DAS CFO-INTERVIEW -- IM INTERVIEW: MARCUS A. KETTER

Gea will künftig größere Zukäufe tätigen

Der neue Finanzvorstand erteilt dem kleinteiligen M&A-Geschäft der Vergangenheit eine Absage - Elliott wartet ab

Gea will künftig größere Zukäufe tätigen

Herr Ketter, die neuen Mittelfristziele haben bei den Investoren für wenig Euphorie gesorgt. Der Aktienkurs ging am Donnerstag, als Sie auf dem Kapitalmarkttag die neue Richtung vorgaben, leicht nach unten. Gea hat in den vergangenen vier Jahren kontinuierlich an Profitabilität verloren und doch liegen die jetzt genannten Margenziele nur leicht über den Renditen von 2018.Es kommt auf die Ausgangsbasis an, die Sie betrachten. 2019 werden unsere Margen noch ein gutes Stück weiter rutschen. Das Niveau, das wir uns jetzt zum Ziel bis zum Jahr 2022 gesetzt haben, müssen wir also erst einmal wieder erreichen. Wir wollten daher realistische Ziele nennen. Gea soll wieder für Verlässlichkeit stehen. Die Zeit der Gewinnwarnungen ist vorüber. Wenn es dann doch noch besser läuft in ein oder zwei Jahren, kann man die Ziele immer noch einmal überarbeiten. Auch beim Umsatz wollen Sie nur 2 bis 3 % pro Jahr zulegen, obwohl Gea doch – und darauf verweist die Führung gerne – in so attraktiven und wachsenden Märkten wie die Nahrungsmittelindustrie operiert.Wir sind in langfristig wachsenden Märkten aktiv, im Unterschied zu schnell wachsenden Märkten wie dem Onlinehandel zum Beispiel, die dafür auch deutlich volatiler sein können. Unsere Märkte zeigen stetiges, jedoch nicht so starkes Wachstum. Insofern fühlen wir uns mit der Prognose wohl. Sie sind seit Mai Finanzvorstand von Gea und in einer Umbruchphase gekommen. Der Konzern muss sich neu organisieren, die Profitabilität ließ über viele Quartale zu wünschen übrig. Sie waren auf einiges vorbereitet. Hat Sie etwas noch wirklich überrascht?Das, was mich überrascht hat, war, wie kleinteilig die Gesellschaft doch ist. Unsere größte Tochter hat 1 900 Mitarbeiter, die nächste 1 000 und danach kommen nur noch Belegschaften mit einer dreistelligen Zahl von Beschäftigten oder weniger. Wir haben 204 operative Gesellschaften und insgesamt 67 ERP-Systeme. Das macht die Steuerung nicht gerade einfach. Das neue Management hat schon einiges angestoßen. Doch zuletzt schwächelte der Auftragseingang. Wie sieht es aktuell aus? Kommt die versprochene Belebung im zweiten Halbjahr wirklich?Die allgemeine Konjunktursituation ist so, dass wir generell im Maschinenbau eine leichte Verschlechterung sehen. Gea ist jedoch in relativ stabilen Märkten unterwegs. Wir erzielen 79 % unseres Umsatzes mit der Nahrungsmittel-, Getränke- und Pharmaindustrie. Die sind weniger konjunktursensibel als zum Beispiel der Automotive-Bereich. Wir hatten im Juni einen spürbaren Einbruch bei den Bestellungen, aber das ließ sich vor allem mit Verschiebungen erklären. Die Auftragseingangssituation bei uns würde ich nach wie vor als gut bezeichnen. Gea hat als Maschinenbauer nicht nur mit Konjunktureinflüssen zu kämpfen, sondern muss sich stark mit sich selbst beschäftigen. Sie haben jetzt Ihren Umbau noch einmal intensiviert. Wie läuft die angestoßene Neuorganisation des Konzerns generell?Generell läuft die Reorganisation sehr gut, aber sie ist auch sehr umfassend. Wir gehen von zwei Business Areas auf fünf Divisionen plus den etablierten Länderorganisationen und einem Corporate Center. Wir haben pro Division ein dreiköpfiges Managementteam bestehend aus CEO, CFO und CSO, wobei das S für Service steht, der uns sehr wichtig ist. Diese Posten sind alle neu und mussten besetzt werden. Und auch alle Mitarbeiter müssen sich neu orientieren. Wir haben eine große Transfermatrix mit allen Beschäftigten erstellt, die jetzt auf fünf Divisionen aufgeteilt werden. Wie weit sind Sie mit der Restrukturierung des Anlagenbaus, der Business Area Solutions, die ja das größte Sorgenkind ist?Wir haben einen ersten Aufschlag gemacht und angekündigt, dass rund 220 Mitarbeiter dort das Unternehmen verlassen werden. Diese Maßnahme ist bereits weitgehend umgesetzt. Wir sehen aber noch weiteren Restrukturierungsbedarf in den Solutions-Bereichen. Hieran arbeiten wir derzeit. