Serie: IAA Mobility (2)Milliardenmarkt

Heißer Kampf um die Vormachtstellung beim autonomen Fahren

In San Francisco dürfen Robotaxis künftig rund um die Uhr auf dem gesamten Stadtgebiet fahren. Die US-Metropole stößt damit das Tor zum potenziellen Milliardenmarkt für autonomes Fahren weiter auf. Zahlreiche Hersteller und Technologiekonzerne liefern sich nun einen heißen Positionskampf.

Heißer Kampf um die Vormachtstellung beim autonomen Fahren

Heißer Positionskampf beim autonomen Fahren

Autobauer und Tech-Konzerne messen sich in der Robotaxi-Entwicklung – Mercedes-Benz liegt bei hoch automatisierten Anwendungen vorn

Von Joachim Herr, München, Norbert Hellmann, Schanghai und Alex Wehnert, New York

In San Francisco dürfen Robotaxis künftig rund um die Uhr auf dem gesamten Stadtgebiet fahren. Die kalifornische Metropole stößt damit das Tor zum potenziellen Milliardenmarkt für autonomes Fahren weiter auf. Zahlreiche Automobilhersteller und Technologiekonzerne liefern sich nun einen heißen Kampf um die Vormachtstellung im Segment.

Es ist eine wegweisende Entscheidung für die Zukunft der Mobilität: Robotaxis der Firmen Cruise und Waymo dürfen künftig rund um die Uhr auf dem gesamten Stadtgebiet San Franciscos unterwegs sein. Vor der Abstimmung der California Public Utilities Commission aus der vergangenen Woche waren die führerlosen, mit einer Vielzahl elektronischer Sensoren ausgerüsteten Autos in der US-Metropole auf Nachtfahrten und Angebote in bestimmten Vierteln beschränkt. Trotz Widerstands von Polizei und Feuerwehr, die Behinderungen durch Robotaxis fürchten, sowie Bürgern, die sich in ihrer Sicherheit gefährdet sehen, stößt San Francisco das Tor zu einem potenziellen Milliardenmarkt damit weiter auf.

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Die Beratungsgesellschaft McKinsey geht davon aus, dass Hersteller über autonome Fahrzeuge bis 2035 einen jährlichen Umsatz von 300 bis 400 Mrd. Dollar generieren können, nachdem die Erlöse im Segment 2022 noch bei 40 bis 50 Mrd. Dollar gelegen hatten. Die bestehenden Anwendungen enthalten zumeist einfache Unterstützungen wie Tempomaten. Doch die Technologie entwickelt sich rasant, nach Vision von Ingenieuren wird der Mensch eines Tages nur noch in Extremsituationen gefragt sein. Das Robotaxi-Geschäft bietet Unternehmen dabei die Chance, ihre Präsenz im Markt für autonomes Fahren insgesamt zu stärken.

VW testet in Texas

Autobauer, aber auch Tech-Konzerne liefern sich nun einen heißen Positionskampf. Bei den in San Francisco aktiven Cruise und Waymo handelt es sich um Töchter von General Motors bzw. Alphabet. Die Google-Mutter will ihr Angebot in Kooperation mit dem Fahrdienst Uber auf ein größeres Gebiet rund um Phoenix, Arizona, ausweiten. Die Amazon-Tochter Zoox testet ihre Robotaxi-Dienste seit Juni in Las Vegas. Und Volkswagen schickt in Austin seit Juli zehn autonome Modelle des Elektro-Mikrobusses ID Buzz auf die Straße – ab 2026 sollen diese kommerziell unterwegs sein.

Beim hochautomatisierten Fahren liegt Mercedes-Benz unterdessen ganz vorn. Die Stuttgarter rühmen sich, das erste und bisher einzige System mit einer international gültigen Genehmigung anzubieten. Es heißt Drive Pilot und ist bisher in Deutschland sowie Kalifornien und Nevada zugelassen. Hierzulande ist es seit Mai 2022 auf dem Markt, demnächst können es auch Kunden in den USA bestellen. Als Sonderausstattung ist der Drive Pilot zunächst für die Modelle der S-Klasse und das Elektroauto EQS zu haben.

Möglich ist damit automatisiertes Fahren auf Level 3. Dabei übernimmt der Drive Pilot unter bestimmten Bedingungen vorübergehend: bei hohem Verkehrsaufkommen oder in Stauungen, auf geeigneten Autobahnabschnitten und derzeit mit einer Geschwindigkeit von maximal 60 Stundenkilometern (km/h).

Sicherheit entscheidend

Mercedes-Benz betont die große Bedeutung von Sicherheit und Zuverlässigkeit. Das Unternehmen nutzt eine redundante Technik mit dem Einsatz von Lidar, Radar und Kamera. Lidar ist eine dem Radar ähnliche Methode, um Abstände und Geschwindigkeiten optisch zu messen. „Situative Defizite des einen Sensors können die Eigenschaften der anderen ausgleichen“, verspricht Mercedes-Benz. Dabei geht es um die Bremsen, die Lenkung, die Stromversorgung und Teile der Sensorik.

