CORPORATE FINANCE AWARD: DIE GEWINNER (8)

M&A-Kraftprobe im Gerichtssaal

Fresenius schreibt nach dem Stopp der milliardenschweren Akorn-Übernahme Rechtsgeschichte - Auszeichnung für professionellen Abbruch des Deals

M&A-Kraftprobe im Gerichtssaal

Übernahmeofferten sollen gemeinhin so schnell wie möglich zum Erfolg gebracht werden. In manchen Fällen kann es jedoch entscheidend sein, aus einer Kaufvereinbarung wieder herauszukommen, wenn sich der Deal als Fehlgriff erweist. Das ist Fresenius im Fall Akorn gelungen, wofür das Management des Gesundheitskonzerns den Sonderpreis der Corporate Finance Awards 2018 verliehen bekommt.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtEs sieht anfangs aus wie eine der gewohnten Transaktionen des Gesundheitskonzerns. Im April 2017 sickert durch, dass Fresenius Interesse am US-Generikaanbieter Akorn hat. Investmentbanken haben das deutsche Unternehmen darauf angesprochen, dass Akorn einen Käufer sucht. Der Deal findet Zustimmung der Investoren im Markt, gesprochen wird von einer strategisch sinnvollen Ergänzung des Geschäfts der Fresenius-Tochter Kabi mit intravenös zu verabreichenden patentfreien Arzneimitteln. Fresenius legt 4,8 Mrd. Dollar auf den Tisch und macht sich an die zweitgrößte Akquisition in der Firmengeschichte, wobei es 2017 Schlag auf Schlag geht, denn der bislang größte Deal, die spanische Krankenhauskette Quirónsalud ist zuvor auf die Schiene gesetzt worden.Das Objekt der Begierde scheint bei Ankündigung des Zusammenschlusses in voller Schönheit zu strahlen. Bei einem erwarteten Umsatz von gut 1 Mrd. Dollar wird eine Marge von fast 40 % angesetzt. Das jedenfalls prognostiziert das Akorn-Management.Die ersten Schatten fallen auf die Transaktion, als Akorn vier Monate nach dem Deal-Auftakt für das zweite Quartal einen Umsatz- und Ergebniseinbruch meldet. Der Gewinn schrumpft von 62 Mill. auf gerade mal 2,5 Mill. Dollar. Begründet wird der Absturz mit dem Ablauf des Exklusivitätsstatus für ein Produkt, hohem Wettbewerbsdruck im Markt und Lieferschwierigkeiten. Dramatischer ErtragsverfallDas Fresenius-Management ist geschockt vom dramatischen Ertragsverfall, zumal die Akorn-Führungsriege keine zufriedenstellende Erklärung geben kann. Fresenius beginnt Optionen zu prüfen, um aus dem Deal wieder herauszukommen. Eingeschaltet wird die Kanzlei Paul Weiss. Zu der Zeit ist indes noch nicht klar, ob es sich um einen Ausreißer handelt oder die Ertragserosion nachhaltig sein würde. Für einen Ausstieg liegen noch keine ausreichenden Gründe vor.Im November in der Berichterstattung über das dritte Quartal nimmt das Drama seinen Lauf: Akorn landet mit knapp 3 Mill. Euro im Verlust. Fresenius-Chef Stephan Sturm muss öffentlich einräumen, dass Akorn die Erwartungen verfehlt hat. Er bekräftigt weiterhin die strategische Logik des Deals. Außerdem zeigt sich der deutsche Konzern überzeugt, die Probleme von Akorn angesichts der eigenen Marktstärke und Erfahrung nach dem Erwerb unter eigener Regie lösen zu können.Der Ertragsverfall bleibt nicht das einzige Problem. Fern der Öffentlichkeit landet Anfang Oktober ein anonymer Brief bei Fresenius in Nordamerika. Das Schreiben beinhaltet zunächst einige allgemein gehaltene Vorwürfe gegen Akorn über Unregelmäßigkeiten in der Produktentwicklung. Die Anschuldigungen werden als zu unkonkret eingeschätzt, um darauf aufbauend Schritte einzuleiten. Vier Wochen später geht das nächste Schreiben ohne Absender ein, deutlich konkreter in den Vorwürfen und mit Nennung von Verantwortlichen auf Seiten von Akorn.Der zweite Brief kann nicht mehr tatenlos abgeheftet werden, diesen Vorwürfen muss Fresenius nachgehen, um sich keine Haftungsprobleme nach Vollzug der Transaktion einzuhandeln. Fresenius fordert Akorn auf, einer unabhängigen Untersuchung zuzustimmen. Zur Klärung wird die Kanzlei Sidley Austin eingeschaltet, EY befasst sich mit forensischen Fragen und Lachman Consultants mit pharmazeutischen Themen.Ende Februar 2018 erhält die Öffentlichkeit die Hiobsbotschaft, dass Fresenius Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in der Produktentwicklung von Akorn prüft. Der Vorwurf steht im Raum, die US-Gesellschaft habe bei Produktzulassungen gegen Vorgaben der US-Gesundheitsbehörde FDA verstoßen. CEO Sturm deutet an, er werde den Kauf stoppen, sollten sich die Vorwürfe als stichhaltig erweisen. Einen Monat später zieht Fresenius die Reißleine und kündigt die Übernahmevereinbarung. Das Unternehmen begründet den Schritt damit, dass Akorn mehrere Vollzugsvoraussetzungen