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren generell einfach zu viele Mitarbeiter an Bord genommen und mit der schwächeren Ergebnissituation haben wir jetzt Bedarf, unsere Profitabilität wieder zu steigern. Beinhaltet der Umbau auch eine neue Finanzierungsstrategie?Wir haben eine relativ niedrige Nettoverschuldung. Zum Jahresende waren das etwa 70 Mill. Euro, das ist saisonal wieder hochgegangen auf 320 Mill. Euro. Wir sehen derzeit keinen Bedarf, unsere Finanzierungsstrategie zu ändern, im Gegenteil: Wir wollen weiter Cash generieren. Wir sehen dringenden Bedarf, Net Working Capital zu reduzieren. So waren wir vor fünf Jahren bei einer Net-Working-Capital-Quote zum Umsatz von 9,4 %. Wir sind jetzt am Ende des zweiten Quartals bei 18,6 %. Das ist natürlich viel zu hoch. Was ist Ihr Ziel?Wir wollen zunächst auf 12 bis 14 % kommen. Ob wir so tief wie in der Vergangenheit kommen, kann ich noch nicht sagen, da auch unsere Lieferanten und Kunden alle Net-Working-Capital-Programme laufen haben. Und es kommt auch immer auf den Produktmix an, den man hat. Im Solutions-Geschäft zum Beispiel hat man die Möglichkeit, hohe Anzahlungen zu bekommen und gegebenenfalls sogar ein negatives Net Working Capital zu haben. Mit Elliott ist ein gefürchteter aktivistischer Investor bei Gea investiert. Einige wichtige Forderungen des Fonds sind mittlerweile erfüllt, wie zum Beispiel der Austausch des Managements. Wie groß ist der Druck von dieser Seite heute?Derzeit gibt es sicher eine große Erwartungshaltung von allen Investoren. Aber aktuell wird erst einmal geschaut, wie das neue Management agiert und welche Maßnahmen es aufsetzt. Bei unserem Kapitalmarkttag diesen Donnerstag hatten wir die Gelegenheit zum persönlichen Kontakt mit vielen wichtigen Investoren und Analysten, unter anderem natürlich auch mit Elliott. Bei dieser Gelegenheit haben wir umfassende Maßnahmen präsentiert und auch neue Mittelfristziele bis auf Divisionsebene veröffentlicht. Das Feedback des Kapitalmarkts hierauf war grundsätzlich positiv, speziell in Hinblick auf das Thema Vertrauen in unsere Aussagen beziehungsweise unseren Investment-Case. Wenn die Neuorganisation geschafft ist, kann Gea wieder mehr nach vorn schauen. Wird der Konzern zu seiner früheren recht aktiven M&A-Strategie zurückkehren?Wir können nicht gleichzeitig restrukturieren und akquirieren, das ist richtig. Wir wollen auf absehbare Zeit erstmal keine wesentlichen Akquisitionen tätigen. Wir können uns – wie am Donnerstag vorgestellt – in dieser Zeit eher Desinvestitionen vorstellen, um die Komplexität des Konzerns zu reduzieren. Aber dann werden auch wir wieder akquirieren, denn wir wollen nicht nur organisch, sondern auch anorganisch wachsen. Wir werden wahrscheinlich nicht so kleinteilig zukaufen wie in der Vergangenheit, denn so kleine Unternehmen sind sehr schwer im Rahmen eines Konzerns zu führen und der Integrationsaufwand ist hoch. Wahrscheinlich werden die Zukäufe eher größer sein, wir können uns Größenordnungen zwischen 200 bis 500 Mill. Euro Umsatz gut vorstellen. Sie haben kleinere Desinvestitionen in den Divisionen Farm und Refrigeration Technologies angekündigt. Könnte grundsätzlich auch eine der Divisionen vor dem Verkauf stehen?Wir haben zwei Kennzahlen – Ebitda und Roce -, an denen wir die Profitabilität beurteilen und einschätzen, wie wir sie in den nächsten drei Jahren steigern können. Das sind die harten Kriterien. Wir schauen uns zusätzlich an: Was passt zur Gea-Strategie? Wo sind wir in attraktiven Märkten unterwegs? Wir würden es nicht ausschließen, dass wir auch mal eine Division verkaufen würden, wenn die Desinvestitions-Kriterien erfüllt wären. Was sind attraktive Märkte für die Gea?Attraktive Märkte sind Nahrungsmittel, Getränke und Pharma – also die Märkte, die von der Nachfrage her stabiler sind, von der Tendenz her wachsen – zum Beispiel in Schwellenländern in Asien und Lateinamerika – und hohe Qualität und Hightech-Produkte benötigen. Für genau diese anspruchsvolle Prozesstechnologie steht GEA. In den genannten drei Branchen müssen beispielsweise jegliche Verunreinigungen vermieden werden, so dass es auf hohe Qualität und Präzision ankommt. Wie sieht das denn mit dem Öl- und Gasgeschäft von Gea aus, das nicht nur volatil ist, sondern in Zeiten der Klimakrise auch unter Druck steht?Das ist für uns ein relativ kleines Geschäft, das nur etwa 1 % vom Umsatz ausmacht, und in das wir hauptsächlich Technologien liefern, die wir im Konzern bereits für andere Kundenindustrien anbieten. Das