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Für Taycan und EQC zurück auf die Schulbank

Von Isabel Gomez, Stuttgart Börsen-Zeitung, 30.7.2019 Kein Verbrennungsmotor, keine Abgasanlage, keine Antriebswelle. Dafür ein Elektromotor, eine Batterie und ein Hochvolt-Bordnetz. Die Elektromobilität stellt die Autoindustrie nicht nur in der...

Für Taycan und EQC zurück auf die Schulbank

Von Isabel Gomez, StuttgartKein Verbrennungsmotor, keine Abgasanlage, keine Antriebswelle. Dafür ein Elektromotor, eine Batterie und ein Hochvolt-Bordnetz. Die Elektromobilität stellt die Autoindustrie nicht nur in der Entwicklung vor Herausforderungen. Auch auf die Belegschaft kommen große Veränderungen zu. Weil in der Produktion künftig weniger Einzelteile erforderlich sind, aber vor allem weil neue Komponenten und teilweise neue Produktionssysteme gänzlich andere Kenntnisse erfordern als jene, die in den vergangenen 130 Jahren industriellen Fahrzeugbaus gefragt waren.Bei Porsche und Daimler steht die Einführung der ersten rein elektrischen Autos kurz bevor. Daimlers in Bremen gebauter EQC soll im Herbst flächendeckend auf den Markt kommen. Porsches Taycan feiert im September Weltpremiere. Beide Konzerne müssen Tausende Beschäftigte für die Produktion dieser Fahrzeuge schulen, vor allem im Umgang mit der Hochvolt-Technologie. Porsche hat dafür am Stammsitz in Stuttgart-Zuffenhausen für einen zweistelligen Millionenbetrag ein spezielles Qualifizierungsprogramm aufgelegt. Daimler ließ sich die allgemeine Mitarbeiterqualifizierung im vergangenen Jahr 123 Mill. Euro kosten. Speziell dafür gebaute Trainingsgebäude sind da noch nicht eingerechnet.Das neue Auto und die speziell gebaute Taycan-Fabrik mit neuen Technologien wie fahrerlosen Transportsystemen statt Bändern führen bei Porsche zu erheblichem Schulungsbedarf und einem umfangreichen Auswahlprozess. Gut 32 000 Bewerber kommen bisher auf die 1 500 neu geplanten Stellen für die Taycan-Fertigung. 1 000 davon sind bereits an Bord, darunter 100 Kollegen aus dem latent von Kurzarbeit bedrohten VW-Werk Emden und 300 aus der eigenen Belegschaft, die zum Taycan wechseln wollten.Daimler muss die bestehende Belegschaft indes vor allem für das neue Fertigungskonzept vorbereiten: Die EQ-Elektroautos werden in die Serienproduktion bestehender Werke integriert. Diese flexible Fertigung soll dafür sorgen, dass künftig Autos mit verschiedenen Antriebsarten so produziert werden können, dass der Konzern rasch auf Nachfrageänderungen reagieren kann.Seit 2018 haben Jasna Peters, Projektleiterin Qualifizierungsstrategie bei Porsche, und ihre Kollegen an einer Struktur gearbeitet, die sicherstellt, dass jeder künftige Taycan-Arbeiter zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Maßnahme fortgebildet wird. Und das unter Berücksichtigung bereits vorhandener Kenntnisse. 45 Funktionsgruppen von Schweißern über Montierer, Anlagensteuerer, Prüfstandsmitarbeiter bis hin zu Instandhaltern und Logistikern hat Peters identifiziert und für jede Funktion Kompetenzanforderungen und einen davon abgeleiteten Qualifizierungsplan erstellt.Vier Wochen bis sechs Monate lang durchlaufen die Mitarbeiter das auf sie zugeschnittene Training – und dürfen davor auch nicht in die Produktion einsteigen. Zu riskant wäre es, wenn beim Umgang mit Hochspannung ein Unfall passierte. Vier Tage lang dauert der Taycan-spezifische Ausbildungsteil, weitere sieben Tage sind den Produktionsprozessen in Zuffenhausen gewidmet.Auch Daimler setzt bei der Qualifizierung der Mitarbeiter für die E-Mobilität vor allem auf interne Maßnahmen. Und das