DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: MARCO SWOBODA

Henkel will US-Marktanteile zurückgewinnen

Produktionsprobleme in Waschmittelwerken behoben - Neuer Finanzvorstand setzt auf Green Finance

Henkel will US-Marktanteile zurückgewinnen

Herr Swoboda, Henkel kommt im Vergleich zu Unternehmen in anderen Branchen relativ gut durch die Krise. Allerdings schwächelt erneut Ihr Nordamerika-Geschäft. Dort hat Henkel im ersten Halbjahr Marktanteile verloren. Was ist da los?Wir sind in der Tat bisher recht gut durch die Krise gekommen. Das liegt auch an unserem diversifizierten Portfolio aus Industrie- und Konsumentengeschäften, das manchmal als nicht fokussiert genug kritisiert wird. In Nordamerika waren wir aber zuletzt mit der Entwicklung im Bereich Laundry & Home Care nicht zufrieden. Da haben wir Marktanteile verloren, obwohl wir im ersten Halbjahr sogar noch ein geringes organisches Wachstum verzeichnen konnten. Der Gesamtmarkt in den USA ist infolge der Pandemie sehr stark gewachsen. Reinigungsmittel speziell mit Bleiche waren sehr stark gefragt. In dem Segment Bleiche sind wir jedoch nicht vertreten und konnten deshalb auch nicht von diesem Trend profitieren. Bei Waschmitteln hatten wir zudem eine Reihe von Problemen in der Produktion in wichtigen Werken in den USA. Einen Standort mussten wir nach einer Häufung von Covid-Fällen eine Zeitlang schließen. Durch ein Erdbeben in Salt Lake City stand eine weitere große Produktionsstätte kurzzeitig still. Und in St. Louis war unser Werk nach einer Störung eine Woche geschlossen. Das waren drei Ereignisse, die unglücklicherweise zusammen aufgetreten sind. Laufen jetzt alle Werke wieder?Wir konnten im Laufe des Julis fast auf Normalkapazität wieder hochfahren. Die Produktion läuft. Das Ganze wird jedoch noch überlagert von Anpassungen infolge der Akquisition von Sun Products. Hier stellen wir unsere Produktionsstruktur von Waschmitteln insgesamt um und optimieren unser Produktionsnetzwerk. All diese Veränderungen machen es nicht einfacher, eine so hohe Nachfrage wie derzeit zu bedienen, aber wir sind hier auf gutem Wege. Wie lautet Ihr Ziel für Nordamerika?Wir wollen dort Marktanteile zurückgewinnen. Wir sind bei Wasch- und Reinigungsmitteln Nummer 2 in den USA und wollen diese Position festigen. Wie hat die Pandemie die Finanzierung von Henkel beeinflusst?Wir haben kurzfristig überlegt, die liquiden Mittel zu erhöhen. Viele Unternehmen haben sich ja sehr großvolumig mit Bonds am Kapitalmarkt bedient, als das nach dem Lockdown wieder möglich war. Wir haben das nicht wie andere in großem Stil gemacht, sondern selektiv. Wir haben im April eine Anleihe in Schweizer Franken mit einem Volumen von etwas über 300 Mill. Euro begeben. Der Hintergrund war ein erhöhter Cash-Bedarf im Juni, als wir 1,3 Mrd. Euro für die Dividendenzahlung und eine fällige Anleihe benötigten. Wir sind kein Freund von zu hohen Cash-Beständen, denn man muss sich ja auch fragen: Was macht man mit dem Geld? Die Krise von 2009 hat ja gezeigt, dass es auch Bankenrisiken gibt. Wir haben sehr stark diversifiziert und hatten in der Spitze über 2 Mrd. Euro Liquidität, was für Henkel schon viel war. Sind Negativzinsen für Henkel ein relevantes Thema?Ja. Aber in einer solchen Lage ist das natürlich nicht das Hauptentscheidungskriterium. Leider ist es so, dass auch Henkel mittlerweile beim Euro Negativzinsen auf Guthaben bei Kreditinstituten bezahlt. Dies liegt derzeit in der Größenordnung von -0,5 bis -0,6 %. Unsere Geldanlage ist allerdings in verschiedenen Instrumenten diversifiziert, wodurch Negativzinsen teilweise vermieden oder abgemildert werden können. Henkel hat früh mit grünen Finanzierungsinstrumenten experimentiert. Wie sind