DAS CFO-INTERVIEW -- IM INTERVIEW: BERNARD SCHÄFERBARTHOLD

Neuer Abgastest WLTP belastet nur temporär

Hella-Finanzchef sorgt sich eher um Chinas Konjunktur - 1 Mrd. Euro in der Kriegskasse - Bilanzielle Stabilität aus Kundensicht wichtig

Neuer Abgastest WLTP belastet nur temporär

– Herr Schäferbarthold, sind wir am konjunkturellen Wendepunkt angekommen?Wir verspüren deutliche Unsicherheiten. Im gesamten Makroumfeld gibt es eine Reihe von Herausforderungen. Auch wenn diese vorwiegend politischer Natur sind, hat sich dadurch das Marktsentiment in vielen Industrien eingetrübt. Brexit und Italien sind die Stichworte in Europa. On top kommen die Handelsstreitigkeiten, nicht nur zwischen den USA und Europa, sondern allen voran zwischen den USA und China.- Ist das mehr als Stimmung?Im Handelskonflikt gibt es bereits handfeste Maßnahmen. Die Einführung von Zöllen zwischen den USA und China ist teilweise schon spürbar. Das sehen wir auch.- Wo sehen Sie das?Wir haben Produktionsstätten auf dem ganzen Globus und auch unsere Zulieferer sind global aufgestellt. Produkte aus China und den USA sind heute schon mit Zöllen belegt. Bei uns ist davon noch kein wesentlicher Umfang betroffen, aber für unsere Kunden hat das schon einen Effekt. Die damit einhergehende Verteuerung von Produkten führt zu erhöhter Unsicherheit. In China wirkt sich das bereits auf das Konsumverhalten aus.- Geht das konkreter?In den letzten Monaten war die Autoproduktion in China negativ, zugleich wurden die Lager aufgebaut. In Summe sind weniger Autos verkauft worden. Am Ende sind davon alle Hersteller betroffen, auch wenn der Premiummarkt derzeit noch besser läuft.- In Europa leidet die Autoindustrie dagegen unter der Einführung des neuen Abgasprüfverfahrens WLTP.WLTP ist aus unserer Sicht ein temporäres Phänomen, das allerdings zusammen mit den anderen Themen die Gesamtsituation verschärft. Erste Unternehmen konnten ihre Prognosen nicht halten. Das hat auch an den Kapitalmärkten Reaktionen nach sich gezogen. Wir sind erst im Juni in das neue Geschäftsjahr gestartet, haben aber auch angekündigt, dass das zweite Quartal herausfordernder wird.- Hella ist mit einem beachtlichen Erlösplus von 10 % in das neue Geschäftsjahr gestartet. Wie stark ist diese Entwicklung auf Vorzieheffekte im Zusammenhang mit WLTP zurückzuführen?Wir hatten einen sehr guten Start in das neue Geschäftsjahr. Gerade in unserem europäischen Geschäft haben wir kurz vor der Einführung von WLTP im September deutlich höhere Abrufe gesehen. Wir vermuten, dass es sich teils um Vorzieheffekte gehandelt hat.- Können Sie das quantifizieren?Das ist schwierig. Wir leiten das aus der sehr hohen Volatilität ab. Mit dem Beginn des Geschäftsjahres haben wir einen deutlichen Nachfrageanstieg gesehen, der hielt bis Ende August. Im September kam es dann zu einem Einbruch der Nachfrage.- Trotzdem haben Sie die Jahresprognose bestätigt. Hat sich an Ihrer Einschätzung inzwischen etwas geändert?Nein. Unter der Annahme, dass WLTP ein temporärer Effekt ist, und wir zu Beginn des neuen Jahres eine Normalisierung sehen werden, erwarten wir, das Umsatz- und Ergebniswachstum wie geplant erreichen zu können. Entscheidend ist aber auch, wie sich der Markt in China weiterentwickelt.