Lobpreisung zum kleinen Preis
Sie wirken ein wenig gestresst die jungen Großstädter im Reich der Mitte. Das Leben ist hektisch, der Erfolgsdruck ist hoch. Der einst stete Rückhalt durch Großfamilien, die unter einem Dach leben, weicht anonymeren Wohnunterbringungsformen und der Verlagerung von persönlichen Kontakten auf soziale Medien. Dies erschwert den Rückgriff auf Chinas Ermunterungskultur, wie sie von älteren Generationen gepflegt wird. Da findet sich immer jemand im Familien- und Nachbarschaftsumfeld, der für ein Schwätzchen bereit ist und dem man seine Problemchen erzählen kann. Die Peergroup weiß dann mit ein paar gezielten Komplimenten und Verweis auf all die Dinge, die doch prima laufen, den Launepegel anzuheben. *Der jungen Generation kann damit nicht so recht geholfen werden, aber Chinas hoch ausgefeilte Internetdienstleistungskultur springt ein. Der letzte Schrei im Netz sind digitale Wege, um Komplimente zu erheischen und das Ego aufzupäppeln. Willkommen in der Welt von Kua Kua. “Kua” heißt so viel wie “Lob spenden” und Kua Kua nennt man derzeit hoch angesagte Chatgruppen und Internetdienste. Sie sorgen dafür, dass jemand fleißig Lob, Trost und Zuspruch spendiert, wenn man seine Sorgen, Frustrationen und Misserfolge ventiliert.Man kann sich privaten Kua-Kua-Gruppen über das omnipräsente Netzwerk Wechat anschließen oder auch zu kommerziellen Varianten greifen. Auf der E-Commerce-Plattform Taobao finden sich reichlich Anbieter, die gegen Gebühr ermunternde Botschaften zu allen Problemen und Alltagssorgen liefern. Wer sich einer professionellen Kua-Kua-Gruppe bedient, kann sich für etwa 50 Yuan (rund 7 Euro), eine gezielte Komplimente-Dusche auf sein Smartphone laden.Das klingt dann etwa so: O. k., dein Chef wird dich vielleicht nicht befördern wollen, aber nur weil er eifersüchtig ist, denn du überragst ihn durch deine natürliche Eleganz. Mach dir keine Sorgen über dein gestohlenes Fahrrad. Das Verringern von Besitz erleichtert das Leben. Du hast 5 Kilo über die Feiertage zugenommen? Kein Problem, gutes Essen hält Leib und Seele zusammen. Das kann nur heißen, dass sich deine Familie und Verwandtschaft um dich kümmern. Vergiss deinen Ex-Freund, er war es nicht wert. Der nächste Prinz mit einem Schlüssel zu deinem Herzen steht schon bereit.Für chinesische Sozialforscher ist die Kua-Kua-Welle ein interessantes Phänomen. Statt die eigene Familie oder den Freundeskreis anzuzapfen, wendet man sich lieber an eine wildfremde Netzgemeinde, um Zuspruch zu erhalten, der wohl kaum vom Herzen kommt. Beim Institute of Psychology an der China Academy of Sciences heißt es, dass das Ringen um Komplimente nicht als Symptom für eine steigende Depressionsanfälligkeit in jüngeren Gesellschaftsschichten zu werten ist und oft eher vergnüglichen statt verzweifelten Charakter annimmt. Dabei verweisen die Experten auf einen wohltuenden Anonymitätseffekt. Man kann etwas Dampf und Beschwerden ablassen, ohne sich im Arbeitsumfeld und Bekanntenkreis etwas zu vergeben. Und viele machen sich wohl einfach nur einen Spaß daraus, in den sozialen Netzwerkwald hineinzurufen, um einmal zu sehen, was zurückschallt. *Man kann sich aber auch auf weniger virtuelle Weise abreagieren. In chinesischen Großstädten werden sogenannte “Anger Rooms” populär – ein Konzept, das aus den USA stammt. Für rund 150 Yuan die halbe Stunde erhält der Kunde Zugang zu einer Kammer, die mit allem möglichen alten Hausrat gefüllt ist. Er wird mit Overall, Helm, Schutzbrille und einem Baseballschläger ausstaffiert und darf nach Herzenslust und mit viel Gebrüll von alten Fernsehern, Möbeln und Geschirr bis zu selber mitgebrachten Kummergegenständen alles kurz und klein schlagen. Das Zielpublikum ist durchgehend jung, großstädtisch und gestresst und wirkt nach dem Anger-Room-Besuch wesentlich entspannter. Wem das nicht reicht, kann nachher noch auf Kua Kua eine Runde Lob einsammeln und die destruktive Stressabbaurunde als äußerst konstruktive Aktion beklatschen lassen.