Hartmann hat Hunger auf Übernahmen
– Herr Schulz, vor zwei Wochen wurde Britta Fünfstück als Nachfolgerin Ihres scheidenden CEO Andreas Joehle vorgestellt. Wie gut kennen Sie Frau Fünfstück denn schon?Wir haben uns kurz kennengelernt. Für Hartmann ist es gut, dass wir einen reibungslosen Übergang hinbekommen und es keine Unsicherheit im Unternehmen gibt. Wir können ohne Unterbrechung an unserer Strategie und unserer Weiterentwicklung arbeiten. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.- Sie wollen auf Jahressicht ein moderates Umsatzplus bei einem moderat rückläufigen operativen Ergebnis erzielen. Was heißt moderat genau?Zum Halbjahr lag das Ebit wie erwartet rund 7 % unter dem Vorjahr. Das ist in etwa, was wir unter moderat verstehen.- Wie war die operative Entwicklung seit Ende Juni?Absolut im Rahmen unserer Erwartungen. Ich kann unsere Jahresprognose zum jetzigen Zeitpunkt bestätigen.- Sie hatten bereits 2017 steigende Rohstoffkosten als belastenden Effekt genannt. Wie entwickelt sich das im laufenden Jahr?Der Preis für Rohöl steigt und damit zeitversetzt auch die Preise für die rohölbasierten Stoffe, die wir einsetzen, wie Polyethylen, Polypropylen oder Superabsorber. Wir kaufen uns über Sicherungsgeschäfte immer ein wenig Zeit, insofern trifft uns die Preisentwicklung bei Rohstoffen 2018 noch nicht so stark. Nächstes Jahr wird die Entwicklung allerdings spürbar. Dann laufen die Sicherungen aus. Fluff-Zellstoff hat 2017 etwa noch rund 1 100 Euro pro Tonne gekostet, jetzt sind wir bei 1 400 Euro, also ein deutlicher Anstieg- Können Sie diese Mehrkosten an anderer Stelle kompensieren?Wir prüfen unsere Prozesse laufend auf Optimierungspotenziale und wie wir auf Produktebene einsparen können. Uns kommt in diesem Zusammenhang die Lindor-Übernahme von Procter & Gamble entgegen. Der Konzern ist Benchmark in Lean Production. Insofern haben wir uns einiges an Potenzial eingekauft, das wir jetzt nutzen können. Noch wichtiger als das Kostenmanagement ist für mich aber, dass unsere strategische Positionierung richtig ist.- Die Investitionen in Ihre Strategie sind ein Grund für den geplanten Ergebnisrückgang . . .Wir nehmen den Ebit-Rückgang in Kauf, weil wir in unser Geschäft investieren. Es ist eine Stärke von Hartmann, dass wir mit langfristiger Perspektive agieren können. Bei uns geht das eher als bei Unternehmen, die stärker kapitalmarktorientiert sind. Aber auch bei der strategischen Positionierung sehe ich für uns noch Potenziale im institutionellen Geschäft sowie im Private-Pay-Sektor.- Wie sichern Sie sich gegen Wechselkursschwankungen ab?In einem rollierenden Verfahren, in dem wir uns über 12 bis 18 Monate absichern. Die Hedging-Quote liegt zwischen 40 % und 60 %. Im Schnitt ist also rund die Hälfte unseres Exposures sowohl bei den Währungen als auch bei den Rohstoffen abgesichert.- Wie weit sind Sie mit Ihrer Hedging-Strategie für das kommende Jahr?Die Planung für 2019 läuft und ist noch nicht abgeschlossen. Fakt ist aber, dass wir bei Währungen und Rohstoffen im nächsten Jahr einen gewissen Gegenwind spüren werden.- Der Handelsstreit zwischen den USA und China oder der Brexit: Was ist für Hartmann das größere Problem?Wir sind immer noch ein stark europäisch orientiertes Unternehmen. Den Auswirkungen des Handelsstreits sind wir daher nicht so stark ausgesetzt. Aber der Brexit trifft uns, vor allem über die Abwertung des Pfund. Wir fertigen nicht in Großbritannien und müssen importieren. Im Moment sehe ich jedoch aus Konzernperspektive bei beiden Themen keinen materiell großen Einfluss.- Sie hatten zuletzt im März gesagt, im Bereich Wundmanagement in den USA auf die Suche nach Übernahmen gehen zu wollen. Wie konkret ist diese Suche?Wir haben uns in einer umfassenden Marktanalyse etwa 800 Unternehmen angeschaut. Daraus haben wir 25 Unternehmen gefiltert und schließlich eine Shortlist mit zehn Firmen erstellt, mit denen wir Gespräche führen. Es ist aber immer die Frage, ob diejenigen gerade verkaufen wollen und ob der Preis stimmt. Das ist bei den Kapitalmarktbedingungen derzeit schwierig, vor allem bei eigentümergeführten Unternehmen. Das zweite Thema sind die Bewertungen. Insofern sind wir trotz des systematischen Ansatzes noch nicht zum Zug gekommen.