- Hella hat erst im abgelaufenen Turnus eine neue Produktionsstätte in Mexiko eröffnet. War das ein Fehler, auch wenn es jetzt ein neues Nafta-Abkommen gibt?Zunächst einmal ist positiv, dass das Nafta-Abkommen nicht ersatzlos gestrichen wurde. Auch wenn es derzeit noch keine Detailregelungen gibt, gehen wir davon aus, dass die Kompromisslösung für uns tragbar sein wird. Wir folgen mit unseren Produktionsstätten ein Stück weit unseren Kunden. Der weit überwiegende Teil dessen, was wir in Mexiko produzieren, bleibt in Mexiko, weil die Autohersteller ebenfalls in Mexiko fertigen. Wir versperren uns keineswegs, auch mehr in den USA zu produzieren.- Werden internationale Autobauer nicht zwangsläufig Teile der Produktion in die USA zurückverlagern?Das wird sich zeigen, wenn die Hersteller neue Kapazitäten schaffen. Es ist nicht auszuschließen, dass in den USA neue Produktionsstätten entstehen. Dann würden wir entsprechend prüfen, was für uns das Beste ist. Das sind stets projektspezifische Entscheidungen. Mit unseren Standorten folgen wir den tatsächlichen Projekten. Wir bauen keine Produktionsstätten auf der grünen Wiese und schauen dann, wie wir sie füllen.- Das heißt, Hersteller X entscheidet sich für die Produktion einer neuen Modellreihe am Standort Y und Hella zieht den Auftrag für die Scheinwerfer an Land.Dann wissen wir, dass wir in drei bis vier Jahren in die Serienproduktion gehen. Dann geht es in die produktspezifische Entwicklung. Während der Entwicklungszeit bauen wir normalerweise die Kapazität auf – wenn es passt, innerhalb eines bestehenden Werks oder wir bauen ein neues Werk.- Inwieweit betrifft Sie der Brexit?Wir haben keine Fertigungsstätten in Großbritannien. Wir beliefern unsere Kunden aus den europäischen Produktionsstätten. Was wir trotzdem spüren, ist die Unsicherheit unserer Kunden. Einige produzieren in Großbritannien, da bereiten wir uns auf die unterschiedlichen Brexit-Szenarien vor.- Wie macht man das?Es geht darum, die Planungen unserer Kunden für den Brexit-Fall in Erfahrung zu bringen und gemeinsam die bestmögliche Aufstellung abzuklären. Das kann bedeuten, dass wir uns beispielsweise über das Bilden von Sicherheitsbeständen auf der Insel austauschen.- Hella strebt an, das Geschäftsmodell möglichst wenig konjunkturanfällig auszurichten. Wie geht das in einer zyklischen Industrie wie der Automobilindustrie?Innerhalb des Automotive-Bereichs setzen wir auf Produkte, die in den aktuellen Markttrends wie autonomes Fahren, Effizienz, Elektrifizierung und Digitalisierung auf hohe Nachfrage treffen. Unabhängig von der Zahl der produzierten Fahrzeuge wollen wir den Wert unserer Produkte pro Fahrzeug erhöhen. Dafür sind wir mit den Bereichen Licht und Elektronik gut aufgestellt. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht auch von einer zyklischen Abschwächung getroffen wären. Daher ist es so wichtig, dass wir in unserem Geschäftsmodell weitere Pfeiler haben.- Ist Hella in dieser Hinsicht breit genug aufgestellt? Die Segmente Aftermarket und Special Applications stehen zusammen nur für ein Viertel des Konzernumsatzes und ein Fünftel des Ergebnisses.Das ist richtig. Aber wir haben wir die klare Zielsetzung, diese Bereiche, allen voran Special Applications, auszubauen. Da sehen wir großes Potenzial. Hier profitieren wir von den Basistechnologien, die wir in Licht und Elektronik haben. Diese werden auf autounabhängige Branchen wie Land- und Baumaschinen oder Marine angewendet. Hier wachsen wir in gutem Umfang und sehr profitabel.