IM INTERVIEW: STEFAN SCHAIBLE

"In diesem Jahr schalten wir auf Angriff"

Vorstandssprecher von Roland Berger erwartet wachsende Nachfrage nach Restrukturierungsberatung aufgrund der Coronakrise

"In diesem Jahr schalten wir auf Angriff"

Roland Berger will die Früchte ihrer personellen Expansion ernten. Vorstandschef Stefan Schaible trimmt die Beratungsgesellschaft 2021 auf einen steigenden Umsatz und operativen Gewinn. Die Corona-Pandemie sorgt für Rückenwind. Der Beratungsbedarf der Unternehmen wächst. Herr Schaible, was hat sich Roland Berger für 2021 vorgenommen?In diesem Jahr schalten wir auf Angriff. Wir wollen den Umsatz über 10 % steigern und ein Rekordjahr erzielen. Die Coronakrise dauert an. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?Der Bedarf an Beratung in der Wirtschaft ist groß. Das gilt umso mehr in der Pandemie. Denn aufgrund der Krise werden mehr Unternehmen sich in einer Restrukturierung, einem unserer Stärkefelder, befinden. Parallel müssen Firmen ihre Geschäftsmodelle nachhaltiger im umfassenden Sinne ausrichten und unter anderem die digitale Transformation oder die Klimaherausforderung schultern. Daher glauben wir, dass die Nachfrage steigt. Was treibt das Geschäft an?Neue Geschäftsmodelle treiben generell die technologische Innovation. Der Druck auf die Unternehmen ist groß, auf diesem Feld mehr zu tun. Das gilt für fast alle Unternehmen, unter anderem für die Bereiche Automotive, Gesundheitswesen und Pharma. Transformationsmodelle stehen im Fokus. Unternehmen werden sich hierfür Freiheiten zurückholen und eingefahrene Strukturen radikal überwinden, etwa bei Prozessen, der IT oder ihrer organisatorischen Aufstellung. Wie steht’s um den öffentlichen Sektor?Grundsätzlich muss sich die öffentliche Hand in Zeiten von starker Technologisierung verändern und handlungsschneller werden. Der Staat wird sich dabei helfen lassen, auch von Beratungen. Diese Zusammenarbeit bedarf klarer Spielregeln, die Qualität und Transparenz sicherstellen. Wir haben spannende Mandate in Deutschland, der öffentliche Sektor ist aber unter anderem auch in Frankreich und in Belgien sehr interessant. Wie lief es im vergangenen Jahr für Roland Berger?In den ersten beiden Monaten des vergangenen Jahres waren wir gut unterwegs. Der weltweite Ausbruch von Covid-19 sorgte vor allem vom März bis Juli 2020 für einen Umsatzrückgang, danach sind wir wieder sehr stark gewachsen. Die Beratungsbranche büßte im vergangenen Jahr insgesamt 13 % ein. Wir schnitten erheblich besser ab als der Markt. Wie ist die finanzielle Lage von Roland Berger?Wir verfügen über starke finanzielle Reserven, um aus der Coronakrise durchzustarten. Die Ertragslage ist stabil, und wir finanzieren viele Investitionen aus dem Cash-flow. Vor kurzem vereinbarten wir mit fünf Banken darüber hinaus eine Kreditlinie von 180 Mill. Euro. Damit werden wir unser zusätzliches Wachstum finanzieren, das heißt neue Teams an Bord nehmen, wichtige Märkte weiter entwickeln und unsere Innovationsthemen vorantreiben. Aus dem Ende 2020 veröffentlichten Geschäftsbericht 2019 der Roland Berger Holding GmbH geht hervor, dass der Umsatz zwar um 7 % auf 642 Mill. Euro wuchs, der Überschuss aber bei 22 Mill. Euro stagnierte. Hängt das mit den Vorleistungen für Ihre geplante Expansion zusammen?Ja, in der Tat. Der Hauptgrund für den stagnierten Gewinn war der gestiegene Personalaufwand. Wir haben unser Personal aufgestockt, um unsere Expansion voranzutreiben. Das hat sich zunächst in gestiegenen Kosten bemerkbar gemacht, zahlt sich aber bereits aus. Was bewegt Sie im Beratungsgeschäft inhaltlich in der Wirtschaft derzeit am meisten?Der wesentliche Punkt ist, dass wegen veränderter Geschäftsmodelle die Abläufe bei unseren Kunden noch schneller vonstatten gehen sollen. Wir helfen, die Dinge schneller und effizienter zu machen. Das betrifft unter anderem die Lieferketten in der Produktion und die Schnittstellen zu den Verbrauchern, den Endabnehmern. Die Unternehmen stehen unter einem enormen Innovationsdruck. Das verändert die Struktur der Wirtschaft. Es ist eine Herausforderung, aber auch eine große Chance, zum Beispiel für den Umweltschutz. Haben Sie dafür Beispiele?Wir empfehlen nicht nur unseren Klienten, das Verringern von CO2-Emissionen als Wettbewerbsvorteil zu sehen, sondern handeln auch selbst. Wir sind als Firma CO2-neutral und haben uns verpflichtet, bis 2028 Netto-Null-Emissionen zu erreichen und dann unseren historischen Fußabdruck abzubauen. Das klingt etwas nach einem Hamsterrad, aus dem Sie nicht herauskommen.Das Wort Hamsterrad gefällt mir in diesem Zusammenhang nicht wirklich. Unser Kerngeschäft als Berater ist es, in einem relativ kurzen Zeitraum schneller Lösungen zu erarbeiten und anzubieten. Die Digitalisierung trägt zur Beschleunigung bei. Die Coronakrise wirkt