GastbeitragPeter Ruhwedel

Plädoyer für mehr Transparenz in der Aufsichtsratsevaluierung

Die regelmäßige Selbstbeurteilung von Aufsichtsräten ist ein zentrales Instrument guter Corporate Governance. Unsere Analyse der DAX 40-Unternehmen zeigt jedoch: Bei der Qualität der Berichterstattung existieren erhebliche Unterschiede, die eine fundierte Bewertung durch Investoren und Stakeholder erschweren.

Plädoyer für mehr Transparenz in der Aufsichtsratsevaluierung

Aufsichtsratsevaluierung muss transparenter werden

Gastbeitrag

Große Qualitätsunterschiede in der Berichterstattung – Klare Vorgaben zur Stärkung der Corporate Governance gefordert

Die regelmäßige Selbstbeurteilung von Aufsichtsräten ist ein zentrales Instrument guter Corporate Governance. Unsere Analyse der DAX 40-Unternehmen zeigt jedoch: Bei der Qualität der Berichterstattung existieren erhebliche Unterschiede, die eine fundierte Bewertung durch Investoren und Stakeholder erschweren.

Von Peter Ruhwedel

Der Deutsche Corporate Governance Kodex verlangt von Aufsichtsräten eine regelmäßige Selbstbeurteilung mit entsprechender Berichterstattung. Doch die Interpretationsspielräume sind groß – mit spürbaren Konsequenzen: Während einige DAX-Unternehmen sich mit einer knappen Notiz begnügen, widmen andere dem Thema fast eine ganze Seite. Auch der Veröffentlichungsort variiert: Einige Unternehmen berichten ausschließlich im Bericht des Aufsichtsrats, andere nur in der Erklärung zur Unternehmensführung, wieder andere in beiden Dokumenten.

Besonders auffällig sind die Unterschiede im Detaillierungsgrad. Das Spektrum reicht von der bloßen Erwähnung einer durchgeführten Evaluierung bis hin zu umfassenden Darstellungen mit Angaben zu Zielsetzung, Methodik, eingesetzten Analyseinstrumenten sowie den daraus resultierenden Ergebnissen. Für Investoren wird es dadurch nahezu unmöglich, die Qualität und Tiefe der Selbstbeurteilungen zu vergleichen – ein Problem, das sich in MDAX- und SDAX-Gesellschaften noch verschärft.

Evaluierungspraxis mit Entwicklungspotenzial

Unsere Analyse offenbart interessante Einblicke in die Evaluierungspraxis:

  • 67,5% der DAX-Unternehmen führten 2024 eine Selbstbeurteilung durch, 20% im Jahr 2023, 5% im Jahr 2022, während 7,5% keine Angaben machten.
  • 45% evaluieren jährlich, 22,5% im Zweijahresrhythmus, ein Unternehmen alle drei Jahre, während 30% keine Angaben zum Rhythmus machen.
  • Nur 35% der Unternehmen nutzten einen externen Berater in ihrer letzten Evaluierung, obwohl diese eine unabhängige Perspektive bieten können.

Die Zurückhaltung bei detaillierten Angaben lässt zwei Interpretationen zu: Entweder wird dem Thema im Gremium zu wenig Bedeutung beigemessen – oder es besteht eine gewisse Scheu vor zu großer Transparenz.

Interviews bleiben die Ausnahme

Bei den eingesetzten Methoden zeigt sich ein klares Bild: 85% der Unternehmen machen Angaben zur Evaluierungsmethodik. Von diesen setzen fast 80% auf Fragebögen, während nur 23,5% der Unternehmen angeben, Interviews durchzuführen. Lediglich 20,6% der Unternehmen kombinieren nach eigenen Angaben beide Instrumente.

Bemerkenswert: 65% der 20 Unternehmen mit einer reinen Fragebogenanalyse führten diese intern durch, während bei den 7 Unternehmen mit einer Methodenkombination von Fragebogen und Interviews mit 71,4% wesentlich häufiger externe Berater hinzugezogen werden.

Potenzial für mehr Tiefe

Die überwiegende Mehrheit der DAX-Unternehmen (76,5%) gibt an, die Evaluierungsergebnisse im Rahmen regulärer Aufsichtsratssitzungen zu besprechen. Spezielle Workshops zur vertieften Auseinandersetzung mit den Ergebnissen bleiben mit nur zwei Nennungen die Ausnahme. Immerhin 61,8% der DAX-Unternehmen berichten über einen Maßnahmenkatalog zur Behebung identifizierter Defizite. Dies umfasst nicht die Unternehmen, die gar keine Angaben machen.

Hierbei ist zu beachten, dass die vorliegenden Ergebnisse eine Bestandsaufnahme für 2024 darstellen. Einzelne Unternehmen befinden sich bereits in einem mehrjährigen Ansatz, in dem unterschiedliche Methoden und Austauschformate kombiniert werden – vorbildlich.

Es braucht ganzheitliche Prozesse

Effektive Governance erfordert einen dynamischen Ansatz bei der Bewertung von Aufsichtsgremien. Evaluierungen sollten nicht als isolierte Ereignisse, sondern als Bestandteile eines strategischen Mehrjahresplans konzipiert werden, der verschiedene Analysemethoden miteinander verknüpft und aufeinander aufbaut.

Die Diskussion der Ergebnisse im Aufsichtsrat benötigt ausreichend Zeit für kritische Reflexion. Entscheidend ist zudem ein strukturiertes Nachhalten implementierter Maßnahmen, um deren tatsächliche Wirksamkeit zu überprüfen. Dieser ganzheitliche Prozess ermöglicht eine systematische Weiterentwicklung des Gremiums jenseits punktueller Momentaufnahmen.

Plädoyer für verbindliche Regeln

Die aktuellen Interpretationsspielräume in der Berichterstattung der Evaluierungspraxis der Unternehmen verhindern, dass die Potenziale der Selbstevaluierung zur Stärkung der Corporate Governance voll ausgeschöpft werden. Daher sollte der Corporate Governance Kodex verbindliche Vorgaben zur Berichterstattung definieren, die folgende Aspekte umfassen:

  1. Zeitpunkt der letzten Selbstbeurteilung mit inhaltlicher Bezugnahme
  2. Umfang, Zielsetzung und thematische Schwerpunkte der Analyse
  3. Information über die Hinzuziehung eines externen Beraters
  4. Eingesetzte Analyseinstrumente (Fragebogen, Interviews, Beobachtung)
  5. Art der Reflektion im Aufsichtsrat (reguläre Sitzung, Workshop)
  6. Angaben zu identifizierten Entwicklungspotenzialen

Ein solcher Rahmen würde die notwendige Transparenz für externe Stakeholder schaffen und könnte gleichzeitig die Qualität der Selbstbeurteilungen fördern. Ergänzend sollte die Selbstevaluierung regelmäßiger Bestandteil von Investorengesprächen des Aufsichtsratsvorsitzenden sein – insbesondere im Kontext von Besetzungsfragen und langfristiger Nachfolgeplanung.

Nur wenn Aufsichtsräte bereit sind, auch in diesem Bereich Klartext zu reden, kann die Selbstevaluierung ihr volles Potenzial als Entwicklungsinstrument entfalten.

Peter Ruhwedel ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des diep-Instituts. Seit 2011 ist er zudem Professor für Strategisches Management und Organisation an der FOM Hochschule.

Peter Ruhwedel

Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des diep-Instituts sowie Professor für Strategisches Management und Organisation an der FOM