- Mit einem Umsatz von 430 Mill. Euro entsprechend einem Anteil am Konzernumsatz von 6 % ist das Geschäft jedoch sehr klein.Ja, gemessen am Gesamtumsatz ist das Geschäft noch klein, hat aber enormes Potenzial. Wenn wir über Akquisitionen sprechen, ist dieses Geschäft ein interessantes Feld.- Beträfen Akquisitionen in dem Segment das Erschließen neuer Regionen oder wollen Sie eher die Produktpalette erweitern?Beides. Heute sind wir mit Special Applications vor allem in Europa gut aufgestellt. Im US-Markt haben wir dagegen noch Luft nach oben. Wir sind dort vertreten, gehören – anders als in Europa – jedoch nicht zu den führenden Spielern. Zugleich schauen wir uns aber auch auf der Produktseite um.- Haben Sie hierfür ein Beispiel?Es gibt in der Elektronik im weitesten Sinne Anbieter, die schon Produkte für einschlägige Spezialzielgruppen entwickelt haben. Hier zu akquirieren ist schon allein aufgrund der Zeitersparnis sinnvoll.- Setzen Sie im Kerngeschäft Automotive dagegen ausschließlich auf organisches Wachstum?Prinzipiell sind wir in allen Segmenten für Akquisitionen offen. Unter M&A fallen bei uns neben Käufen aber auch Joint Ventures und alle Formen der Kooperation, um zu sehen, ob daraus mehr werden kann. Das hängt auch damit zusammen, dass die Geschwindigkeit in unserer Industrie deutlich zugenommen hat. Hella hat eine lange Historie in Partnerschaftsmodellen. Im Kern geht es uns dabei immer darum, den Kundennutzen zu erhöhen, Innovation voranzutreiben und eine relevante Größe im Markt zu erreichen.- Wie groß ist die Kriegskasse?Die Größenordnung von 1 Mrd. Euro ist realistisch. Die Herausforderung ist eher, etwas zu finden, das zur Strategie passt und nicht überteuert ist. Die Kaufpreise sind heute herausfordernd, aus diesem Grund sind wir bisher noch nicht fündig geworden.- Welche Multiples werden in Ihrer Industrie aufgerufen?Das ist sehr unterschiedlich. In der Elektronik, beispielsweise wenn es um Software geht, werden teilweise hohe zweistellige Multiples bezahlt. Damit rechnen sich bestimmte Dinge nicht mehr.- Mit welchem Multiple wir Hella an der Börse bewertet?Aktuell bewegen wir uns bei etwa dem 7,5-Fachen des operativen Ergebnisses.- Hella zielt auf eine Nettoverschuldung in Relation zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von weniger als 1. Warum so konservativ?Wir können nicht verleugnen, dass wir in einer zyklischen Industrie unterwegs sind und dass unser wesentlicher Geschäftsteil Automotive ist. Dadurch müssen wir bilanziell auch für einen Abschwung gerüstet sein. Wir müssen stabil durch eine Krise kommen, das ist auch für unsere Kunden wichtig. Aber auch mit Blick auf die großen Markttrends wie autonomes Fahren oder Elektromobilität ist es für unsere Kunden wichtig, dass wir als Anbieter eine hohe bilanzielle Stabilität aufweisen.- Sie sprechen im Geschäftsbericht von einem “ausgewogenen Verhältnis” zwischen Eigen- und Fremdkapital. Was verstehen Sie unter ausgewogen?Damit ist eine starke Eigenkapitalbasis gemeint. Genau quantifizieren lässt sich das nicht. Mit der momentanen Eigenkapitalquote von über 40 % fühlen wir uns sehr wohl. Ausgewogen heißt auch, dass wir uns die Emission von Anleihen erlauben können, um ausreichend Liquidität vorzuhalten.