Einzelhandel in Deutschland

Handel blendet Risiken in Umsatzprognose aus

Der Handelsverband Deutschland rechnet für 2025 inflationsbereinigt mit marginalem Wachstum. Die Einzelhändler beurteilen die Aussichten für das zweite Halbjahr aber mehrheitlich negativ. Für zusätzliche Belastungen könnte durch indirekte Effekte eine Verschärfung des Handels- und Zollstreits sorgen.

Handel blendet Risiken in Umsatzprognose aus

Handel blendet Risiken in Umsatzprognose aus

Verband bekräftigt Wachstumsschätzung von nominal 2 Prozent – Verschärfung des Handels- und Zollstreits könnte indirekt gravierende Folgen haben

md Frankfurt

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat seine Prognose für das Umsatzwachstum in diesem Jahr bekräftigt. Die Lobby-Organisation der Einzelhändler geht von einem nominalen Plus von 2,0 (i.V. 2,2)% aus. Inflationsbereinigt bleibe ein geringfügiger Anstieg um 0,5 (0,9)% übrig. „Wir liegen momentan in der Umsatzentwicklung oberhalb unserer Prognose“, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth vor Medienvertretern. Doch für eine Anhebung des Ausblicks sind die Signale für die Entwicklung im zweiten Halbjahr zu widersprüchlich und die Risiken zu hoch.

Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE)
Foto: HDE/Hoffotografen

Zu den Mutmachern gehört die Verbraucherstimmung, die sich in den vergangenen Monaten Schritt für Schritt verbessert hat. Gemäß dem am Montag veröffentlichten HDE-Konsumbarometer, dass monatlich durch Befragung von 1.600 Personen ermittelt wird, ist die Kauflaune der Verbraucher in Deutschland so gut wie seit einem Jahr nicht mehr. Das Barometer stieg auf 97,73 (Vormonat: 97,35) Punkte, wie der HDE mitteilte. Vom neutralen Wert von 100, der zuletzt – und nur für kurze Zeit – im Sommer 2021 erreicht und übertroffen wurde, ist der Index aber noch ein Stück weit entfernt.

HDE

„Es ist davon auszugehen, dass die positive Entwicklung der Verbraucherstimmung anhalten, allerdings nicht deutlich an Dynamik gewinnen wird“, bremst der Verband jeden Anflug von Optimismus. „Für eine schnelle Erholung des privaten Konsums agieren die Verbraucher noch zu vorsichtig, die Konsumzurückhaltung ist noch immer spürbar.“ Die zuletzt verringerte Anschaffungsneigung wird auf die deutlich eingetrübten Erwartungen hinsichtlich der eigenen Einkommenssituation zurückgeführt.

Unternehmen sind skeptisch

Anders als die Verbraucher, deren Stimmung sich auf Jahressicht verbesserte, sind die Einzelhändler mit Sicht auf das zweite Halbjahr recht pessimistisch: Wie die jüngste HDE-Umfrage unter rund 650 Handelsunternehmen zeigt, gehen 42% der Händler für das zweite Halbjahr von einer Stagnation ihrer Umsätze aus, 36% rechnen sogar mit einem Rückgang. Nur 22% erwarten ein Wachstum im Vergleich zur Vorjahreszeit. Noch schwächer sind die Ergebnisse mit Blick auf das abgelaufene erste Semester: Laut den Angaben sprachen 51% der Unternehmen von einer Verschlechterung der Geschäftslage im Vergleich zur Vorjahreszeit und 33% von einer wenig veränderten Lage. Gerade mal 16% wollen eine Verbesserung festgestellt haben.

Mehr als die Hälfte der Befragten rechnet gemäß dem HDE für das Gesamtjahr 2025 mit Umsätzen unterhalb des Vorjahresniveaus. Nur ein Viertel geht von höheren Erlösen aus.

Alexander von Preen, Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Hauptberuflich ist er CEO von Intersport Deutschland.
Foto: HDE/Hoffotografen

Die neue Bundesregierung „hat versprochen, für spürbare Entlastungen zu sorgen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln“, so HDE-Präsident Alexander von Preen. Jetzt sei es an der Zeit, dass die Politik Entlastungen auf den Weg bringt, die auch im Handel ankommen. Dringender Handlungsbedarf bestehe bei den Lohnnebenkosten, die in den nächsten Jahren auf 50% zu steigen drohen. „Ein Bekenntnis der Bundesregierung zu einer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge und zu einer dauerhaften 40%-Obergrenze ist überfällig“, sagte von Preen. Gingen die Sozialversicherungsbeiträge ungebremst durch die Decke, seien massenweise Stellenstreichungen unvermeidbar.

„Mehr als ein Vertrauensbruch“

Auch auf die Abkehr der Bundesregierung von der im Koalitionsvertrag verankerten Stromsteuersenkung für alle blickt der HDE mit großer Irritation und Sorge. „Die Senkung der Stromsteuer war ein zentrales Versprechen der Regierung auch an Handel und Verbraucher. Bleibt diese Entlastung jetzt aus, ist das weit mehr als ein Vertrauensbruch", sagte von Preen. Den Unternehmen fehlten dadurch Hunderte Millionen für notwendige Investitionen, den Verbrauchern werde finanzieller Spielraum genommen. Die Spitzen von Union und SPD hatten vor kurzem eine Entlastung der Unternehmen bei der Stromsteuer vom 1. Januar an, nicht aber von Verbrauchern beschlossen. Das stieß vielfach auf Kritik.

Warenströme Richtung Europa

Die HDE-Vertreter gingen auch auf die Folgen der US-Handels- und Zollpolitik ein. Die Streichung der Zollfreigrenze von 800 Dollar für die Einfuhr von Waren nach Amerika sowie neue Bearbeitungs- und Paketgebühren für Produkte aus China habe dazu geführt, dass Online-Plattformen wie Temu und Shein den amerikanischen Markt gar nicht mehr bedienen, sondern sich voll auf Europa konzentrieren. „Diese Warenströme sind Richtung Europa umgeleitet worden“, so von Preen. Dies zeige sich an den Marketingaufwendungen für den europäischen Markt, die in die Höhe geschossen seien. „Wir haben hier eine eklatante Wettbewerbsverzerrung“, sagte von Preen. „Hier muss die EU-Kommission sofort handeln.“ Der HDE-Präsident zielte in seiner Kritik u.a. auf die sehr unterschiedlichen Nachhaltigkeitsvorschriften in der Konsumgüterproduktion in Europa und China ab.

Der HDE warnte darüber hinaus vor den indirekten Folgen hoher US-Importzölle für deutsche Autos. Gerate die Automotive-Industrie mit ihren vielen mittelständischen Unternehmen unter Druck, drücke das Kaufkraft und Konsumlaune. Dies bekäme dann auch der deutsche Einzelhandel deutlich zu spüren.

Der Handelsverband Deutschland rechnet für 2025 inflationsbereinigt mit marginalem Wachstum. Die Einzelhändler beurteilen die Aussichten für das zweite Halbjahr aber mehrheitlich negativ. Für zusätzliche Belastungen könnte durch indirekte Effekte eine Verschärfung des Handels- und Zollstreits sorgen.

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