Nestlé fängt sich auf dem langen Marsch zum chinesischen Verbraucher

Marktstellung deutlich aufpoliert - Nahrungsmittelriese setzt konsequenter auf lokale Marken - Partnerschaften zeigen den Weg

Nestlé fängt sich auf dem langen Marsch zum chinesischen Verbraucher

Von Norbert Hellmann, SchanghaiDer weltgrößte Nahrungsmittelkonzern und das Land mit den meisten Mündern auf der Welt. Das passt irgendwie zusammen. Doch hat sich Nestlé lange schwer damit getan, im wachstumsstarken China so weit Fuß zu fassen, dass ein prägender Beitrag zum Konzernerfolg des Branchenriesen erkennbar wäre. Dies obwohl die signifikante Stärkung des Umsatzbeitrags aus Schwellenländern längst Programm ist. Der Durchbruch kam im vergangenen Jahr.Mit der Übernahme von Mehrheitsbeteiligungen am größten chinesischen Süß- und Snackwarenhersteller Hsu Fu Chi und der vor allem für Milchgetränke und den chinesischen Frühstücksrenner Congee (Reisbrei) bekannten Yinlu Foods kommen sich Anspruch und Wirklichkeit näher. Raum nach obenFür dieses Jahr rechnet Nestlé mit einer Verdoppelung des Umsatzes im großchinesischen Raum von 2,5 auf 5 Mrd. sfr. Damit schließt das Reich der Mitte nahe zu Frankreich und Brasilien mit 5,6 bzw. 5,4 Mrd. sfr Umsatz 2011 auf und dürfte sich rasch als zweitgrößter Nestlé-Markt hinter den USA (21,5 Mrd. sfr) etablieren. Mit dem Einstieg bei Hsu Fu Chi und Yinlu kann sich Nestlé auf einer wesentlich verbreiterten Basis über Jahre hinaus nachhaltig zweistellige Wachstumsraten im chinesischen Markt sichern, meint der für den chinesischen Raum einschließlich Hongkong und Taiwan verantwortliche Konzernmanager Roland Decorvet.Das gewaltige Potenzial zeige allein der Abgleich einer Bevölkerungszahl von über 1,3 Milliarden Menschen mit einem relativ zu Schwellenländern wie Brasilien, Russland oder Mexiko noch sehr niedrigen durchschnittlichen verfügbaren Jahreseinkommen (von etwa 3 500 Dollar) und geradezu winzigen Pro-Kopf-Ausgaben für verpackte Nahrungsmittel und Getränke von 150 Dollar.Der chinesische Konsummarkt befindet sich aus Sicht der internationalen Nahrungsmittelindustrie damit noch in einem Frühstadium, das eine Marktsättigung beziehungsweise Wachstumsgrenzen in weite Ferne rücken lässt. Um aber als westlicher Anbieter in einem Markt zu landen, dessen Konsumgewohnheiten sich drastisch von denen in Europa und den USA unterscheiden, reicht es nicht aus, mit den weltweit bekannten und in der Regel als Premium-Produkte platzierten Waren, wie sie im Hause Nestlé das Absatzspektrum dominieren, auf Kundenjagd zu gehen. Kit Kat geht gar nichtZwar sind auch in China mit Kaffeeprodukten vom Instantpulver der Marke Nescafé bis zu den gehobenen Nespresso-Kapseln kräftige Umsatzsteigerungen und hohe Marktanteile zu erzielen, doch befindet man sich in Produktkategorien, die zwangsläufig nur einen begrenzten Ausschnitt der chinesischen Bevölkerung ansprechen, denn von einer echten Kaffeekultur ist die breite Masse noch weit entfernt. Gleiches galt bislang auch für den Süßwarenmarkt, wo sich der weltweite Branchenführer mit Nestlé-Produkten bislang kaum durchzusetzen wusste. Wer in China eine Pause macht, greift bestimmt nicht zum Kit Kat.Von einer Einführung des weltbekannten Schokoriegels in China wurde wegen des als gering erachteten Potenzials abgesehen. Kit Kat trifft nicht den Publikumsgeschmack, zumal Chinesen westliche Schokoladeprodukte eher als Geschenkartikel denn zur Selbstverwöhnung nachfragen. Der andere VertriebswegMit Hsu Fu Chi hingegen, die in Kaufhäusern und Geschäften ganze Theken mietet, an denen sich Kunden im Grabschverfahren aus einem Sammelsurium von einzeln verpackten Süßigkeiten wie auch salzigen Snacks tütenweise bedienen und dann nach Gewicht bezahlen, liegt Nestlé auf richtiger Wellenlänge zum chinesischen