stellen uns nicht zum Verkauf”, wurde er zitiert. Bilfinger sei nicht “in einen Verkaufsprozess mit Private Equity verwickelt”, wurde er im November weiter zitiert. Nun heißt es in Finanzkreisen, Blades habe keine “lame duck” werden wollen. Als eine weitere Lesart aus Finanzkreisen für den überstürzten Rücktritt von Blades wird auch angeführt, dieser könnte überzogene Vorstellungen von der Laufzeit seines neuen Vertrages und der Vergütung gehabt haben. Als diese nicht erfüllt worden seien, habe er hingeworfen.Auf die Frage, ob Bilfinger für einen Verkauf an Finanzinvestoren offen sei, erklärte das Unternehmen am Mittwoch schriftlich: “Derzeit gibt es Berichte in den Medien, in denen über ein mögliches Interesse privater Beteiligungsfonds an Bilfinger spekuliert wird. Ziel von Bilfinger ist es, die Wertschöpfung für unsere Anteilseigner zu steigern. In diesem Rahmen ist Bilfinger regelmäßig im Austausch mit Dritten, um die strategische Weiterentwicklung und die Möglichkeiten zur Wertschöpfung mit ihnen zu diskutieren. Grundsätzlich kommentiert Bilfinger keine derartigen Gerüchte oder Spekulationen am Markt, sofern dies nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.”Das Unternehmen, das an der Börse rund 1,3 Mrd. Euro wert ist – etwa genauso viel wie bei Blades` Amtsantritt vor viereinhalb Jahren – gehört zu 27 % dem schwedischen aktivistischen Investor Cevian, der damit bisher viel Geld verloren hat. Weitere 12 % gehören seit Anfang 2020 dem Londoner Hedgefonds ENA Capital, der vor einigen Monaten ausdrücklich erklärte, mit der Beteiligung nicht näher benannten Einfluss auf den Konzern nehmen zu wollen.Ebenfalls seit einigen Monaten wird von der Investmentbank Perella Weinberg das Interesse etwaiger Käufer eruiert. So soll der Finanzinvestor Clayton Dubilier & Rice eine Übernahme samt anschließender Beendigung der Börsennotierung prüfen. Auch andere Private-Equity-Häuser zeigen Interesse. Darüber hinaus gibt es auch Konkurrenten, die eine potenzielle Übernahme erwägen könnten, darunter Hochtief, Vinci oder Bouygues.Investoren reagierten am Mittwoch verunsichert und machten nach dem zuletzt guten Lauf der Bilfinger-Aktie erst einmal Kasse. Der Kurs sank um 4,7 % auf 28,22 Euro. Allerdings hatte der Wert des Papieres sich seit Ende Oktober auch nahezu verdoppelt.Der gebürtige Brite und ehemalige Linde-Vorstand Blades stand seit Mitte 2016 an der Bilfinger-Spitze und hatte nach dem Verkauf des Tafelsilbers, der Immobiliendienstleistungen Apleona, die an EQT und später an PAI Partners gingen, einen tiefgreifenden Umbau eingeläutet. Seitdem konzentriert sich der Konzern auf zwei Geschäftsbereiche und trennte sich von verlustbringenden Sparten. Zudem führte Blades ein umfangreiches Compliance-System ein. Im vergangenen Jahr konnte Bilfinger zudem zwei Altlasten endlich zu den Akten legen. So einigte sich das Unternehmen im Streit um Schadenersatz mit früheren Vorständen, darunter dem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten und Ex-CEO Roland Koch, auf die Zahlung von fast 17 Mill. Euro. Der Aufsichtsrat hatte grundsätzlich allen Vorstandsmitgliedern, die zwischen 2006 und 2015 amtierten, aber vor 2015 in das Gremium eintraten, Pflichtverletzungen vorgeworfen. Konzern aufgeräumtZudem schloss Bilfinger mit der Stadt Köln einen Vergleich im Zusammenhang mit dem Einsturz des Stadtarchives aus dem Jahr 2009 während des Baus einer U-Bahn, an dem die Mannheimer beteiligt waren. Bilfinger zahlt dabei 200 Mill. Euro, die voll durch die Versicherer abgedeckt werden.Zugleich bekräftigte Bilfinger ihre Prognose für 2020 erneut. Das Unternehmen rechnete zuletzt mit einem Umsatzrückgang von rund 20 % gegenüber dem Vorjahreswert von 4,3 Mrd. Euro. Das um Sonderposten bereinigte operative Ergebnis (Ebita) soll deutlich sinken, aber positiv bleiben. 2019 hatte Bilfinger noch einen bereinigten Gewinn vor Zinsen, Steuern und Firmenwertabschreibungen von 104 Mill. Euro ausgewiesen. Allerdings geht das Unternehmen beim Konzernergebnis von einem Verlust aus. Seinen ursprünglichen Ausblick für das Jahr 2020 hatte der Vorstand bereits im Februar gestrichen. 2021 sollen sich Umsatz und Ergebnis “deutlich verbessern”.