Im Interview:Christian Strenger

Möglichkeit zu Sonderprüfungen hat sich bewährt

Die Regierungskommission Corporate Governance sollte noch sichtbarer werden und öfter Stellung beziehen zu aktuellen Governance-Themen, wünscht sich Christian Strenger.

Möglichkeit zu Sonderprüfungen hat sich bewährt

Möglichkeit zu Sonderprüfungen hat sich bewährt

Governance-Experte Strenger: ESG im Aufsichtsrat sollte branchenbezogen gelöst werden – Klage über ausufernde Gesetzgebung   

Die Regierungskommission Corporate Governance sollte noch sichtbarer werden und öfter Stellung beziehen zu aktuellen Governance-Themen. Das wünscht sich Christian Strenger, vor zwei Jahrzehnten Mitgründer der Kommission, und ungeachtet seines Alters von fast 80 Jahren bis in diesen Tagen in vielen Hauptversammlungen als Kritiker schlechter Governance unterwegs. Außerdem brauche man dringend Schwerpunkt-Gerichte mit gesellschaftsrechtlicher Expertise, um die langwierigen Gerichtsverfahren zu beschleunigen.

Herr Strenger, in Ihrer inzwischen so sichtbar gewordenen Arbeit für gute Corporate Governance gehörten Sie zu den Mitgründern der 2001 gegründeten Kodex-Kommission. Sind Sie rückblickend zufrieden mit dem, was die Regierungskommission in über zwei Jahrzehnten erreicht hat?

Ja, weitgehend. Das Verständnis auf beiden Seiten ist gewachsen, insbesondere auf der Unternehmensseite. Für die Investoren konnten die Vorstellungen zunächst nur mit Mühe umgesetzt werden. Prof. Uwe Schneider aus Darmstadt und ich haben an einem konkreten Fall 1998 das erste Gerüst gebaut. Das war eigentlich gar nicht so kompliziert, denn es geht vornehmlich um fünf Blöcke: Aktionäre, Hauptversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfung.

Um welchen Fall ging es denn damals?

Der ehemalige Vorstandschef der Depfa Bank, Thilo Köpfler, hatte mich ziemlich aufgeregt angerufen. Seine US-Investoren hatten ihn gefragt, wie es denn um seine Corporate Governance bestellt sei, und wollten die in wenigen Wochen präsentiert bekommen. Aber Corporate Governance war damals selbst als Begriff in Deutschland noch wenig bekannt. Nach Köpflers Hilferuf haben sich Uwe Schneider und ich hingesetzt und an einem Nachmittag mit anschließender Nachtsitzung die erste Fassung gebaut.

Und wie kam es zum Kodex?

Danach haben wir das noch mit Prof. Theodor Baums zu einer Art „privaten Kodex“ ausgebaut. Baums wurde dann nach der Holzmann-Pleite vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Erarbeitung des Kodex beauftragt. Der wurde dann von der von der Bundesregierung ernannten Kommission unter dem ersten Präsidenten Gerhard Cromme ins Leben gesetzt. Alles in allem ist es heute definitiv besser geworden mit der Corporate Governance in Deutschland.

Was bleibt noch zu tun?

Der Kodex ist jetzt umfassend und manchmal fast schon zu detailliert, und dennoch gibt es immer noch besondere Fälle.

 . . . und die wären?

VW hat zum Beispiel bei seiner jährlichen Entsprechenserklärung zum Kodex rekordnahe neun Abweichungen erklärt. Und das waren noch zwei zu wenig. Denn die als unabhängig bezeichneten Aufsichtsräte sind es nicht, zum Beispiel der AR-Vorsitzende Hans Dieter Pötsch und auch die Vertreter Katars.

Warum wird das nicht sanktioniert?

Seit der BGH entschieden hat, dass eine falsche Entsprechenserklärung keine justiziablen Folgen hat, hat VW davor keine Angst. Der BGH steht auf dem Standpunkt, der Kapitalmarkt werde es schon richten, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse im VW-Aktionariat eben nicht stattfinden kann. Da kann man nur mit den Füßen abstimmen und sich verabschieden, was aber für Indexfonds unmöglich ist.

Sie persönlich scheinen sich aber vom Thema VW nicht verabschieden zu wollen, sondern sehen das als dauernde Herausforderung an.

Die „Zuneigung“ beruht inzwischen auf Gegenseitigkeit. In der letzten HV hat mich der AR-Vorsitzende Pötsch stundenlang warten lassen mit der Stellung meiner Gegenanträge. Obwohl von der Begrenzung der Redezeit ausgenommen, meinte Pötsch, meine Redezeit sei abgelaufen. Ich musste ihn erst einmal aufklären.

Stichwort Altersgrenzen: Wie sinnvoll sind die?

Grundsätzlich durchaus sinnvoll, wenn sie nicht zu stringent verfolgt werden. Bei der DWS wurde die 75-Jahre-Grenze eingeführt, so dass meine letzte Aufsichtsratssitzung vor meinem 80. Geburtstag stattfand.