Verbraucher. Der Weg zum durchschnittlich äußerst gering verdienenden chinesischen Massenkonsumenten liegt im Angebot von populären Produkten, die als heimische Marke wahrgenommen werden, erklärt Decorvet.Dass westliche Nahrungsmittelhersteller zunehmend auf Partnerschaften beziehungsweise Übernahmen von chinesischen Adressen angewiesen sind, ist eine Erkenntnis, die Nestlé eigentlich schon länger aus der 1999 gestarteten Partnerschaft beziehungsweise Übernahme von Totole in Schanghai gewonnen hat.Nestlé besitzt 80 % der Anteile am heutigen chinesischen Marktführer für Hühnerbrühe und verwandte Küchenprodukte, wie Gewürzmischungen, Saucen und Suppen. Der Gründer und Mitbesitzer Rong Yaozhong ist heute noch wie vor zwölf Jahren als General Manager in der lokalen Verantwortung und hat Totole gewaltig nach vorne gebracht. Zwischen 1999 und 2011 konnten sich die Erlöse verzwölffachen, für dieses Jahr wird mit gut 17 % Wachstum und einem Umsatz von rund 4 Mrd. Yuan (600 Mill. sfr) gerechnet. Das echte Huhn ist gefragtTotoles Verkaufsschlager ist für Wok-Gerichte als universelles Würzmittel breite Verwendung findende Hühnerbrühe in Granulatform. Das Herstellungsverfahren dazu ist erstaunlich aufwendig, weil Totole – wie bei einer Fabrikvisite ersichtlich wird – tatsächlich massenhaft echte Hühner verarbeitet, statt mit dehydrierten Fleischpulverzulieferungen zu hantieren. Beim chinesischen Verbraucher scheinen die geschmackliche Nachempfindung des echten Huhns in Pulverform und Vertrauen in die nicht sichtbar mit Nestlé in Verbindung gebrachte Marke gegeben.Dahinter stehen freilich Nestlé-spezifisches technologisches Know-how und die Nutzung von Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, die einer Totole im Alleingang nicht möglich wären. Dies macht sich nicht zuletzt auf Ebene der im chinesischen Markt immer wichtiger werdenden Aspekte der Hygiene und Lebensmittelsicherheit bezahlt. Eines der beiden gegenwärtigen chinesischen F & E-Zentren Nestlés ist direkt in die Totole-Fabrik integriert.Dieses Konzept gilt es nun auch auf Hsu Fu Chi und Yinlu zu übertragen. Kontinuität und chinesische Identität sind gefragt. Die Gründerfamilien der beiden Gesellschaften sollen langfristig als signifikante Anteilsinhaber und oberste Führungskräfte involviert bleiben und damit auch Produktstrategien und Vertriebsmodalitäten bestimmen. Die Anbindung an Nestlé wiederum sorgt für Qualitätssicherung und Fertigungsprozesse auf dem letzten technologischen Stand und sichert nicht zuletzt Kapital für einen rascheren Kapazitätsaufbau. F & E-OffensiveNestlé wird nun zwei neue chinesische Zentren für Forschung und Entwicklung in Xiamen und Dongguan aufziehen, die mit jeweiliger Spezialisierung auf die Produktkategorien von Yinlu und Hsu Fu Chi diese unterstützen sollen. Bei Yinlu, deren Umsatzvolumen auf umgerechnet 1 Mrd. sfr veranschlagt wird, steht außerdem ein Kapazitätsaufbau mit zwei neuen Werken in den Provinzen Anhui und Szechuan und einem Investitionsvolumen von rund 500 Mill. Dollar an.Decorvet will neue Akquisitionen im chinesischen Markt zwar nicht ausschließen, spricht aber davon, dass es derzeit genug zu verdauen gebe und man mittlerweile sehr zufriedenstellend positioniert sei. Einerseits mit der Marke Nestlé, wenn es wie beispielsweise bei Kaffee darum geht, als ausländisches Produkt wahrgenommen werden oder aber – wie im Falle von Babynahrung – das Sicherheitsgefühl eines schweizerischen Herstellers zu vermitteln.Auf der anderen Seite mit chinesischen Marken, die beim Massenkonsumenten auf einen Nerv treffen. Decorvet muss denn auch nur kurz nachdenken auf die Frage, welchen Fehler oder welches größte Versäumnis Nestlé im chinesischen Markt zu beklagen hat, nämlich Adressen wie Hsu Fu Chi und Yinlu nicht schon früher eingekauft zu haben.