- Hella ist aber alles andere als ein regelmäßiger Anleiheemittent. Ist das relativ gesehen nicht sehr teuer, sich am Bondmarkt zu refinanzieren?Nein. Der Aufwand im Vergleich zum Bankkredit ist gleich. Man muss ja keine Roadshow veranstalten, um eine Anleihe zu emittieren. Wir bieten das an, aber eher unter dem Gesichtspunkt der Investorenpflege. Für uns als nicht regelmäßiger Emittent ist die Investorenpflege wichtig, um die Vertrauensbasis zu stärken. Von der reinen Dokumentation sind Anleihen stark standardisiert, das ist nicht aufwendiger als andere Fremdfinanzierungsinstrumente.- Hat Ihnen der Börsengang mit Blick auf den Bekanntheitsgrad auch am Fremdkapitalmarkt geholfen?Aus meiner Sicht spielt das durchaus eine Rolle. Natürlich kommt es auch immer auf die Situation am Kapitalmarkt an. In den letzten Jahren war viel Liquidität im Markt. Da war es nicht ganz so relevant. Allerdings kann man sagen, dass die mit der Börsennotierung einhergehende höhere Transparenz sehr hilfreich ist. Das gibt einen deutlich besseren Zugang zu den verschiedenen Finanzierungsinstrumenten. Langfristig ist das ein echter Wert.- Hat der Börsengang das Unternehmen verändert?Mein Eindruck ist, dass Investoren und Analysten einem Unternehmen sehr gut den Spiegel vorhalten können. Sie hinterfragen Dinge kritisch. Das wiederum hilft uns, die Kritikpunkte in die Organisation zu geben.- Apropos Feedback-Kultur: Analysten ziehen die Tragfähigkeit der hohen Kostenquote in Zweifel. Verstehen Sie die Besorgnis und wie reagieren Sie darauf?Wir diskutieren häufig, ob sich die hohen Investitionen in die Technologie auszahlen. Wir haben eine F&E-Quote von knapp 10 %. Das ist sicherlich im Wettbewerbsvergleich ein hoher Wert. Dabei muss man aber sehen, dass der weit überwiegende Teil dieser Aufwendungen auf gebuchtem Geschäft basiert.- Verstehe ich das richtig, dass Sie erst den Auftrag an Land ziehen, bevor Sie mit der Entwicklung starten?Etwa 70 % der F&E-Kosten bezieht sich auf gebuchtes Geschäft. Natürlich haben wir einen Basisanteil für Grundlagen- und Vorentwicklung. Anschließend entscheiden wir aber gemeinsam mit unseren Kunden, mit einer bestimmten Technologie in ein konkretes Projekt zu gehen. Da entsteht üblicherweise der größte Aufwand. Bevor wir mit einem Produkt in Serie gehen, haben wir einen zeitlichen Vorlauf von zwei bis vier Jahren. Die heutigen Kosten sind also ein Stück weit Investitionen in das zukünftige Wachstum. Entscheidend ist am Ende natürlich, dass Absatz und Ergebnis insgesamt stimmen.- Wenn Sie auftragsbezogen entwickeln, können Sie das Produkt am Ende aber nur an Ihren Entwicklungspartner verkaufen, oder? Ich denke, BMW würde sich bedanken, wenn Sie ein für BMW entwickeltes Produkt auch für Audi produzieren.Jein. Die Idee ist natürlich, dass wir gewisse Basisentwicklungen auch modular für andere Hersteller nutzen können. Davon profitieren alle Hersteller, weil wir bei der Preissetzung berücksichtigen, gewisse Stückzahlen abzusetzen.- Lässt sich das so fest kalkulieren?Natürlich nicht zu 100 %. Wir stehen im Wettbewerb und müssen sicherstellen, dass wir im Anschluss die Aufträge bekommen. Deswegen ist es aber auch so entscheidend, dass wir ein technologisch hervorragendes Produkt haben. Nur dann haben wir auch bei anderen Kunden eine wettbewerbsfähige Position. Es hilft, wenn das Produkt schon bei einem anderen Kunden platziert ist. Wir kalkulieren in der Regel so, dass wir mit der ersten Serie die Entwicklung der Basistechnologie abdecken. Profitables Wachstum generieren wir dann durch Folgeprojekte.—-Das Interview führte Annette Becker.