Wenn man wie Sie bis ins hohe Alter nicht nur körperlich fit, sondern auch in Themen tief drin ist, sollten dann Altersgrenzen überhaupt allgemein gültig vorgeschrieben werden?

Besser wäre, wenn sich Aufsichtsräte ab 70 regelmäßig prüfen. Und ab 75 könnte man schon sagen: Jetzt ist auch genug. Wenn das Unternehmen einem Patron gehört, wird das schwieriger. Warum würde der aufhören, wenn er fit ist? 

Beispielsweise weil mit jüngeren Führungskräften auch neue Ideen ins Unternehmen kommen?

In der Tat ist die Altersfrage auch eine Frage der Diversität. Diese Diskussion ist leider auf das Gender-Thema verkürzt worden. Denn es braucht kenntnisreiche jüngere Leute, die aber auch genügend Zeit haben. Beispielsweise sollten Dax- und MDax-Finanzvorstände in einem anderen Dax-Unternehmen Vorsitzende des Prüfungsausschusses sein. Aber dafür ist die zeitliche Belastung, je nach Branche und Lage des Unternehmens schon erheblich.

Was sind für Sie persönliche Erfolge in der Verfolgung guter Governance?

Dazu gehört vor allem die Sonderprüfung, die wegen der persönlichen Haftung von den Unternehmen ernst genommen wird. Erstes Beispiel hierfür war Porsche und die hohen Abfindungen von 70 Mill. Euro für die Vorstände Wiedeking und Härter, die durch spekulative Derivategeschäfte Porsche an den Rand des Abgrunds gebracht hatten. Um die von mir beantragte Sonderprüfung zu vermeiden, war man nach zähen Verhandlungen bereit, eine Sonderdividende dieser 70 Mill. Euro nur für die freien Aktionäre zu zahlen. Und für Thyssenkrupp und Bayer habe ich die „freiwillige Sonderprüfung“ durchgesetzt, bei der man sich auf ein gemeinsames Prüfprogramm durch einen unabhängigen Experten einigt.

Manche Kodex-Empfehlung ist von den Emittenten nur zögerlich umgesetzt worden – zum Beispiel Diversität und Frauenquote –, wodurch die den Gesetzgeber auf den Plan gerufen haben. Das ist doch kein Erfolgsausweis, oder?

Wenn die Wirtschaft die Kodexempfehlungen ignoriert und die Chance zur Veränderung nicht ergreift, wie auch beim Thema des Wechsels vom Vorstands- zum Aufsichtsratsvorsitzenden, dann macht sie es der Politik insbesondere vor Wahlen leicht, Kapital daraus zu schlagen und Gesetze zu verabschieden. Aktuell beobachte ich aber eine Überforderung der Wirtschaft, denn was derzeit in Brüssel mit der politisch beauftragten Umsetzung von ESG-Themen abgeht, ist viel zu viel und viel zu schnell. Das kann so gar nicht sorgfältig im Detail bewältigt werden. Das können vielleicht die großen Dax-Konzerne, aber viele international erfolgreiche Mittelständler sind damit schlicht überfordert.

Der Druck kommt ja aber nicht nur von der Politik, sondern bei den börsennotierten Unternehmen auch von der Investorenseite.

Ja, weil auch die institutionellen Investoren verpflichtet werden, ESG-Anliegen umzusetzen. Schon angesichts der in den USA einsetzenden Gegenreaktionen einiger staatlicher Pensionsfonds wäre es besser für Europa, sich etwas mehr Zeit zu geben und realistische Vorgaben zu verfolgen.

Schießt sich damit Europa aus dem internationalen Wettbewerb und Kapitalmarkt?

Gerade für Deutschland besteht die Gefahr, dass wir aufgrund ausufernder Gesetze immer langsamer werden. Denken Sie nur an das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Das gibt es in dieser Detailtiefe nicht in anderen europäischen Ländern.

Sie meinen, dass Deutschland der EU in der Gesetzgebung wieder vorausläuft. Erleben wir das gerade auch beim Zukunftsfinanzierungsgesetz?

Ja, konkret beim Thema der Mehrstimmrechtsaktien. Man kann über sinnvolle Starthilfen für junge Börsen-Unternehmen durchaus nachdenken. Aber dem Jungunternehmer zehnfaches Stimmrecht für zehn Jahre mit zehnjähriger Laufzeit und zehnjähriger Verlängerungsklausel einzuräumen, ist einfach unausgewogen.

Sondern?

Maximal für fünf Jahre und dreifaches Stimmrecht mit einer Sunset-Klausel, die nach drei Jahren auf maximal 30% der Stimmen runtergeht und nach fünf Jahren endet. Wenn man hier keine vernünftige Balance findet, wird ein solcher Vorstoß im Kapitalmarkt durchfallen.

Gibt es weitere Projekte, die Sie sich vorgenommen haben?

