Lebensmittel-Einzelhandel

Rewe macht den Werbeprospekt zur Aktionsware

Seit dem 1. Juli verzichtet Rewe auf gedruckte Werbeprospekte und setzt vor allem auf digitale Formate. Vor der Öffentlichkeit wird die Umstellung mit Nachhaltigkeitseffekten begründet. Intern dürften die hohen Kosteneinsparungen eine zentrale Rolle gespielt haben. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen.

Rewe macht den Werbeprospekt zur Aktionsware

Rewe macht den Werbeprospekt zur Aktionsware

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt

Einzelhändler, insbesondere aus der Lebensmittelbranche, verfolgen gespannt, wie sich das Experiment entwickelt. Die Rede ist von der Einstellung der Printwerbung durch Rewe. Seit dem 1. Juli verzichtet Deutschlands zweitgrößter Lebensmittel-Einzelhändler auf gedruckte Werbeprospekte und setzt vor allem auf digitale Formate wie App, Website, Newsletter und Social-Media-Kanäle sowie Drittplattformen wie die Angebotsportale Kaufda und Marktguru. In der Umstellungsphase werde Rewe zunächst auch noch klassische Medien wie TV und Außenwerbung berücksichtigen, heißt es aus dem Unternehmen, es sei aber geplant, den Digitalanteil im Laufe der Zeit hochzufahren. Doch die bekannten Rewe-Prospekte – bei den letzten Auslieferungen im Juni zwischen 20 und 25 Millionen an der Zahl –, die am Wochenende in den Briefkästen des Landes landeten und auf die Sonderangebote der nächsten Woche aufmerksam machen sollten, um so Kunden in die Läden zu locken, gehören der Vergangenheit an.

Obi und Woolworth als Vorreiter

Rewe ist nicht das erste Einzelhandelsunternehmen, das keine Handzettel mehr verteilen lässt. Die Baumarktkette Obi hatte schon im vergangenen Jahr ihre gedruckten Werbeprospekte abgeschafft. Ebenfalls seit 2022 verzichtet der Nonfood-Discounter Woolworth auf Druckerzeugnisse zur Werbung. Man habe diesen Schritt bislang nicht bereut, sagte Marketingchef Ruben Schmitz der “Lebensmittel-Zeitung” (LZ). Zwar komme Woolworth mit dem digitalen Prospekt „nicht ganz“ an die Umsätze heran, die zuvor pro Printprospekt erreicht worden seien. Doch habe man auf der anderen Seite die Kosten im Schnitt um 70% gesenkt, zudem sei der Return on Investment mehr als verdreifacht worden, so Schmitz.

Natürlich wird in der Öffentlichkeit vor allem die Nachhaltigkeitskarte gespielt: Durch die Umstellung würden jährlich mehr als 73.000 Tonnen an Papier eingespart, betont Rewe in TV-Spots. Außerdem würden durch die Einstellung der Printprospekte 70.000 Tonnen Kohlendioxid weniger freigesetzt und 1,1 Mill. Tonnen Wasser sowie 380 Gigawattstunden (GWh) Strom weniger verbraucht. Übersetzt in für den Verstand etwas leichter erfassbare Einheiten sind das fast 3,4 Millionen gefüllte Altpapiertonnen, sechs Millionen gefüllte Badewannen, der CO2-Ausstoß von 60.000 Pkw sowie der Stromverbrauch von 100.000 Vier-Personen-Haushalten, die durch die Rewe-Entscheidung pro Jahr eingespart werden.

Nicht jedermanns Sache

Was sich nach einem risikolosen Erfolgsrezept anhört, kann jedoch leicht schiefgehen. Da ist zunächst die Tatsache, dass ein großer Teil der Verbraucher – insbesondere die über 30-Jährigen, die für den Großteil des Umsatzes im LEH sorgen – nach wie vor nicht mit einem an der Hand festgeklebten Smartphone durchs Leben läuft, schon gar nicht beim Einkauf im Supermarkt. Vielen dieser Konsumenten erscheint es umständlicher und unbequemer, auf einem kleinen Display nahezu unleserliche Produktbeschreibungen und Preise entziffern zu müssen, als ein Prospekt durchzuschauen.

Wenn sonst viel für die Kundenzufriedenheit getan wird, muss sich Rewe fragen lassen, wieso das Handelsunternehmen der wichtigsten Klientel zumutet, ständig einen Seitenausschnitt vergrößern und anschließend wieder verkleinern zu müssen. Dass in ähnlich hohem Maße wie Smartphones auch Laptops oder Tablets mit ihren größeren und deshalb anwenderfreundlicheren Bildschirmen zur Sichtung der digitalen Prospekte genutzt werden, dürfte auch bei Rewe niemand glauben.

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Ein weiteres Problem ist, dass die Zeit, in der Smartphone-Nutzer ohne nachzudenken eine App nach der anderen auf ihr Handy luden, vorbei ist. Tendenziell sind die User heute wählerischer beim Installieren von Apps als noch vor einigen Jahren. Ob also jeder Supermarktkunde, der bislang die Printwerbung zur Hand nahm, um sich zu informieren, nun Lust hat, sich die Rewe-App aufs Handy zu laden, um so durch digitale Prospekte stöbern zu können, erscheint fraglich.