- Was müsste denn passieren, damit die geforderten Preise auf ein für Hartmann akzeptables Niveau fallen?Nehmen wir das Beispiel Lindor in Spanien. Für Procter & Gamble war das kein Kerngeschäft mehr, daher wollten sie verkaufen. Wir schauen natürlich auch, ob Großkonzerne wie 3M in ihrem Portfolio Einheiten haben, bei denen wir wie bei Lindor zum Zuge kommen könnten.- Ist nur der Bereich Wundmanagement für Zukäufe interessant?Für uns ist auch der Bereich Desinfektion interessant. Wenn in anderen Bereichen eine Gelegenheit kommt, die strategisch passt, dann würden wir auch so ein Projekt umsetzen.- Gibt es auch Unternehmen oder Bereiche in Europa, die für eine Übernahme interessant sind?Auch hier suchen wir schwerpunktmäßig im Bereich Wunde und Desinfektion. Da gibt es ebenfalls Unternehmen, die aber derzeit nicht zum Verkauf stehen. In Spanien und Italien haben wir beispielsweise ein ganz ähnliches Screening gemacht wie in den USA.- Und in Asien?Asien war bislang nicht so stark in unserem Fokus. Ich schließe aber nicht aus, dass wir uns in 2019 auch dort genauer umsehen werden.- Welche Investitionsschwerpunkte haben Sie strategisch festgelegt, und wie kommen Sie voran?Wir haben im Gesundheitsmarkt große Herausforderungen. Da ist zum einen das Thema des demografischen Wandels. Immer mehr Patienten benötigen Leistungen, dadurch sinkt das zur Verfügung stehende Budget pro Kopf. Das führt zu Kostendruck. Auf der anderen Seite stehen auch unsere Kunden auf der Kostenbremse, die Stichworte sind hier Pflegenotstand und fehlendes Personal. Wir versuchen uns in diesem Umfeld mit unseren Produkten smart zu positionieren.- Was heißt das genau?Mit smarten Innovationen meinen wir Produkte, die beim Kunden umgehend helfen und entlasten. Der Patient muss einen Mehrwert haben, zum Beispiel, dass seine Wunde schneller heilt. Das Produkt muss einfach anzuwenden sein. Das ist wichtig, wenn das Pflegepersonal immer weniger Zeit hat und zunehmend aus anderen Ländern kommt. Und die Nutzung unseres Produkts muss eine Entlastung oder einen ökonomischen Vorteil bringen. Wir haben beispielsweise zwei neue Produkte für die Wundreinigung und den Wundverschluss entwickelt. Sie führen dazu, dass wir den Großteil aller chronischer Wunden behandeln können.- Wohin fließen die Investitionen genau?Wir investieren stark in den Vertrieb, was man auch in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung sehen wird. Diese Produkte sind für eine Klinik im Einkauf deutlich teurer als traditionelle Wundprodukte. Sie verkaufen sich daher nicht von alleine. Unser Vertrieb muss diese Systemlösung beispielsweise der Klinikleitung präsentieren oder direkt mit der Krankenkasse sprechen. Aber die Margen, die wir damit erzielen können, sind eben auch ganz andere als bei einem Standardprodukt.- Ist das Investitionsmuster auf alle Geschäftseinheiten übertragbar?Es hängt sehr stark vom Vertriebskanal ab. Wenn wir Produkte an Apotheken verkaufen, ist das ein anderer Ansatz. Im Private-Pay-Bereich investieren wir stärker in neue Produkte und Markenpositionierung. Die Wachstumsraten liegen deutlich über dem institutionellen Geschäft mit Kliniken. Daher ist Private Pay für uns ein wichtiges Zukunftsthema, bei dem wir mit neuen Produkten und Sortimenten nachlegen wollen.- Inwiefern spielt Digitalisierung eine Rolle für Hartmann?Wir digitalisieren, wenn es einen Nutzen bringt und wir ein leistungsfähiges digitales Geschäftsmodell auf den Markt bringen können.- Gibt es dafür ein Beispiel?500 000 Infektionen gehen in Deutschland jährlich auf Krankenhauskeime zurück. Die Behandlung kostet im Schnitt jeweils 10 000 Euro. Das sind also im Jahr 5 Mrd. Euro, mit denen das System dadurch belastet wird. Ganz abgesehen davon, dass so eine Infektion lebensgefährlich ist. Die Frage ist, wie man die Hygiene-Compliance im Krankenhaus verbessert.