Hartmut Schick

„Japan ist sehr attraktiv“

Der CEO von Daimler Trucks Asia über Elektro-Nutzfahrzeuge und Wachstumschancen durch E-Commerce

„Japan ist sehr attraktiv“

Martin Fritz.

Herr Schick, die Daimler Truck AG ordnet ihr Geschäft ab Dezember neu. Die Regionen sollen dabei autonomer werden. Wie wird sich Ihre Arbeit dadurch verändern?

Der geplante Spin-off der Daimler Truck AG ist die richtige Entwicklung. Auch von Kunden, Händlern und Mitarbeitern habe ich dazu viele positive Rückmeldungen bekommen. Bei Nutzfahrzeugen gibt es keine einfachen globalen Lösungen. Technische Spezifikationen für Nutzlasten, Gesamtgewichte und Maße der Fahrzeuge sind sehr verschieden. Mit der neuen Struktur werden wir schlagkräftiger und können noch besser auf die regionalen Kundenbedürfnisse eingehen. Die bisher selbständig organisierten Finanzdienstleistungen werden ebenfalls voll bei uns integriert, wodurch wir noch attraktivere Gesamtpakete für die Kunden schnüren können.

Was sind in Asien aktuell Ihre zwei größten Baustellen?

Erstens arbeiten wir ständig an Effizienz und der Reduktion unserer fixen und variablen Kosten, wo wir sehr konsequent und diszipliniert unterwegs sind. Und natürlich auch an Initiativen, die mehr Wachstum in der dynamischsten Region der Welt schaffen. Zweitens sind wir hier in Asien momentan in der Phase, wo wir die Transformation der Industrie mitgestalten. Vom bewährten Diesel-Lkw oder -Bus zum elektrifizierten, automatisiert fahrenden, vernetzten Nutzfahrzeug. Das macht Spaß, ist aber ganz schön anstrengend.

Welche Ziele verfolgen Sie denn mit Daimler Trucks Asia generell?

Wir wollen wachsen, und wir wollen Benchmark-Profitabilität in unserem asiatischen Wettbewerbsumfeld erreichen. Wir haben uns letztes Jahr in Japan von 18,9% auf 20,4% Marktanteil gesteigert, in Indonesien von 44,5% auf über 48%, in Indien von 5,8% auf 9,1%. Hier sind wir also sehr gut unterwegs.

Wird Mitsubishi Fuso in Asien als japanisch oder deutsch wahrgenommen?

In den meisten Märkten Asiens liegt der Anteil nichtasiatischer Marken deutlich unter 5%. Wir sind definitiv eine starke japanische Marke und verstehen uns auch als asiatische Firma – mit einer tollen deutschen Mutter. Fuso wird mit japanischer Qualität assoziiert und profitiert sowohl von der seit über 150 Jahren etablierten Marke Mitsubishi als auch von Daimlers Image als Erfinder des Automobils.

Indien ist Ihr wichtigster Markt, aber das Geschäft volatil. Wie sind die Perspektiven?

Indien ist ein sehr großer Markt. In den zehn Jahren seit Gründung unserer indischen Marke BharatBenz haben wir dort mittlerweile 100000 Fahrzeuge verkauft. Vor drei Jahren wurde der Break-even erreicht, der Marktanteil stieg Ende 2020 auf 9,1%. Allerdings schrumpfte der Markt wegen einer schwachen Wirtschaft und Covid-19 von 370000 in 2018 auf zuletzt 106000 Einheiten. Aber wir produzieren in Indien auch für den Export. Zusätzlich haben wir in Indien einen IT- und Entwicklungshub etabliert, der ganz Daimler Trucks mit Services bedient.

Der Lkw-Markt in den entwickelten Ländern stagniert. Asien verspricht Wachstum. Stimmen diese Aussagen so?

Das Bruttoinlandsprodukt in Indien wird in den nächsten zehn Jahren über 80% wachsen, in Indonesien um über 60%. Dazu kommen Segmentverschiebungen. Der Anteil von Leicht-Lkw wird von knapp über 50% in 2020 auf über 63% in 2030 wachsen – etwa durch die zunehmende Verstädterung und die Ausbreitung von E-Commerce. An diesem Wachstum wollen wir partizipieren.

Aber Ihre Basis ist Japan, das wegen seiner Demografie als wenig attraktiv gilt.

Japan ist sehr attraktiv! Hier erwarten wir über die nächsten zehn Jahre zwar nur ein leichtes Marktwachstum, aber wir wollen unseren Marktanteil steigern und das Servicegeschäft ist enorm stark. Daher investieren wir in die Digitalisierung unserer Niederlassungen, bauen zusätzliche Werkstattkapazitäten und stellen neue Mechaniker ein. Die vier Millionen Nutzfahrzeuge in Japan bilden einen sehr schönen Profit-Pool. Und den wollen wir künftig noch intensiver bedienen, auch durch mehr Serviceangebote für Konkurrenzprodukte.

