Aktienemissionen

Investoren fürchten Kapitalverwässerung

Anleger reagieren auf überdimensionierte und schlecht begründete Kapitalvorratsbeschlüsse zunehmend allergisch.

Investoren fürchten Kapitalverwässerung

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die Ermächtigung zur Ausgabe von Aktien gehört traditionell zu den Tagesordnungspunkten in Hauptversammlungen, auf die Investoren besonders sensibel reagieren. Die Anleger geben dem Vorstand in der Regel nicht gern mit einem großen Kapitalvorrat freie Hand, um für womöglich kaum wertsteigernde Akquisitionen beliebig Aktien auszugeben. Für die Beschlüsse über genehmigtes oder bedingtes Kapital haben Investoren deshalb in den vergangenen Jahren die Kriterien in ihren Abstimmungsguidelines verschärft. Es kommt vor, dass Konzerne den Vorschlag für einen neuen Kapitalrahmen vor dem Aktionärstreffen kurzerhand wieder von der Tagesordnung nehmen, um die Schmach einer Niederlage zu vermeiden.

Während institutionelle Anleger und Stimmrechtsberater in der Vergangenheit einen Schwellenwert von 20% für die Ausgabe von Aktien ohne Bezugsrecht goutierten, ziehen die meisten Investoren zum Schutz vor Verwässerung inzwischen die Grenze bei 10%. Viele Fonds und Vermögensverwalter verlangen zudem, den gesamten Rahmen auf 30% des bestehenden Grundkapitals zu beschränken, also deutlich stärker als das Aktienrecht, wo das genehmigte Kapital nicht mehr als 50% des bestehenden gezeichneten Kapitals erreichen darf. Die Investoren verlangen zudem eine überzeugende Begründung des Vorstands, wofür der Kapitalrahmen genutzt werden soll, und sind bei guten Argumenten auch bereit, über ihre Leitlinien hinauszugehen. Erfreulicherweise gehen zahlreiche Unternehmen dazu über, in den Erläuterungen zur Hauptversammlung ihre diesbezüglichen Ziele zu präsentieren und nachvollziehbar zu machen.

In der vergangenen Hauptversammlungssaison gehörte die Schaffung von genehmigtem oder bedingtem Kapital zu den Beschlüssen, bei denen vergleichsweise viel Gegenwind zu spüren war. Im Dax kassierten 2020 sechs Unternehmen mehr als 10% Neinstimmen. Bei Covestro lehnten 17% den neuen Kapitalrahmen ab, beim Dax-Aufsteiger Delivery Hero sogar ein Fünftel.

Besonders gefordert sind die Investoren in dem Thema, wenn von der Coronakrise getroffene Unternehmen staatliche Hilfe in Anspruch nehmen und diese Kapitalspritzen gegebenenfalls auch über Eigenkapital zurückgezahlt werden sollen. Der Verwässerungsschutz des Aktienrechts ist bei Rekapitalisierungen durch den staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF)  außer Kraft gesetzt. So sucht die Lufthansa auf der kommenden Hauptversammlung die Ermächtigung, ein genehmigtes Kapital von 5,5 Mrd. Euro zu schaffen, was sage und schreibe 359% des derzeitigen Grundkapitals ausmacht. Mit dem exorbitanten neuen Kapitalvorrat will sich die Airline Flexibilität schaffen, um das im Zuge der Rekapitalisierung vom WSF als stille Beteiligung zur Verfügung gestellte Kapital zurückzuzahlen. Das MDax-Unternehmen wird indes alles daransetzen, den neuen Kapitalvorrat so gering wie möglich auszuschöpfen. Auf der Aktie lastet ja zudem – wie im Fall Commerzbank leidvoll erfahren –, dass der Staat „absehbar“ auch wieder aus der direkten Aktienbeteiligung aussteigen soll.

Der ebenfalls schwer von der Pandemie getroffene Touristikkonzern Tui hatte die Voraussetzung für die Rekapitalisierung mit Staatshilfe auf einer außerordentlichen Hauptversammlung geschaffen – der WSF hat für 1,1 Mrd. Euro eine stille Beteiligung erworben, für die ein Umtauschrecht in Aktien eingeräumt wurde. Auf der ordentlichen Hauptversammlung der Tui stand nun der „übliche“ Kapitalvorratsbeschluss mit einem Rahmen von 48% zur Abstimmung, woraufhin knapp 12% des vertretenen Kapitals den Daumen senkten.