Das Unternehmen vertraut von Anfang an auf die Kombination von Video mit Radar und Lidar. Konkurrent Tesla hatte sich dagegen fürs automatisierte Fahren anfangs nur auf Videotechnik verlassen. Zum Teil tödliche Unfälle auf Testfahrten waren die Folge. Solche Beispiele wirken abschreckend auf Verbraucher: In einer Umfrage von McKinsey geben 64% der mehr als 26.000 Befragten an, die Sicherheit müsse steigen, bevor sie Vertrauen in autonome Fahrzeuge fassen könnten.

An der Einsatzbereitschaft des Autopiloten von Tesla, die Erfolge beim autonomen Fahren zum Wertschöpfungstreiber der Zukunft erklärt hat, bestehen jedenfalls erhebliche Zweifel. Zwar betonte CEO Elon Musk bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen mehrfach, dass die Systeme bis Ende des laufenden Jahres „besser als Menschen“ sein würden.

Regulator warnt

Allerdings warnte der oberste US-Regulator der Autoindustrie noch im Februar, der Tesla-Fahrassistent „Full Self Driving Beta“ könne „das Risiko eines Unfalls erhöhen, sofern der Fahrer nicht eingreift“. Der Hersteller sah sich darauf zu umfassenden Softwareupdates gezwungen. Zudem wurden im Mai Inhalte aus mutmaßlich internen Tesla-Dokumenten bekannt, die Tausende Kundenbeschwerden zu den Assistenzsystemen des Unternehmens beinhalten sollen.

In diesem Kontext ist für Tesla-Investoren besorgniserregend, dass mit Volkswagen ein etablierter Autobauer seine Robotaxis praktisch vor der Haustür des in Austin ansässigen Musk-Unternehmens testet. Als besonders schmerzhafte Niederlage werten Analysten zudem die Tatsache, dass Mercedes-Benz die Zulassung für ihren Autopiloten in Kalifornien vor Tesla erhalten hat. Schließlich ist der Westküstenstaat für den Elektro-Vorreiter ein zentraler Absatzmarkt.

Mercedes-Benz, die den Drive Pilot selbst entwickelt und dabei mit Partnern wie dem US-Chiphersteller Nvidia kooperiert, bemüht sich, auch von anderen Bundesstaaten die Genehmigung für Level 3 zu erhalten. Das Unternehmen hat sich das Ziel gesteckt, bis zum Ende dieses Jahrzehnts hochautomatisiertes Fahren auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit bis 130 km/h zu ermöglichen.

Peking wacht eifersüchtig

Während der Fokus westlicher Hersteller beim autonomen Fahren klar auf den USA als Entwicklungsstandort und Endkundenmarkt liegt, wacht die chinesische Regierung eifersüchtig darüber, dass das Reich der Mitte nicht ins Hintertreffen gerät. Im laufenden Jahr hat Peking Entwicklern großzügigere Testmöglichkeiten eingeräumt. Von einem Laisser-faire wie in Francisco ist man zwar noch weit entfernt, immerhin aber werden Robotaxis in Peking und Schanghai nun teilweise in den echten Straßenverkehr entlassen.

Die Hauptstadt hat dem Tech-Riesen Baidu sowie dem Start-up Pony.ai Lizenzen für Kundenfahrten mit unbemannten Robotaxis in einem Randgebiet des Pekinger Großraums erteilt. Im Juli zog der zuständige Regulator Zwischenbilanz. Daraus geht hervor, dass 116 selbst fahrende Autos über drei Monate ohne Zwischenfälle rund 1,5 Millionen Fahrten über eine Distanz von knapp zwei Millionen Kilometern absolviert haben. Die geringe Diskrepanz zwischen Fahrtenanzahl und Kilometern lässt freilich vermuten, dass es sich um vorsichtige Tests auf immer gleichen Kurzstrecken gehandelt hat.

Schanghai zieht nun nach. Anfang Juli wurde auf der Tech-Messe World AI Conference bekannt gegeben, dass eine Reihe von Firmen, darunter Baidu und Pony.ai, Lizenzen für einen kommerziellen Robotaxi-Testbetrieb erhalten haben. Die Fahrten werden ebenfalls auf verkehrstechnisch harmlosen Gebieten erfolgen.

Didi fällt zurück

Auf der Strecke bleibt der einst aussichtsreichste chinesische Player am Robotaxi-Markt: der Fahrdienst Didi. Diesen hatte Peking nach einem offensichtlich unerwünschten Initial Public Offering in den USA mit drakonischen Strafen belegt. In der Folge wurden auch Didis Ambitionen als eigener Technologieentwickler für das autonome Fahren abgewürgt.

Für Tech-Firmen wie Baidu, die massiv in die Entwicklung des autonomen Fahrens investiert haben, bedeuten die jüngsten Avancen indes eine große Erleichterung. Sie verdeutlichen, dass Peking bei der Kommerzialisierung des Robotaxi-Geschäfts aktiver auf die Privatwirtschaft zugeht. Dies war während der Regulierungskampagne im Tech-Sektor in den vergangenen Jahren nicht immer absehbar. Der Positionskampf beim autonomen Fahren heizt sich also nicht nur zwischen den Herstellern auf – sondern auch zwischen den Entwicklungsstandorten.

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