Jüngstes Beispiel ist die Software AG mit offensichtlicher Ignoranz von höheren Übernahmeangeboten. Andere Themen sind noch anhängende juristische Verfahren bei Volkswagen und Rocket Internet.

Welche Pläne haben Sie für die wissenschaftliche Arbeit an der Frankfurt School of Finance & Management, bei der Sie Ihre praktische Erfahrung einbringen können?

Da sind wir gut unterwegs mit unseren jährlichen Konferenzen und Roundtables zu aktuellen Themen. Wir wollen für die Masterstudiengänge stärker Corporate Governance einbeziehen und durch Vergabe von Stipendien gezielt unterstützen. Weiter geht es in überschaubarem Umfang mit meinem Engagement bei der OECD, wo ich dem Business Advisory Committee angehöre, das gerade die global gültigen Principles of Good Corporate Governance überarbeitet. Beim International Corporate Governance Network ICGN bleibe ich als früherer Chairman ebenfalls aktiv.  

Wo steht denn Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen Corporate Governance? Gelten wir mit unserem Two-tier-System als Exot und Außenseiter?

Mit unserer klaren Trennung in Vorstand und Aufsichtsrat haben wir die bessere Lösung. Interessanterweise habe ich gerade eine Anfrage aus Indonesien auf dem Tisch, wo man das Two-tier-System stärker umsetzen will. In Japan gibt es das übrigens auch, es wird nur ein wenig anders gelebt.

Ist ein 20-köpfiger AG-Aufsichtsrat nicht groß für effiziente Arbeit? Ist die SE mit zwölf Aufsichtsräten nicht die bessere Lösung?

Gerade bei großen und komplex aufgestellten Konzernen gilt es zu differenzieren. Denn ein zu kleiner Aufsichtsrat kann die inzwischen intensiv gewordene Ausschussarbeit kaum mehr leisten. Effiziente Kontrolle und Beratung sind bei zwölf Mitgliedern schon das absolute Minimum. Bei Siemens wäre ein Zwölfer-Aufsichtsrat sicher zu wenig. Das duale System hat klare Vorteile, auch weil man sich inzwischen dem angelsächsischen System durch deutlich gestiegene Sitzungsfrequenz angenähert hat.

Stichwort Komplexität: Jetzt kommen ESG-Anforderungen auf die Aufsichtsräte zu. Sollten die Aufsichtsräte dafür einen ESG-Ausschuss bilden, oder sollten alle AR-Mitglieder ESG-Wissen haben?

Also „G“ müssen sowieso alle können, und bei „E“ und „S“ sollten zumindest die unternehmensrelevanten Grundkenntnisse da sein. Der Aufsichtsrat muss ESG ja nicht selber machen, er muss aber die Grundzüge und deren systemische Umsetzung verstehen sowie bei Bedarf externe Expertise heranziehen. Da gibt es keine allgemeingültige perfekte Lösung, das sollte man branchenbezogen und größenabhängig angehen.

Herr Strenger, Sie werden in wenigen Tagen 80 Jahre alt, und zu Geburtstagen darf man sich ja was wünschen. Welche Wünsche gibt es?

Mehr Präsenz der Regierungskommission Corporate Governance. Sie sollte „öffentlicher“ werden und öfter Stellungnahmen zu aktuellen Governance-Themen abgeben. Die Kommission sollte auch einen Jahresbericht herausgeben und in dem Bericht, wie in Frankreich, beispielhafte konkrete „Fälle“ aufnehmen. Und dann brauchen wir zur Behandlung strittiger Governance-Fälle dringend Schwerpunkt-Gerichte mit intensiver Gesellschaftsrechts-Expertise, damit die Gerichtsverfahren nicht wie bisher fünf Jahre bis zur BGH-Entscheidung dauern müssen. Und dass die Verfahren bisher zwingend am Sitz der Gesellschaft beginnen müssen, ist für die Antragsteller gerade bei großen Unternehmen ein deutlicher Nachteil.

Das Interview führte Claus Döring.

Im Interview: Christian Strenger

Die Regierungskommission Corporate Governance sollte noch sichtbarer werden und öfter Stellung beziehen. Das wünscht sich Christian Strenger, vor 20 Jahren Mitgründer der Kommission und ungeachtet seines Alters von fast 80 Jahren in vielen Hauptversammlungen als Kritiker schlechter Governance unterwegs.

Und dann brauchen wir zur Behandlung strittiger Governance-Fälle dringend Schwerpunkt-Gerichte mit intensiver Gesellschaftsrechts-Expertise.

Der BGH steht auf dem Standpunkt, der Kapitalmarkt werde es schon richten, was angesichts der Mehrheits-verhältnisse im VW-Aktionariat eben nicht stattfinden kann. Da kann man nur mit den Füßen abstimmen und sich verabschieden, was aber für Indexfonds unmöglich ist.

Das Interview führte Claus Döring.

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