Immerhin boomt E-Commerce in Japan – bringt dieser Trend neuen Schwung?

Wenn die Durchdringung mit E-Commerce eine bestimmte Schwelle erreicht, dann kommt es zu einem Boost. Dann braucht es mehr Hubs und Lieferfahrzeuge. Japan ist an dieser Schwelle gerade angekommen. Das Gleiche werden wir noch in vielen asiatischen Märkten erleben. Dieser Trend stärkt Fuso, weil wir vor allem Leicht-Lkw herstellen. Wir sind die Spezialisten für urbane Logistik und die sogenannte „Letzte Meile“ in der Güterzustellung.

Innerhalb des Konzerns gilt Mitsubishi Fuso als Elektromobilitätsexperte. Werden Sie diesem Ruf gerecht?

In der Tat waren wir 2017 Pionier mit dem Elektro-Canter als weltweit erstem 7,5-Tonnen-Lkw mit reinem Elektroantrieb. Wir verkaufen bald die dritte Generation, und unsere Kunden sind schon mehr als 3 Millionen Kilometer gefahren. Wir haben bisher gut 200 Stück verkauft. Viele Kunden wollen zunächst Erfahrungen mit elektrischen Lkw sammeln. Aber wir werden sehr bald in große Stückzahlen gehen, mit einem deutlich fünfstelligen Jahresabsatz. Und nicht nur elektrische Trucks anbieten, sondern auch Beratung für das gesamte elektrische Ökosystem.

Welche Marktanteile für Elektro-Nutzfahrzeuge halten Sie demnächst für möglich?

Ich nenne jetzt keine konkreten Anteile, aber wir werden ab 2030 bereits wichtige Regionen haben, wo wir 100% elektrische Fahrzeuge anbieten werden. Aus meiner Sicht ist es alternativlos, mit voller Wucht in Batterie- und Brennstoffzellen-Fahrzeuge zu investieren.

Wird der E-Canter dann von Japan aus die Welt erobern?

Wir sind bereits heute auf vier Kontinenten vertreten. In Europa beispielsweise fahren bei Schenker schon 40 E-Canter in verschiedenen Ländern. In Australien haben wir soeben die Markteinführung gestartet, in Nordamerika sind wir seit Jahren erfolgreich am Markt. Noch bremsen die mangelnde Erfahrung und die zu geringe Ladeinfrastruktur. Aber das Interesse wächst stetig. Seit der Ankündigung von Premier Suga, Japan bis 2050 CO2-neutral zu machen, ist auch das Interesse in unserem Heimatmarkt nochmals stark gewachsen.

Was hemmt den Elektro-Lkw am meisten? Liegt es am Verkaufspreis?

Sicher, der Einstandspreis ist höher, aber macht über die Lebensdauer gerechnet nur rund 20% der Gesamtkosten aus. Rund 50% davon ist der Fahrer, dann folgen Treibstoff und Wartung. Durch den Wechsel von Diesel auf Strom sparen sie in den meisten Ländern bereits viel Geld. In Europa zahlen unsere Kunden etwa 40% weniger für ihre elektrische Reichweite, als Diesel kosten würde. Die Wartung eines elektrischen Trucks ist ebenfalls viel günstiger. Das bedeutet, heute steigen die Gesamtkosten durch die Umstellung auf Elektro nur um wenige Prozent.

In der Branche scheiden sich die Geister an der Brennstoffzelle. Zum Beispiel Traton will nur noch auf Batterie setzen. Aber Japan fördert Wasserstoff und Brennstoffzelle stark. Wie sehen Sie diese zwei Wege?

Wir werden beides benötigen, je nach Applikation. Wir haben den E-Canter mit einer Reichweite von gut 100 km, aber wir haben auch den E-Canter F-Cell mit kleinerer Batterie und Brennstoffzelle mit 300 km Reichweite als Prototyp auf der letzten Tokyo Motor Show gezeigt. Die meisten Kunden weltweit fahren pro Tag im Verteilerverkehr nur 80 km. Auch einige Schwerlaster fahren nicht weiter als 200 km am Tag. Dann lassen sich die Fahrzeuge problemlos nachts aufladen.

Für wen kommt dann der Wasserstoffantrieb in Frage?

Manche Kunden wie Supermärkte liefern im Dreischichtbetrieb aus. Und auf den US-Highways werden weite Strecken gefahren, da will und kann man nicht stundenlang eine Batterie laden. Hier hat die Brennstoffzelle klare Vorteile. Am Schluss entscheidet, was die Kunden brauchen.

Das Interview führte