- Ist das die Ursache?Das ist eine wesentliche Ursache. Im Moment werden in Krankenhäusern im Schnitt Compliance-Raten von 30 % bis 50 % realisiert. Wir wollen die Rate auf 80 % heben. Die Digitalisierung bietet verschiedene Ansatzpunkte.- Welche?Bisher wurde die Einhaltung der Hygiene-Compliance schriftlich in Papierlisten kontrolliert, die anschließend händisch zu einer Datenbank zusammengetragen wurden. Wir geben der Fachkraft eine App in die Hand. Die Daten, ob eine Pflegefachkraft ihre Hände desinfiziert hat, gehen so direkt in eine Datenbank – eine immense Zeitersparnis. Zudem können sich Abteilungen und Kliniken so anonymisiert miteinander vergleichen und daraus ableiten, was sie vielleicht verändern müssen. Man kann das weiterdenken, etwa in Richtung digitalisierter Desinfektionsmittelspender. Auch daran arbeiten wir.- Wie viele dieser Systeme sind denn auf dem Markt, und hat sich die Compliance-Rate dadurch schon verbessert?Wir sind derzeit noch im Bereich Pilotanwendung und mitten in der Vermarktung. Das Universitätsklinikum Regensburg nutzt das Gesamtkonzept bereits.- Was gehört denn noch zum Gesamtkonzept?Das Thema Supply Chain, zum Beispiel. Die Spender müssen ja auch wieder befüllt werden. Da kann man durch Digitalisierung deutlich effizienter werden. So wollen wir das System kontinuierlich weiterentwickeln und ergänzen.- Welchen Umsatzanteil peilen Sie mit digitalen Produkten an?Perspektivisch wollen wir etwa ein Drittel des Erlöses über digitale Lösungen erzielen. Aber es kann indirekt auch mehr sein, wenn es Richtung Portale und E-Commerce geht.- Welche Rolle spielt E-Commerce für Sie heute?Überall, wo wir direkt in Verbindung mit dem Konsumenten stehen, ist E-Commerce schon heute ein wichtiger Punkt.- Welches Investitionsbudget haben Sie jährlich zur Verfügung?Im Schnitt investieren wir in etwa 4 % vom Umsatz in Sachanlagen. Darüber hinaus, wenn sich die Gelegenheiten ergeben, in M & A. Auf Forschung & Entwicklung entfallen weitere 3 % bis 4 % vom Umsatz.- Ist ein strategisches Ziel, auch Zukäufe nur aus dem Cash-flow zu stemmen, wie bei Lindor?Nein, das ist kein Ziel per se. Wir würden für eine Übernahme auch in die Finanzierung gehen. Die ist derzeit im Vergleich zu Eigenkapital günstig. Unsere hohe Eigenkapitalquote von derzeit rund 60 % gibt uns Stabilität, ist aber kein Selbstzweck.- Eine Finanzierung liefe dann klassisch über Ihre Banken?Wir haben unseren syndizierten Kredit, das ist die erste Quelle. Und bei Akquisitionen stellt sich dann die Frage, ob man ein spezifisches Finanzierungsvehikel nutzt.- Sie sind auch für die Marke Kneipp verantwortlich und haben in diesem Geschäft Investitionen angekündigt. In welche Bereiche?Kneipp ist traditionell sehr stark im Bereich Baden positioniert. Aber die fünf Säulen des Pfarrer Kneipp geben viel mehr her. Wir wollen die anderen Säulen mehr bespielen und etwa mit Arnika-Produkten für die Muskulatur auch das Thema Bewegung angehen. Beim Thema Kräuter überarbeiten wir unsere Tees, aber das ist eher ein perspektivisches Thema für 2020. Die Marke hat auf jeden Fall viel Potenzial für einen Ausbau und ist daher auch ein Investitionsschwerpunkt.- Welche finanziellen Ziele haben Sie mit Kneipp?Zu den Zahlen der einzelnen Gesellschaften äußern wir uns grundsätzlich nicht konkreter. Kneipp ist eines der Geschäftsfelder, das im Moment am stärksten wächst.- Auch am profitabelsten?Wir können so viel sagen: Es ist ein Geschäft, das durchaus deutlich zum Konzernergebnis beiträgt und uns sehr viel Freude bereitet.- Seit Mai 2017 gilt die Medizinprodukteregulierung MDR. Haben Sie intern alle Anpassungen abgeschlossen, die dafür nötig sind?Wir sind auf einem guten Weg und sehen über die Verbände auch, wo andere stehen. Da sind wir vorne mit dabei. Es ist noch nicht alles abgeschlossen, vielmehr wird uns das Thema noch viele Jahre begleiten. Es ist, wenn Sie so wollen, auch ein Investitionsschwerpunkt. Die Belastungen sind erheblich.