Autobauer

Misstöne vor der Daimler-HV

Auch ohne die ursprünglich geplante Rückkehr von Ex-CEO Dieter Zetsche als Vorsitzender des Aufsichtsrats von Daimler sieht Corporate-Governance-Experte Christian Strenger Defizite beim Stuttgarter Autobauer. Er empfiehlt die Nichtentlastung des Aufsichtsrats – insbesondere wegen der gewichtigen Rolle, die dem langjährigen Mitglied Clemens Börsig zukommt.

Misstöne vor der Daimler-HV

Von Sebastian Schmid, Frankfurt

In vielerlei Hinsicht ist die Hauptversammlung 2021 eine erfreulichere für die Daimler-Aktionäre als die im vergangenen Jahr. So schlägt der Vorstand trotz der Coronakrise eine Anhebung der Dividende um 50% auf 1,35 Euro je Aktie vor. Dies ist dem starken Schlussspurt, den Daimler 2020 hingelegt hat, geschuldet. Trotz eines Erlösrückgangs im Gesamtjahr wurde ein Milliardengewinn eingefahren und der freie Cash-flow im Industriegeschäft auf 8 Mrd. Euro vervielfacht. Zudem wurde das CO2-Flottenemissionsziel erreicht, so dass Strafzahlungen vermieden wurden.

Auch strategisch läuft es. Die Stuttgarter sind sich mit dem Betriebsrat nach langen Diskussionen einig und können das Stammwerk in Untertürkheim zu einem E-Campus transformieren. Der Vorstand, der bei allen Herausforderungen einen optimistischen Ausblick für 2021 gibt, ist zum Ende des zweiten Jahres mit Ola Källenius an der Spitze zurück in der Offensive und plant die historische Abspaltung des Nutzfahrzeug-Geschäfts in eine eigenständige börsennotierte Gesellschaft. Den Aktienkurs hat das bereits belebt, auch wenn eine außerordentliche Hauptversammlung später im Jahr den Schritt erst noch absegnen muss. Zudem hat Daimler den 1,5 Mrd. Dollar schweren Vergleich im Dieselskandal mit den US-Behörden gerichtlich bestätigt bekommen und so in einem wichtigen Bereich Rechtssicherheit erhalten.

Dennoch sind drei Wochen vor der virtuellen Aktionärsversammlung, die letztmals vom langjährigen Aufsichtsratschef Manfred Bischoff geleitet wird, die ersten Dissonanzen zu vernehmen. Der Corporate-Governance-Experte Christian Strenger hatte in der Vergangenheit bereits die geplante Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes durch Ex-Konzernchef Dieter Zetsche kritisiert. Nachdem dieser freiwillig verzichtet, soll zum 1. April der ehemalige VW-Chef Bernd Pischetsrieder übernehmen. Strenger sieht dennoch Aufsichts-Schwächen beim Autobauer.

Der Governance-Experte empfiehlt, dem Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2020 keine Entlastung zu erteilen, und kreidet in seinem Gegenantrag zur Hauptversammlung vor allem dessen „mangelnde, aber behauptete Unabhängigkeit“ an. Dabei hat Strenger vor allem zwei Mitglieder im Blick: Den schei­denden Aufsichtsratsvorsitzenden Bischoff und mehr noch den ebenfalls langjährigen Aufsichtsrat Clemens Börsig. Letzterer erfülle gleich in mehrfacher Hinsicht nicht die Kriterien eines unabhängigen Aufsichtsratsmitglieds nach dem Deutschen Corporate Governance Kodex.

So sei Börsig zum Zeitpunkt des Eintritts in den Daimler-Aufsichtsrat 2007 bereits Vorsitzender des Aufsichtsrats der mit dem Autobauer in verschiedener Form über Jahrzehnte verbundenen Deutschen Bank gewesen. Börsig hatte den AR-Vorsitz des Instituts, dessen Vorstand er zuvor angehört hatte, von 2006 bis 2012 inne. Zudem sei der Bankmanager mittlerweile über zwölf Jahre AR-Mitglied bei Daimler und schon daher nicht als unabhängig zu erachten. Ein Dorn im Auge ist Strenger vor diesem Hintergrund vor allem, dass der 72-Jährige mit dem Prüfungsausschuss und dem Ausschuss für Rechtsangelegenheiten zwei wichtige Gremien innerhalb des Aufsichtsrats leitet, in denen ein „kritischer Blick“ besonders wichtig sei. Zumal zumindest eine Überprüfung möglicher Mitverantwortung durch Unterlassung (etwa der Einrichtung geeigneter Compliance- und Risikosysteme) auch mit Blick auf Börsig vorgenommen werden müsste.

Die Kritik des Governance-Experten richtet sich daher auch gegen die vorgeschlagene Anhebung der Vergütung der Mitglieder des Rechtsausschusses. Börsig würde bei Zustimmung eine Erhöhung seiner Zusatzbezüge als Ausschussvorsitzender auf mehr als 115000 Euro winken. Dies sei „nicht nur, aber auch aufgrund der Höhe abzulehnen“.