nicht erfüllt habe.Nun werden die Anwälte in Stellung gebracht. Akorn weist die Vorwürfe zurück und reicht Klage auf Vollzug der Übernahme bei einem Gericht im US-Bundesstaat Delaware ein. Fresenius betont, die Erkenntnisse über schwerwiegende Verstöße von Akorn ließen keine andere Entscheidung zu. Unter den Voraussetzungen könne man die Transaktion nicht vollziehen. Die Motivation für den Kauf hat sich auf den Kopf gestellt. Großes RisikoDoch das Risiko ist beträchtlich, denn bei einer Niederlage vor Gericht müsste Fresenius die Transaktion zu den vereinbarten Konditionen vollziehen und im Zweifel ein angeschlagenes Unternehmen zu einer horrenden Bewertung erwerben. Und der mögliche Wertverlust über die Dauer des Gerichtsverfahrens ist kaum abzuschätzen. Es gibt zudem keinen Präzedenzfall, in welchen Fällen das im Übernahmevertrag über Material-Adverse-Change-Klauseln (MAC) verankerte Rücktrittsrecht den Abbruch des Deals erlaubt. MAC-Klauseln sollen es dem Käufer ermöglichen, sich von einem noch nicht vollzogenen Kaufvertrag zu lösen, falls schwerwiegende Veränderungen auftreten – wie Ertragseinbruch oder Compliance-Verstöße.Mit dem Rechtsstreit in den USA beginnen arbeitsintensive Tage für das Fresenius-Management und den Aufsichtsrat. Bis zu den Verhandlungstagen vom 9. bis 13. Juli 2018 werden Tausende Seiten Akten gefüllt. Richter Travis Laster steigt tief in die Materie ein. Er gilt als erfahren und kompetent in Wirtschaftsstrafsachen. Beobachter bezweifeln, dass Fresenius als deutsches Unternehmen im Umfeld der aktuellen US-Politik überhaupt eine Chance haben könnte, vor einem US-Gericht zu siegen, denn damit würde einem US-Unternehmen der Boden unter den Füßen weggezogen.Doch Fresenius setzt sich in dem Kraftakt durch. Anfang Oktober entscheidet der Court of Chancery in Delaware zugunsten des deutschen Konzerns. Das Urteil sorgt für großes Aufsehen, denn erstmals hat ein Gericht in Delaware darüber entschieden, in welchem Fall MAC-Klauseln den Abbruch einer Übernahme erlauben.Richter Laster hat den festen Willen, Rechtsgeschichte zu schreiben. Er macht das Urteil wasserdicht und verfasst mit 246 Seiten den längsten Richterspruch in der Geschichte des Gerichts in Delaware. Er hat die Dimension des Falls erfasst und erkannt, dass Fresenius/Akorn das perfekte Beispiel für die Wirksamkeit von MAC-Klauseln ist. In Delaware und offensichtlich auch in anderen Bundesstaaten ist noch kein Unternehmenskauf bekannt, der auf Basis dieser Klauseln rückabgewickelt wurde. Laster setzt sich im Urteil nicht nur mit dem Sachverhalt akribisch auseinander, sondern mit der gesamten Literatur. Jede Fußnote sei lesenswert, meinen Juristen anerkennend.Wie gut das Gericht in erster Instanz sein Urteil begründet hat, zeigt sich in der Revision vor dem Delaware Supreme Court. Die höchste Instanz findet die Argumentation so überzeugend, dass sie die Entscheidung schlichtweg abnickt. In Rekordzeit innerhalb von 48 Stunden nach der mündlichen Verhandlung erkennt das Revisionsgericht auf weniger als drei Seiten zwei von drei Gründen für die Kündigung des Übernahmevertrags an. Fresenius geht als Sieger vom Feld.Das Unternehmen wertet es als Glücksfall, die Kanzlei Paul Weiss mit dem Partner Lewis Clayton für den Prozess mandatiert zu haben. Das sei einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren gewesen. Anwalt Clayton wird vom Branchendienst American Lawyer zum “Litigator of the Week” gekürt. Detaillierte GewährleistungenFresenius wird mit den Urteilen bescheinigt, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben und Akorn im Zuge des Übernahmevertrags sorgfältig geprüft zu haben, ohne willentlich Risiken in Kauf zu nehmen. Auch in der Vertragsgestaltung hat Fresenius die nötige Sorgfalt bewiesen. Beim Kauf eines börsennotierten Konkurrenten ist aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nur eine eingeschränkte Due Diligence möglich. Deshalb sah der Kaufvertrag sehr detaillierte Gewährleistungen vor für die Bereiche, in die Fresenius keinen Einblick nehmen konnte. Das bezog sich vor allem auf die regulatorischen Themen der Produktzulassungen von Akorn. Dass Akorn schwerwiegend gegen Gewährleistungen verstoßen habe, wird neben dem Ertragsverfall als ausreichender Grund gewertet, dass Fresenius den Übernahmevertrag kündigen durfte.Bei aller Erleichterung über den Ausgang des Verfahrens bleibt eine Kehrseite: Es ist teuer, in den USA Recht zu bekommen.—-Zuletzt erschienen:- Cerberus (19.3.)- BMW und Daimler (15.3.)- Henkel (12.3.)- Linde (8.3.)