die bisherigen Erfahrungen?Nachhaltigkeit ist schon immer ein wichtiger Teil der Unternehmensstrategie. Jetzt gewinnt das Thema auch an den Kapitalmärkten an Bedeutung. Wir haben bereits 2018 unsere Backup-Kreditlinie mit ESG-Parametern ausgestattet und damit als erstes Unternehmen in Deutschland einen Green Loan vereinbart. Das hat viel Anklang gefunden und es gab danach viele Transaktionen, die einen ähnlichen Charakter hatten. Mittlerweile ist der Mechanismus etwas anders, aber die Idee hat sich eigentlich nicht verändert. Dann haben wir überlegt, was wir weiter tun können. Wir haben Anfang Juli als erstes Unternehmen weltweit eine Anleihe in Höhe von rund 100 Mill. Dollar zur Reduzierung von Plastikabfall begeben und diesen “Plastic Waste Reduction Bond” als Privatplatzierung mit zwei japanischen Versicherern emittiert. Haben sich die Kreditkonditionen der grünen Kreditlinie aus 2018 mittlerweile geändert?Die sind gleich geblieben. Sie sagen, die Mechanismen für Green Loans haben sich seit Ihrer Premiere in Deutschland verändert. Inwiefern?Bei dem Green Loan von Henkel verändern sich die Konditionen, wenn sich unsere Nachhaltigkeitsratings von drei darauf spezialisierten Agenturen ändern. Mittlerweile stellen viele auf unternehmensindividuelle KPIs (Key Performance Indicators – die Red.) ab, nicht mehr auf übergreifende Ratings. Wird es dadurch nicht komplizierter und intransparenter für Investoren?Ja, da stimme ich zu. Entweder es wird kompliziert oder zu einfach und extrem eindimensional, wenn nicht viele Kriterien herangezogen werden. Ich präferiere den ganzheitlichen Ansatz über ESG-Ratings, da diese auch von unabhängigen Dritten gemacht werden. Aber der Markt hat sich anders entwickelt. Welche weiteren Aktivitäten plant Henkel in Bezug auf Green Finance?Wir werden in der Zukunft sicherlich noch mehr Green-Finance-Instrumente nutzen. Aber es bedarf immer eines auf das Unternehmen maßgeschneiderten Ansatzes. Man kann eine andere grüne Anleihe nicht mal eben kopieren. Wir beobachten, dass im Kapitalmarkt das Interesse sehr groß ist. Bei den ersten grünen Bonds und Kreditlinien hat man es nicht geschafft, auch wirtschaftliche Vorteile bei den Konditionen zu erzielen. Aber ich glaube, das wird sich im Zeitablauf ändern, weil die Nachfrage immer größer wird. Ich rechne damit, dass es künftig in gewissem Maße auch unterschiedliche Konditionen geben wird – bis hin zu dem Punkt, dass langfristig der Zugang für nichtgrüne Finanzprodukte stark eingeschränkt sein wird. Das ist die Richtung, die ja auch die EU einschlagen möchte. Wie konkret sind die Planungen für weitere grüne Finanzierungen von Henkel?Die Plastik-Anleihe ist ja noch nicht so lange her. Wir überlegen gerade, wie wir unser Nachhaltigkeits-Commitment weiter mit der Finanzierung verknüpfen können, aber im Moment ist noch nichts spruchreif. Wir haben vor etwa zwei Wochen aber noch eine Transaktion getätigt, die in Richtung grünes Derivat geht. Wir haben in den USA ein Virtual Power Purchase Agreement abgeschlossen, mit dem wir unseren kompletten Strombedarf für unsere Aktivitäten in den USA mit Grünstrom decken. Wir haben einen Liefervertrag mit einem Windparkbetreiber über zehn Jahre zu festen Konditionen abgeschlossen. Wir nehmen mit 300 000 Megawatt-Stunden die Hälfte der Stromkapazität dieses neuen Windparks ab. Das gibt auch dem Betreiber Sicherheit und trägt dazu bei, dass dieser Windpark auch gebaut werden kann. Er soll im Frühjahr 2022 ans Netz gehen. Wir sind auch damit innovativ unterwegs. Bei dieser Kooperation von Einkauf und Finanzabteilung haben wir uns tief in die Energiemärkte eingearbeitet. Es stellten sich für uns dann Accounting-Fragen: Wie bilanziert man eigentlich ein