Nowatek tritt aus dem Schatten von Gazprom

LNG-Export gestartet - Paradigmenwechsel im russischen Gasgeschäft

Nowatek tritt aus dem Schatten von Gazprom

Von Eduard Steiner, MoskauDer unfruchtbare Boden der Tundra auf der Halbinsel Jamal verliert lediglich durch die vereisten Mäander seine Monotonie. Nahezu menschenleer, dafür umso rentierreicher präsentiert sich die Halbinsel dem Besucher 2 500 Kilometer nordöstlich von Moskau. Nur im Hafen Sabetta, 71 Grad und 16 Minuten nördlicher Breite, tummelten sich seit Jahren hunderte Arbeiter, mit Hubschraubern vom Festland herangeflogen. In dieser Woche haben sie ihr Werk vollbracht. Das vom privaten russischen Gaskonzern Nowatek geleitete Flüssiggasprojekt hat seine Produktion aufgenommen.Am vergangenen Freitag wurde der erste Eisbrecher mit Flüssigerdgas (LNG) beladen. Wie der Großteil des Nowatek-LNG aus Jamal wird es über die schwierige Nordostpassage nach Asien verschifft. Das legen allein schon die Anteilseigner am größten russischen LNG-Projekt nahe: Neben Nowatek (50,1 %) halten der chinesische Energiekonzern CNPC 20 % und der Fonds Silk Road, der für die Finanzierung an Bord geholt wurde, 9,9 %. Der Rest gehört dem französischen Energiekonzern Total.Die gestartete Produktionslinie ist die erste von drei Linien, deren Bau 23 Mrd. Euro verschlingt und die ab 2019 insgesamt 16,5 Mill. Tonnen LNG auf den Markt bringen soll. Eine vierte Linie ist geplant und soll, wie Kremlchef Wladimir Putin erklärte, sanktionsbedingt mit ausschließlich einheimischer Technologie errichtet werden.Gemessen am globalen LNG-Markt, der im Vorjahr laut International Gas Union (IGU) eine Produktionskapazität von 336 Mill. Tonnen erreichte, ist Russland hier vorerst ein kleiner Spieler. Das liegt auch daran, dass der führende und staatlich kontrollierte Gaskonzern Gazprom sich über alle Jahre auf Pipelinegas konzentriert und beschränkt hat, was sogar von Putin kritisiert wurde. Lediglich auf der pazifischen Insel Sachalin wurde 2009 die erste und bis in die jüngste Vergangenheit einzige russische LNG-Anlage in Kooperation mit Shell eröffnet. Zuletzt wurden dort pro Jahr 10,8 Mill. Tonnen LNG produziert.Weitere LNG-Projekte von Gazprom wurden wiederholt verschoben, zumal die Rubel-Abwertung den Bau immens verteuert hätte. Stattdessen arbeitet Nowatek an einem zweiten Projekt namens “Arctic LNG 2”, das am Ende 18 Mill. Tonnen LNG auf den Markt bringen und Ende 2022 starten sollte, wie Nowatek-Chef Leonid Michelson im Sommer erklärte.Der Nachdruck, mit dem Nowatek seine Vorhaben vorantreibt, erklärt sich mit dem Wunsch Russlands, beim Wettbewerb unter den immer neuen LNG-Produzenten – zuletzt vorrangig die USA und Australien, aber auch Ostafrika – mitzuhalten. Gerade die Vereinigten Staaten wollen ja mit ihrem LNG-Export Gazprom Marktanteile in Europa abnehmen.Nowatek selbst zielt mit seinem Jamal-LNG nach dem Wunsch des Kremls vorerst nicht auf den europäischen Markt, um Gazprom dort nicht zusätzlich zu bedrängen. Aber Nowatek hat mit seinem Gasexport das Gasexportmonopol von Gazprom zumindest auf dem LNG-Sektor gekippt. Das kommt einem Paradigmenwechsel im russischen Gasgeschäft gleich. Nowatek sei der Hecht im Karpfenteich, damit Gazprom nicht döse, heißt es in Russland. Global gesehen gilt Nowatek als Pionier, der als Erster Flüssigerdgas nördlich des Polarkreises produziert.