dabei wie ein Katalysator. Führt die Digitalisierung zu einem Umbruch im Beratungsgeschäft?In der Tat stellen wir uns diese Frage auch. Die Umstellung auf digitale Formate betrifft unsere Branche ebenfalls. Ich kann mir daher Start-ups als Wettbewerber vorstellen. Wir beobachten das genau. Denn man kann auch über die “digitale Nähe” zum Kunden besser wachsen, als die Branche gedacht hat. Aber unsere Wettbewerber bleiben die üblichen Verdächtigen wie McKinsey, BCG und Bain, auch wenn wir wegen unserer Restrukturierungs- und Industriekompetenz Marktanteile gewinnen werden. Wie verändert die Pandemie den Arbeitsalltag in Ihrem Unternehmen?Präsenzmeetings haben wir deutlich eingeschränkt. Hausinterne Besprechungen laufen virtuell. Der direkte Austausch mit den Kunden ist aber faktisch weiter gegeben, zumindest in Zeiten ohne harten Lockdown. Denn unser Geschäftsmodell basiert auf der persönlichen Interaktion zwischen den Beratern und den Verantwortlichen in den Unternehmen. Wird Roland Berger zu den Gewohnheiten bis vor Ausbruch der Coronakrise zurückkehren, wenn die Pandemie überwunden sein sollte?Nein, das glaube ich nicht. Auch wir haben uns umgestellt, so weit wie es möglich war und ist. Ich gehe davon aus, dass es künftig mehr Mischformen in unserem Berufsalltag geben wird: digitalisierte Dienstleistung und Präsenz vor Ort. Geschäftsreisen wird es auch nicht mehr in der Dimension geben wie vor dem weltweiten Ausbruch von Covid-19. Waren Sie gezwungen, Kurzarbeit einzuführen?Im Beratungsgeschäft gibt es keine Kurzarbeit, dort war und ist unser Sachverstand in der Krise – auch wegen unserer Restrukturierungs- und Industriekompetenz – sehr gefragt. Sie befürworten die Einführung von Euro-Bonds. Wie ist das vertretbar in einer Zeit wie dieser, in der aufgrund der Coronakrise die Staatsverschuldung in Westeuropa weiter deutlich steigt?Für mich steht dabei der geopolitische Aspekt im Vordergrund. Um den Euro als alternative Weltleitwährung gegenüber dem Dollar durchzusetzen, braucht es auch gemeinsame Staatsanleihen der Mitglieder der europäischen Währungszone. Richtig ist aber auch, dass die Frage der Mithaftung für Verbindlichkeiten anderer Länder ein hochsensibles Thema ist. Es wird noch dauern, bis es eine ganzheitliche Lösung auf dieser Ebene gibt, aber die gemeinsame Finanzierung der Covid-Programme durch die EU zeigt ja, dass es in diese Richtung geht. Wie beurteilen Sie die politische Lage in den USA?In den USA wird eine langjährige Erosion des politischen und gesellschaftlichen Systems sichtbar. Der neue Präsident Joe Biden wird intensiv damit beschäftigt sein, das Land zu stabilisieren und hoffentlich – zumindest in Teilen – zu einen. Der Preis, den man für die Steuersenkung von Wahlverlierer Donald Trump gezahlt hat, war zu hoch. Ohne die Pandemie wäre die Wahl des US-Präsidenten womöglich anders ausgegangen. Wie bewerten Sie das transatlantische Verhältnis?Mit Trumps Abwahl hat man sich auf beiden Seiten eine Atempause verschafft. Das transatlantische Verhältnis wird sich unter Biden verbessern. Der Rückzug der USA als Weltpolizist verlangt aber von der EU, die Handlungsgeschwindigkeit der europäischen Demokratien zu erhöhen. Die EU ist gezwungen, global mehr Verantwortung zu übernehmen. Was meinen Sie mit “Handlungsgeschwindigkeit”?Die EU benötigt schnellere Entscheidungswege, um rasch handeln zu können. Ein Block williger, entschlossener Staaten, die ein Kerneuropa bilden, kann vieles bewegen und voranbringen. Das betrifft vor allem die Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik. Der Brexit hat aber die EU geschwächt, nicht wahr?Der Austritt Großbritanniens aus der EU hat Europa geschwächt, keine Frage. Das Vereinigte Königreich steht vor einer Zerreißprobe. Denn Teile würden gerne der Europäischen Union so schnell wie möglich wieder beitreten. Ich sehe nicht, dass der Brexit für die Briten eine Erfolgsgeschichte ist. Die EU sollte aber nicht Großbritannien hinterhertrauern, sondern sich wieder auf ihre Kernfelder besinnen. Wie steht es aus Ihrer Sicht um das Verhältnis zu China?Die Europäer sollten stärker ihre Interessen formulieren. China macht das ebenso. Das Thema Menschenrechte ist hochsensibel. Wandel durch Annäherung ist für die EU der richtige Weg. Das hat die Geschichte gelehrt. Wie bewerten Sie das jüngste Investitionsabkommen der EU mit Peking?Das Abkommen ist generell positiv zu bewerten. Die Frage ist, wie solch ein Abkommen gelebt wird. Der Erfolgsdruck der Führung in Peking ist groß. Das Land befindet sich in einem Transformationsprozess. Die chinesische Führung ist darauf angewiesen, den Wohlstand für weite Teile der Bevölkerung durch Wirtschaftswachstum zu mehren. Dafür braucht Peking den Handel mit den Westen, den wir aktiv gestalten müssen. Das Interview führte Stefan Kroneck.