solches Konstrukt? Mit dieser Transaktion und der vereinbarten Kapazität decken wir den Strombedarfs der Henkel-Aktivitäten in den USA zu 100 Prozent ab. Insgesamt decken wir dann schon 58 Prozent unseres gesamten Strombedarfs im Konzern durch erneuerbare Energien. Wann folgen die restlichen 42 %?Daran arbeiten wir mit Nachdruck. Das Modell, das wir jetzt vereinbart haben, kommt aus den USA. Die europäischen Märkte sind da noch nicht ganz so weit. Das fängt hier gerade erst an. Wir wollen bis 2030 unseren Strombedarf komplett aus erneuerbaren Energien decken. Um aber noch mal zu Green Finance zurückzukommen: Wir haben noch einen dritten Anknüpfungspunkt in diesem Jahr etabliert. Und der wäre?Wir haben die Anlagepolitik für unser ausgelagertes Pensionsvermögen, das Henkel schon vor vielen Jahren in einem Contractual Trust Arrangement untergebracht hat, nach ESG-Kriterien ausgerichtet. Wir haben für die aktiven Fonds, in die investiert wird, Nachhaltigkeits-Mindeststandards definiert. Es gab schon immer einige Mindestvorgaben. Zum Beispiel, dass nicht in Unternehmen investiert wird, die Waffen produzieren. Aber jetzt haben wir die Kriterien umfassender und wesentlich strenger formuliert. Assetmanager, die in ihrem Auswahlprozess Nachhaltigkeit nicht ausreichend berücksichtigen, werden nicht mehr mandatiert. Konkret bedeutet dies, dass wir von rund 2 Mrd. Euro Anlagevolumen in diesem Jahr etwa 15 Prozent umschichten werden. Im operativen Geschäft hat Henkel ein Desinvestitionsprogramm angekündigt und will sich von einem Umsatzvolumen von 500 Mill. Euro trennen. Wie kommt das voran?Wir haben im ersten Halbjahr bereits ein Umsatzvolumen von 80 Mill. Euro, hauptsächlich aus dem Klebstoffbereich, abgegeben. Der Großteil unseres Desinvestitionsprogramms bezieht sich allerdings auf das Konsumentengeschäft. Da laufen derzeit Projekte. Das in den Markt zu bringen, ist in Covid-Zeiten nicht so einfach, aber wir haben uns ja einen Zeitrahmen bis Ende 2021 gesetzt. Die Teams arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung. Auf der anderen Seite ist Henkel im M&A-Markt immer aktiv. Werden Unternehmen in der Coronakrise billiger?Die Frage kommt oft. Auf den ersten Blick wäre das logisch, weil sich die Zukunftsaussichten geändert haben, mehr Unsicherheit im Markt ist und verkaufswillige Eigentümer vielleicht einen Abschlag hinnehmen müssen. Die Realität ist anders. Die Bereitschaft ist gering, zu niedrigeren Preisen zu verkaufen. Es kommen tendenziell weniger Assets auf den Markt. Und wenn es um Bewertungen geht, braucht man sich ja nur die Aktienmärkte anzuschauen, die mittlerweile die ganzen Wertverluste vom Frühjahr wieder aufgeholt haben. Wir sehen weniger einen Preis- als einen Mengeneffekt: Es gibt weniger M&A-Transaktionen. Wird Henkel in diesem Jahr noch als Käufer aktiv werden?Das möchte ich nicht ausschließen. Aber wie immer sagen wir dazu nichts Konkretes. Henkel ist in den vergangenen beiden Jahren im Vorfeld der HV schärfer als bisher von institutionellen Investoren angegangen worden. Vor allem die Vorzugsaktien sind angelsächsischen Anlegern ein Dorn im Auge. Wie erleben Sie deren Blick auf Henkel in Gesprächen? Gibt es Investoren, die aus diesem Grund Henkel den Rücken kehren?9Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu den institutionellen Investoren und auch jetzt in der Krise viele Gespräche geführt. Da ist das eigentlich nie ein großes Thema. Die Stimmung hat sich nicht verändert. Richtig ist schon, dass wir in den Abstimmungen auf der HV nicht überall Zustimmung erhalten haben. Aber ich habe noch nicht erlebt, dass Henkel jemand den Rücken gekehrt hat wegen unserer Besonderheit Vorzugsaktie. Das Interview führte Antje Kullrich.