Mit Daten gegen den Pflegenotstand
IM GESPRÄCH: JOHANNES ROGGENDORF
Mit Daten gegen den Pflegenotstand
Job-Vermittlungsplattform Medwing will mehr Transparenz für medizinisches Personal schaffen – Hoffnung auf schwarze Zahlen in diesem Jahr
Den Fachkräftemangel im Gesundheitssystem eindämmen und damit auch noch Geld verdienen – das ist das erklärte Ziel der Job-Vermittlungsplattform Medwing, die sich an Pflegekräfte, Ärzte und Ärztinnen richtet. Zwar dürfte es sich beim erstgenannten Vorhaben um eine etwas längerfristige Angelegenheit handeln. Laut einer Berechnung des Instituts der Deutschen Wirtschaft werden hierzulande bis 2035 fast eine halbe Million Pflegekräfte fehlen und damit mehr als doppelt so viele wie heute schon. Die WHO rechnet weltweit bis 2030 mit 18 Millionen offenen Stellen.
Doch zumindest das Geldverdienen steht für Medwing laut Johannes Roggendorf recht unmittelbar bevor: „Wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg, dass wir dieses Jahr profitabel werden“, sagt der CEO und Mitgründer des Berliner Tech-Unternehmens im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Mit über 500.000 registrierten Fachkräften verfüge die Plattform schon jetzt über den größten Talentpool im medizinischen Bereich und plane, darin künftig auch mit Blick auf Umsatz und Gewinn die führende Plattform in Europa zu werden.
Hoffnung auf „stille Reserven“
Für die Jobsuchenden ist die Vermittlung auf Medwing kostenlos, das Geld fließt über Provisionen, die die Einrichtungen zahlen. „Mit denen haben wir marktübliche Rahmenverträge“, sagt Roggendorf. Mittlerweile zählt das Start-up 5.500 Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen zu seinen Kunden. Bei der Vermittlung von Kandidaten in eine Festanstellung gehe ein bestimmter Prozentsatz vom Jahresgehalt an das Start-up. „Das ist aber weniger als das, was man von normalen Headhuntern kennt“, versichert der 37-Jährige.
Teurer sei es natürlich, wenn eine Einrichtung sehr spontan und für einzelne Schichten oder nur für einen kurzen Zeitraum zusätzliche Leute braucht. Dafür vermittelt Medwing in kleinerem Umfang auch Menschen in Zeitarbeit. „Die Kandidaten geben ihre Verfügbarkeit bei uns in der App an“, erzählt Roggendorf. Oftmals seien das auch Leute, die schon einen festen Job in einer Einrichtung haben und die sich über zusätzliche Schichten in anderen Einrichtungen noch etwas dazuverdienen wollen. Innerhalb von 24 Stunden liege die Buchungsrate für solche kurzfristigen Anfragen bei 80%. „Das heißt, wenn ein Krankenhaus eine Anfrage stellt, können wir in 80% der Fälle jemanden zur Verfügung stellen, der dann einspringt“, sagt Roggendorf.
Der CEO hatte vor Medwing bereits ein anderes Personalmanagement-Unternehmen namens HeavenHR gegründet und auch schon Start-up-Erfahrung beim Online-Möbelhändler Home24 gesammelt. Die Debatte um die wachsende Versorgungslücke im Pflegebereich habe ihn 2017 schließlich dazu bewogen, Medwing zu gründen. „Ich habe einige Ärzte im Familien- und Bekanntenkreis und kenne das Grundproblem daher ganz gut“, sagt Roggendorf. Ein wichtiger Ansatz sei für ihn, die „stillen Reserven“ an bereits vorhandenen Fachkräften in Deutschland zu heben. „Etwa 30% der Pflegekräfte, die die richtige Ausbildung haben, arbeiten nicht mehr im Pflegebereich“, sagt Roggendorf. „Ein großer Teil davon würde laut Umfragen aber gern wieder zurückkehren, wenn nur die Arbeitsbedingungen stimmen würden.“
Hier will der Gründer mehr Transparenz schaffen – ein Aspekt, der in klassischen Vermittlungskanälen in der Medizin aus seiner Sicht oftmals noch zu kurz kommt. „Die Einrichtungen erläutern in ihren Jobanzeigen ja oft immer erst mal lang und breit, wie sie entstanden sind und welche Aufgaben die Kandidaten übernehmen werden müssen“, so Roggendorf. „Das wissen die Leute, die sich auf die Jobs bewerben, in der Regel sowieso. Interessanter ist für sie aber: Wie sind die Arbeitsbedingungen wirklich? Was gibt es für Benefits? Wie ist das Team und wie sieht der Personalschlüssel aus?“ Auf Medwing sollen diese Fragen bereits vorab so klar wie möglich beantwortet werden. Dabei helfe auch, dass die Kandidaten regelmäßig gebeten werden, ihre Jobs auf der Plattform zu bewerten. Und hier zählt jede einzelne Meinung. „Die Datenqualität wird über die Zeit immer besser, je mehr Leute wir haben“, sagt Roggendorf. „Damit bauen wir eine Transparenz auf, die im Markt sonst nicht verfügbar ist.“
Umfrage: Welche Arbeitsbedingungen müssten sich verbessern, damit (potenzielle) Pflegekräfte sich vorstellen können, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben? | ||
Ärzt/-innen und Pflegekräfte mit leitender Tätigkeit | Potenzielle Pflegekräfte (18- bis 29-Jährige mit Schulabschluss in den letzten drei Jahren, Arbeitslose und Wechselwillige mit Interesse an der Pflege) | |
Bezahlung | 41,4% | 68,3% |
Verringerung der seelischen Belastung | 31,0% | 30,3% |
Abbau der körperlichen Belastung | 27,9% | 43,3% |
Bessere Arbeitszeiten | 26,6% | 49,0% |
Personalverfügbarkeit | 25,8% | 46,8% |
Fokus aufs Produkt
Neben den Daten will Medwing ihre Software aber auch mithilfe einer jüngst erhaltenen Finanzspritze verbessern. Im März hatten Investoren, darunter Cherry Ventures, Northzone und Atlantic Labs, im Rahmen einer Series-C-Finanzierungsrunde insgesamt 44 Mill. Euro in das Start-up gesteckt. Zwar will Medwing einen kleineren Teil davon auch in Wachstum durch Zukäufe investieren. Die internationale Expansion stehe aber momentan nicht übermäßig im Vordergrund. „Wir haben in Deutschland noch riesige Wachstumsmöglichkeiten und in England sowieso, weil wir da noch am Anfang stehen“, sagt Roggendorf.
Auch in Frankreich war Medwing schon mal aktiv. In der Corona-Pandemie habe man sich aus dem Markt jedoch zurückgezogen – nicht etwa, weil das Modell dort nicht funktioniert habe, sagt Roggendorf. „Sondern weil wir dort noch weiter von der Profitabilität entfernt waren.“
Der Personalmangel in deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen wird immer dramatischer. Viele Fachkräfte kehren dem Sektor vor allem wegen der schlechten Arbeitsbedingungen den Rücken. Die Job-Vermittlungsplattform Medwing will hier Abhilfe schaffen – und noch dieses Jahr die Gewinnzone erreichen.