Mit sozialen Medien gegen das Finanz-Establishment
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Das Vorbild des David-gegen-Goliath-Kampfes der US-Kleinanleger, die sich in sozialen Medien absprechen und mit Aktienoptionen gegen leerverkaufende Hedgefonds aus dem Finanz-Establishment spekulieren, schlägt nun auch auf die Kurse deutscher Unternehmen durch. Für den Batteriehersteller Varta ging es nach einem Rekordhoch am Donnerstag bei 181 Euro schon am Freitag um 18,8% auf 147,20 Euro abwärts. Auf Wochensicht liegt der Titel noch mit 12,5% vorn.
Mit einem Leerverkaufsanteil von 7,3% gehören Varta zu den am stärksten leerverkauften Titeln in Deutschland. „Das Thema der Kleinanleger, die sich mit Aktienoptionen gegen die Spekulation großer Hedgefonds auf einen fallenden Kurs wenden, scheint auch bei uns eine Rolle zu spielen“, sagte Bernhard Wolf, Investor-Relations-Manager bei Varta, der Börsen-Zeitung. „Wie stark der Einfluss genau ist, können wir nicht abschließend beurteilen. Fest steht, dass wir ungewöhnlich hohe Umsätze von 2 Millionen Stücken am Tag haben. Normal wären eher 300000. Weil noch vor einiger Zeit der Leerverkaufsanteil in unserer Aktie bei 9% lag, sind die Leihkosten nach oben gegangen. Deshalb wird es schwieriger für die Hedgefonds. Außerdem haben wir mehrfach positive Nachrichten zu unserer Geschäftsentwicklung vorgelegt, die die Spekulation auf einen fallenden Kurs zum Verlustgeschäft machen.“
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Wirkstoffforscher Evotec: Mit 43 Euro kostete die Aktie am Mittwoch so viel wie seit Anfang des Jahrtausends nicht mehr. Mit aktuell 32,50 Euro liegt sie in dieser Woche noch gut 10% im Plus, der Leerverkaufsanteil bei dem Titel liegt bei 10%.
Varta hatte schon lange mit Leerverkäufer-Attacken zu kämpfen – seit ein Leerverkäufer unter dem Namen „Black Mamba“ auf der Internetseite „Seeking Alpha“ die Nachricht verbreitet hatte, dass in Apple-Kopfhörern neben Varta-Batterien auch Akkus chinesischer Konkurrenten Verwendung fänden.
„Die Kursspekulationen um Aktien wie Gamestop, AMC Entertainment, Nokia oder hierzulande Varta beruhen auf einem koordinierten Vorgehen von Privatanlegern gegen Hedgefondsmanager und Analystenboutiquen, die auf fallende Kurse setzen“, erklärt Analyst Christian Kahler von der DZBank.
„Pump and dump“ ist alt
Das „Pump and dump“ oder „Scalping“ von kleineren Aktientiteln auf Message-Boards oder Social-Media-Kanälen sei so alt wie das Internet selbst. „Diesmal aber will die „Crowd“ gemeinsame Sache gegen die großen Wall-Street-Adressen machen. Damit kommt wieder ein Begriff ins Spiel, den viele Marktteilnehmer bereits aus dem Bitcoin-Universum kennen: Das Stichwort lautet „DeFi“, die Abkürzung für „Dezentrale Finanzmärkte“, sagt Kahler. „Kern dieser Theorie ist die Annahme, dass etablierte (zentralisierte) Preisbildungsprozesse wie bei IPOs oder an den Börsen auf Dauer hinter neuen, dezentralen Plattformen zurückstehen müssen. In der Welt der Kryptowährungen ist diese Entwicklung schon seit längerem zu beobachten.“
Laut Christoph Hock, Leiter Multi-Asset Trading bei Union Investment, lassen sich Absprachen bei Retailkunden „grundsätzlich nicht einfach lokalisieren und nachweisen“: „In Börsenforen wie Wallstreetbets sprechen Nutzer positiv über eine Aktie, andere reagieren umgehend mit Kauftransaktionen. Aus regulatorischer Sicht ist es aber dennoch wichtig sicherzustellen, dass der Schutz sämtlicher Investorengruppen sowie ein fairer und ordnungsgemäßer Handel gewährleistet sind.“ Die Geschehnisse in den USA seien Ausdruck eines über die sozialen Medien und entsprechende Trading-Apps extrem vereinfachten Handelszugangs über das Smartphone, durch den es schon mit Kleinstbeträgen möglich sei, in Sekunden Aktien zu erwerben.
Der in arge Bedrängnis geratene Hedgefonds Melvin Capital mischt auch bei Evotec und bei Varta mit. In einer der größten Hedgefonds-Rettungsaktionen seit dem Fall von Long Term Capital Management (LTCM) im Jahr 1998 musste Melvin Capital nun vor dem Ruin gerettet werden. Der Hedgefonds hatte auf fallende Kurse des Videospielehändlers Gamestop und der Kinokette AMC Entertainment spekuliert, die stark unter der Coronakrise und dem strukturellen Trend zu Online-Medien leiden. Doch Kleinanleger brachten Melvin Capital in Bedrängnis, indem sie sich auf Reddit dazu verabredeten, die Kurse nach oben zu treiben, und so den Fonds dazu zwangen, sich einzudecken.
Profis pochen auf ihr Recht
Online-Broker wie Charles Schwab, die App Robinhood und TD Ameritrade haben für Kleinanlegerkunden den Handel mit Aktienoptionen auf bestimmte Wertpapiere eingeschränkt, weil sonst ihre Risikotragfähigkeit überstiegen worden wäre. Im Kontrast dazu pochen Profianleger darauf, dass ihnen im Unterschied zu Kleinanlegern das Absprechen von Positionen nicht erlaubt sei und als Marktmanipulation geahndet würde.