IM BLICKFELD

Kabelausverkauf zu Höchstpreisen

Von Heidi Rohde, Frankfurt Börsen-Zeitung, 22.10.2019 Ein 6-Mrd.-sfr-Deal steht auf der Kippe. Morgen entscheiden die Aktionäre des Schweizer Mobilfunkanbieters Sunrise über den Kauf des Kabelnetzbetreibers UPC, der von dem US-Konzern Liberty...

Kabelausverkauf zu Höchstpreisen

Von Heidi Rohde, FrankfurtEin 6-Mrd.-sfr-Deal steht auf der Kippe. Morgen entscheiden die Aktionäre des Schweizer Mobilfunkanbieters Sunrise über den Kauf des Kabelnetzbetreibers UPC, der von dem US-Konzern Liberty Global abgestoßen wird. Liberty-Chef Mike Fries hat dem führenden globalen Stimmrechtsberater ISS, der den Sunrise-Aktionären die Ablehnung des UPC-Deals empfiehlt, ein “überraschend geringeres Verständnis” der Branche vorgeworfen.ISS betrachtet – ebenso wie der Sunrise-Großaktionär Freenet – die Bewertung der Kabelgesellschaft als zu hoch und setzt auch die zu erwartenden Synergien deutlich niedriger an als das Sunrise-Management. Es ist verständlich, dass Fries, der seit drei Jahrzehnten bei Liberty ist und eine profunde Kenntnis des Kabelgeschäfts und seiner Perspektiven für sich in Anspruch nehmen kann, diese Beurteilung missfällt. Denn der Kabelriese ist dabei, einen europaweiten Ausverkauf durchzuziehen, bei dem alle Töchter, die nicht über ein intaktes konvergentes Geschäftsmodell inklusive Mobilfunk verfügen, abgestoßen werden – zu möglichst hohen Preisen.Dabei fällt insbesondere auf, dass die relativ kleine UPC in der Schweiz, die rund 1 Million Kunden hat und mit Kündigungen und Erlösdruck kämpft, vor Synergien mit dem 11-Fachen des für 2019 erwarteten operativen Ergebnisses (Ebitda) bewertet wird. Dies entspricht dem Multiple, das Liberty auch in der vorausgegangenen Transaktion mit Vodafone erzielt hat. Der britische Mobilfunkkonzern erwarb 2018 für 18,4 Mrd. Euro von Liberty Kabel-Assets in Ungarn, Rumänien und Tschechien sowie insbesondere die deutsche Unitymedia, ein Paket, das insgesamt mit dem 10,9-fachen Ebitda auf Basis 2019 bewertet wurde.Unitymedia, die einige Jahre zuvor Kabel BW geschluckt hatte, war in Anbetracht von Größe und Wertpotenzial des deutschen Marktes eines der begehrtesten Kabel-Assets in Europa. Der leichte Abschlag in der Bewertung in diesem Deal-Paket im Vergleich zum Kabel-Deutschland-Kauf 2013 (Ebitda-Multiple von 12,4) durch Vodafone dürfte auf den Einfluss der kleineren osteuropäischen Kabelgesellschaften zurückgehen. In jedem Fall erscheint die Bewertung von UPC Schweiz gemessen daran recht stattlich.Darüber hinaus spricht einiges dafür, dass das Kabel seinen Bewertungshöhepunkt erreicht bzw. überschritten hat. Denn prinzipiell treten Kabelnetzbetreiber seit Jahren mit dem Verkaufsargument relativ günstiger hoher Bandbreiten an. Sie verfolgen im TV-Kerngeschäft eine reine Plattformstrategie als Aggregator von Inhalten ebenso wie die Festnetz-Internetangebote der Telekomunternehmen. Beide haben das Problem, dass die höhermargige Wertschöpfung auf ihren Netzen an Netflix & Co. abwandert, während sie als bloße Datenrohre wahrgenommen werden. Die Preise für hohe Bandbreiten sinken tendenziell.Das drückt auf die Bewertung, eine Erkenntnis, die Branchenveteran Fries vermutlich längst gekommen ist – weshalb er beim Ausverkauf zu Höchstpreisen Tempo macht. Unitymedia, die osteuropäischen Gesellschaften, UPC Austria und schließlich der Verkauf von UPC Schweiz wurden binnen rund zwei Jahren verhandelt, das Joint Venture von Ziggo und Vodafone in Holland wurde zuvor unter Dach und Fach gebracht. Der Liberty-Chef, der die Kasse mit Einnahmen von 30 Mrd. Euro aus den Transaktionen gefüllt hat, wenn der UPC Schweiz durchgeht, hat unter anderem den Kauf der Telefónica-Tochter O2 UK im Auge, die das größte Liberty-Portfoliounternehmen Virgin Media als integrierten Anbieter von TV, Festnetz/Internet und dann Mobilfunk wetterfester machen soll. Strategische LogikDieser strategischen Logik folgt die Telekombranche europaweit seit geraumer Zeit, so auch mit dem von Sunrise geplante Kauf von UPC. Die Konvergenzstrategie hat den Wert des Kabels in den vergangenen Jahren stark steigen lassen, denn die Kabelgesellschaften, die ihre Netze vielfach aufgerüstet und mit einem Glasfaser-Backbone versehen haben, verfügen in vielen Ländern über die einzige alternative Festnetzinfrastruktur neben den etablierten ex- oder teilstaatlichen Telekomkonzernen, die bis zum direkten Hausanschluss reicht. Grundsätzlich ist an dieser Logik nicht zu zweifeln, vor allem, wenn man bedenkt, dass die neue schnelle Mobilfunktechnik 5G zwar sehr hohe Bandbreiten ermöglicht, die bisher nur mit dem Festnetz möglich sind, ohne ein Glasfaser-Backbone aber praktisch nicht sinnvoll genutzt werden kann – schon gar nicht als Festnetzersatz. Mobilfunkunternehmen wie Sunrise gewinnen also mit Kabelzukäufen nicht nur ein Festnetz, sondern in der Regel auch zum Teil die notwendige Infrastruktur für 5G. Die strategischen Vorteile der UPC-Transaktion werden von den Befürwortern hervorgehoben, darunter auch der zweiten großen Aktionärsberatung Glass Lewis und einer Reihe von Institutionellen. Zu diesen gehört der kanadische Pensionsfonds CPPIB, der zahlreicher Telekommunikationsinvestments getätigt hat.Was den Preis betrifft, muss den Sunrise-Aktionären jedoch klar sein, dass Liberty ihre Kabelaktivitäten, die wie UPC nur ein (rückläufiges) TV- und Festnetzgeschäft haben, schnellstmöglich abstößt, bevor die Bewertungen weiter sinken. Und die Chance, dass Salt, der kleinere dritte Schweizer Mobilfunkanbieter, sich in ein Bietgefecht stürzt, bestand offenbar nicht.