in allen Werken, die E-Autos bauen werden, ob Bremen oder Peking. In Bremen übernahm der Konzern Anfang 2017 rund 150 Leiharbeiter fest, um sich für die EQC-Serienproduktion zu wappnen. Sie alle mussten Schulungen durchlaufen. Die Inhalte hängen auch hier vom jeweiligen Jobprofil ab und dauern “von wenigen Stunden für einfache Hochvolt-Sicherheitsunterweisungen bis zu mehreren Schulungstagen für angehende Elektrofachkräfte für Hochvolt-Antriebssysteme”, so der Konzern. Scheu vor E-Autos nehmenPorsche legt im Rahmen der Schulungen vor allem bei den Neueinstellungen Wert darauf, Begeisterung für das Produkt und die Marke zu wecken. Außerdem, und das gilt auch für die Kollegen von VW und aus der eigenen Sportwagenproduktion: “Sie sollen die Scheu vor der Elektromobilität verlieren”, wie Dieter Esser, Leiter Berufsausbildung, sagt. Daher finden auch Schulungen zur Ladetechnologie statt.Auf Frontalunterricht will Porsche möglichst verzichten. Gelernt wird daher in neu gebauten Qualifizierungshallen oder indem Produktionsschritte auch mal mit Lego-Steinen nachgestellt werden. Über eine 2017 aufgebaute digitale Plattform sind – für alle Mitarbeiter – nicht nur Workshop-Unterlagen abrufbar, sondern auch kleine Erklärvideos. In Quiz-Form können alle Porsche-Mitarbeiter in einer App die in Zuffenhausen neu entstandenen Gebäude an die richtige Stelle des Geländes ziehen oder schätzen, wie vielen Fußballfeldern deren Dachbegrünung entspricht. Mithilfe von Augmented- oder Virtual-Reality-Brillen können die neuen Mitarbeiter zudem an einem virtuellen Taycan arbeiten.Diese spielerischen Lehrmethoden sollen dabei helfen, auch älteren Mitarbeitern in der Produktion “eine Lernkultur nahezubringen”. Diese sei auch angesichts kommender Entwicklungen wie künstliche Intelligenz enorm wichtig. Auch sie haben daher über Tablets Zugriff auf die Plattform und können sich beispielsweise gegenseitig zum Quiz herausfordern. Eine Leistungskontrolle findet Peters zufolge nicht statt. Beim Hochvolt-Quiz kommt man jedoch nur zur nächsten Frage, wenn die vorherige richtig beantwortet ist.Auch Daimler setzt didaktisch auf mehrere Formate: von arbeitsplatznahem Lernen über Seminare und Online-Kurse bis zu Fachtagungen. Auch berufsbegleitende Studienförderprogramme bietet der Konzern an, etwa für Bachelor-Abschlüsse in Elektromobilität an der TH Ingolstadt oder einen Master in Alternativen Antrieben in der Fahrzeugtechnik an der Hochschule Ostfalia.Bei den internen Maßnahmen vertraut Daimler auf das eigene Know-how. In den deutschen Pkw-Werken werden sogenannte Multiplikatoren geschult, die in ihren jeweiligen Heimatwerken ihr Wissen an ihre Kollegen weitergeben. Die Produktschulungen finden ebenfalls in speziellen Trainingscentern statt, bei Bedarf auch in der Produktion. Für die Batteriemontage, die Daimler künftig an weltweit sieben Standorten betreiben will, gibt es ein Mentoring-Programm von erfahrenen Kollegen im ältesten Batteriewerk in Kamenz.Die Teilnahmequote bei der Taycan-Qualifizierung liegt bei gut 90 %, und der Vorstand ist mit Inhalt und Ergebnis der Schulungen zufrieden. “Ich habe bis jetzt alles bekommen, was ich brauche”, so Produktionsvorstand Albrecht Reimold. Dass bis Oktober weitere bis zu 500 Fachkräfte – darunter noch dringend zu besetzende Schlüsselpositionen wie in der Instandhaltung der Elektronik – eingestellt werden, hält er für realistisch. Wenn Porsche ihre Prozesse im Hochlauf weiter optimiere, würden vielleicht auch weniger benötigt. Bereits jetzt könne der geplante Produktionshochlauf aber zumindest am Personal nicht mehr scheitern.