wird kein Geschäft sein, das wir verstärken wollen. Aber wir schauen uns – wie gesagt – alles an. Mit welchem Leverage – aktuell liegt er bei 1,3 – fühlen Sie sich wohl, wo liegt Geas Komfortzone bei der Verschuldung und wie viel Spielraum hätten Sie für Akquisitionen?Wir wollen unser Investment-Grade-Rating definitiv halten. Der genannte aktuelle Wert von 1,3 beinhaltet allerdings IFRS 16 mit den ganzen aktivierten Leasing-Verbindlichkeiten. Ohne würden wir nur bei 0,8 liegen. Für unsere Kreditverträge gilt ein sogenanntes Frozen Gaap, das heißt, dass eine Kennzahlenanpassung wie durch IFRS 16 eliminiert wird. Es gelten also die Benchmarks zur Zeit des Vertragsabschlusses einer Kreditlinie. Damit lägen wir nur bei 0,8 Ende des zweiten Quartals. Man muss aber fairerweise sagen, dass die Ratingagenturen Leasing und Pensionsverbindlichkeiten schon immer eingerechnet haben und wir in deren Rechnung höher liegen. Wird Gea weiterhin auf stetige Dividendenzahlungen setzen oder werden Aktienrückkäufe künftig eine größere Rolle spielen?Wir wollen vornehmlich die Dividende stabil halten – das gilt auch für 2019. Wir haben grundsätzlich einen Korridor für die Ausschüttungsquote von 40 bis 50 % des Nettoergebnisses als Zielgröße. Da lagen wir für das vergangene Jahr deutlich drüber, und das wird auch für dieses Jahr so sein. Aber wir wollen die Stabilität der Dividende gewährleisten, trotz aller Veränderungen, die der Konzern durchläuft. Aufgrund unserer Bilanz und Finanzierung sehen wir das auch als gut möglich an. In Ihr Ressort fällt auch das Thema IT und Digitalisierung. Die IT hat sich auch als Problem bei Gea entpuppt.In der IT räumen wir gerade erst mal auf. Wir haben dafür ein Budget von 148 Mill. Euro bis 2025 vorgesehen. Mehr Digitalisierung wird als nächster Schritt kommen. Wir stecken in einer umfassenden Reorganisation, die zunächst einmal geschafft werden muss. Wir beschäftigen uns also schon mit dem Thema Digitalisierung und erzielen hier bereits ganz konkrete Erfolge bei den Kunden, aber der Ausbau des Themas ist im Moment klar nachgelagert. Wie steht der Konzern in Sachen Digitalisierung denn da? Was ist zu tun?Es gibt viele Initiativen der Digitalisierung bei Gea. Der nächste Schritt muss für uns sein, die Themen in der Digitalisierung stärker zu bündeln. Es passiert viel in den 204 operativen Gesellschaften, aber es muss eine klare Ausrichtung und Bündelung geben, was wir in der Digitalisierung machen. In unseren ERP-Systemen brauchen wir eine digitale Anbindung unserer Kunden und Lieferanten. Wir haben dazu einen Bereich Business Process Management geschaffen, das gab es vorher nicht. Dann haben wir als Maschinenhersteller die Möglichkeit, Daten zu sammeln über unsere Produkte. Das ist Industrial Internet of Things und eine starke Stoßrichtung. Beides wird die Aufgabe unseres neuen CIO und seines Stellvertreters sein, der am 1. Oktober neu anfängt. Haben Sie die beiden von außen geholt?Christian Niederhagemann ist im Mai von Mann + Hummel gekommen, sein Vize Michael Claus kommt von Schuler. Die 2014 an Triton abgegebene Wärmetauschersparte von Gea steckt in der Klemme, die Holding über den operativen Einheiten ist insolvent und die Gläubiger streiten sich mit dem Finanzinvestor. Hat Gea damals an den Falschen verkauft? Und ist Gea als Gläubiger oder in Haftungsfragen irgendwie betroffen?Im Nachhinein ist da die Frage: Wer ist “best owner”? Es ist sehr schade, dass die Holding Insolvenz angemeldet hat und damit keine schöne Situation auch für die Mitarbeiter. Es scheint ein schwieriges Geschäft in den vergangenen Jahren gewesen zu sein. Aber ich war damals beim Verkauf noch nicht an Bord und kann dazu nicht mehr sagen. Betroffen sind wir durch die Insolvenz nicht. Im Juni ist Gea völlig überraschend in einem alten Asbest-Fall in den USA in erster Instanz zu 70 Mill. Dollar Schadenersatz verurteilt worden. Gibt es neue Entwicklungen hier?Im Fall dieser Schadensersatzforderung haben wir uns mit dem Kläger außergerichtlich einigen können. Die Summe, über die Stillschweigen vereinbart wurde, liegt wie von uns erwartet deutlich unter der Schadensersatzsumme des erstinstanzlichen Urteils. Für das Risiko hatten wir bereits im zweiten Quartal bilanzielle Vorsorge getroffen. Damit wäre das Thema für Gea abschließend geklärt. Das Interview führte Antje Kullrich.