- Was bedeutet die Umsetzung genau für Hartmann?Wir müssen zum Beispiel bei all unseren rund 30 000 Produkten die Verpackung anpassen, damit ein Produkt genau nachverfolgt werden kann. Dazu kommt die technische Dokumentation. Für einen klassischen transparenten Wundverband, der seit Ewigkeiten auf dem Markt ist und ein sehr geringes Gefahrenpotenzial hat, passt die Dokumentation in drei dicke Leitz-Ordner, das ist schon enorm. Mit dieser Arbeit befassen sich Kollegen, die eigentlich forschen und entwickeln sollen.- Um wie viele Monate wirft Sie das in der Entwicklung zurück?Wir haben von unseren Projektressourcen etwa die Hälfte in internen Projekten gebunden, von denen viele mit der MDR zusammenhängen. Wir müssen ja auch unsere Systeme validieren und nehmen Anpassungen im SAP-System vor. Wie viele Monate oder Jahre uns das in der Entwicklung kostet, ist schwer zu sagen. Aber es trifft die ganze Industrie, also auch alle Wettbewerber. Für eine bestimmte Zeit ist die Branche also mit dem Thema befasst, und das wirft uns insgesamt in der Innovationsfähigkeit zurück. Die Branche kann aber längerfristig von den geschaffenen Eintrittsbarrieren wiederum profitieren.- Was kostet Sie die Umstellung finanziell und wie lange?Wir haben in diesem Zusammenhang etwa 35 Personen neu eingestellt, was nachhaltig für höhere Kosten sorgt, weil die neuen Prozesse ja auch administriert werden müssen. Für die Zeit der Anpassung rechnen wir ab 2018 bis etwa 2021 pro Jahr mit etwa 10 Mill. Euro Belastung. Und nachhaltig mit Mehrkosten von jährlich rund 5 Mill. Euro.- Hat die MDR Konsequenzen für Neuzulassungen oder die Strategie?Ja. Wir schauen uns an, für welche Produkte sich der Aufwand überhaupt lohnt. Ich gehe davon aus, dass wir künftig weniger Produkte am Markt haben werden. Insbesondere bei kleinvolumigen Produkten.- Gibt es dafür Substitute, oder kann die MDR dazu führen, dass ein Produkt verschwindet?Zu einer solchen Verknappung wird es nicht kommen, dass Patienten nicht mehr ordentlich behandelt werden können.- Der Pflegenotstand betrifft Ihr Geschäft direkt. Was kann ein Unternehmen wie Hartmann abgesehen von Produkten beitragen, um etwas daran zu ändern?Ein Beispiel ist das Zukunftsforum, das wir zu unserem 200-jährigen Firmenjubiläum veranstaltet haben. Wir versuchen, das Thema zu positionieren. Wir unterstützen auch den Deutschen Pflegetag. Das sind für uns wichtige Termine, um Öffentlichkeit für die Branche zu generieren. Wir sehen ja, was die Menschen, die unsere Produkte nutzen, jeden Tag leisten.- 2015 hat sich die Schutzgemeinschaft der Hartmann Aktionäre aufgelöst, in der zuletzt rund 80 % des Grundkapitals gebunden waren. Daneben hält Ihr Ankeraktionär Schwenk Limes mehr als 50 % am Konzern. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung des Aktienkurses seit der Auflösung?Der Aktienkurs ist für uns keine Steuerungsgröße. Wir investieren in das Geschäft entsprechend unserer Strategie und mit einem langfristigen Horizont. Wenn wir das gut machen, dann spiegelt sich das im Aktienkurs wider. Wenn man die letzten Jahre betrachtet, dann hat sich der Kurs gut entwickelt. Der Rückgang im vergangenen Jahr ist eine Konsolidierung nach dem starken Anstieg nach der Auflösung der Schutzgemeinschaft. Außerdem ist unser Ergebnis im Ausblick moderat rückläufig.- Die Hartmann-Aktie ist im Basic Board gelistet. Könnten Sie sich vorstellen, die Handelbarkeit der Aktien zu erhöhen?Nein, da sehen wir derzeit keine Notwendigkeit. Wir sind in Sachen Liquidität gut aufgestellt, und unser Ankeraktionär gibt uns langfristig sehr viel Stabilität. Als Übernahmekandidat wären wir kein sinnvolles Ziel. Selbst wenn Sie den ganzen Free Float kaufen, könnten Sie in der heutigen Struktur keinen spürbaren Einfluss nehmen.—-Das Interview führte Isabel Gomez.