Keine Alternative auf dem Land

Der digitale Prospekt, den Woolworth verbreitet, erscheint nun häufiger und mit einer wesentlich größeren Seitenzahl als früher. Insgesamt bietet das Unternehmen nach LZ-Informationen 550 digitale Seiten pro Jahr statt wie in der Vergangenheit 180 gedruckte. Dieser enormen Ausweitung der Seitenzahl muss Rewe natürlich nicht folgen. Wahrscheinlich täte der Lebensmittel-Einzelhändler gut daran, es auch langfristig beim gewohnten Umfang der alten Printausgaben zu belassen. Den Konsumenten könnte ein katalogähnliches Volumen des Verkaufsprospektes abschrecken.

Eine Besonderheit sind ländliche Räume. In diesen Regionen sind Prospekt-Apps nicht so verbreitet wie in dichtbesiedelten Gebieten. Doch auch hier weicht Rewe nicht von ihrem kategorischen Aus des Werbeprospekts aus Papier ab. Das dürfte einen ganz pragmatischen Grund haben: Anders als in Städten haben Konsumenten auf dem Land oft gar keine Wahl zwischen mehreren Lebensmittelhändlern; sie gehen in der Regel – zumindest für kleinere Besorgungen – im einzigen Supermarkt vor Ort einkaufen. Ob ein Prospekt dann aus Papier oder digital ist, spielt für den Kunden, der ohnehin keine Wahl hat, keine Rolle.

Die Motivation für den risikobehafteten Wechsel von Print- zu digitalen Werbeprospekten ist klar: Es sollen in erster Linie Kosten gespart werden, auch wenn Rewe das nie zugeben würde. Im Gespräch mit der LZ sagte Elke Wilgmann, die seit dem Frühjahr die Verantwortung für das Marketing im Supermarktgeschäft der Rewe Group trägt, Rewe wolle „künftig lokaler und personalisierter werben, um effizienter zu kommunizieren. Die digitalen Medien bieten hierfür die besten Möglichkeiten“. Nahe liegt auch der Gedanke, dass sich Rewe auf der digitalen Plattform einen Vorsprung verschaffen will, weil dort die künftigen Hauptkunden sehr viel Zeit verbringen.

In Deutschland Lebensmittel online zu verkaufen, die dann entweder abgeholt oder zugestellt werden, ist ein zähes Geschäft. Das hat auch die Rewe Group erfahren, die ohne die Corona-Pandemie mit dieser Vertriebsschiene wohl Schiffbruch erlitten hätte. Foto: Rewe Group
In Deutschland Lebensmittel online zu verkaufen, die dann entweder abgeholt oder zugestellt werden, ist ein zähes Geschäft. Das hat auch die Rewe Group erfahren, die ohne die Corona-Pandemie mit dieser Vertriebsschiene wohl Schiffbruch erlitten hätte. | Quelle: Rewe Group

Spezielle Verhaltensmuster

Die Kölner schätzen offenbar diesen Nutzen höher als das Risiko, im Hier und Heute schmerzhaft viele Kunden und Umsatz an die Konkurrenz zu verlieren. Die Gefahr, dass das passiert, ist aber groß. Schon mit dem Angebot, Lebensmittel online zu bestellen und entweder im Laden abzuholen oder nach Hause gebracht zu bekommen, ist Rewe im LEH Vorreiter gewesen, letztlich aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Ohne die Sonderkonjunktur, die die Corona-Pandemie bescherte, wäre der Online-Bestelldienst für Rewe zum Desaster geworden.

Positive Erfahrungen mit digitalen Angeboten im LEH in anderen Ländern sind auf Deutschland meist nicht übertragbar. Was in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich oder der Schweiz funktioniert, muss nicht auch hierzulande reüssieren. Dafür unterscheiden sich die Struktur des Lebensmittelhandels sowie Denkweise und Verhaltensmuster der Verbraucher viel zu sehr. Beides hat sich in Deutschland über Jahrzehnte hinweg – abgesehen von vorübergehenden Zeitgeisterscheinungen – als erstaunlich beständig erwiesen. „Wir wollen die Gewohnheiten der Kunden verändern“, sagte Wilgmann der LZ. Ein Vorhaben, das mit dem Adjektiv ehrgeizig noch höflich beschrieben ist. Nicht ohne Grund haben fast alle übrigen Lebensmittel-Einzelhändler erklärt, auch in Zukunft auf die gedruckten Handzettel setzen zu wollen. Wieso sollte man auch ein etabliertes Kommunikationsinstrument aufgeben? Noch dazu in einer Branche, in der der Wettbewerb so hart ist und sich jede Fehlentscheidung nach kurzer Zeit am Umsatzrückgang ablesen lässt.

Rewe hat ihre gedruckten Werbeprospekte abgeschafft und setzt nun auf digitale Formate. Trotz positiver Nachhaltigkeitseffekte und hoher Kosteneinsparungen könnte der Schuss nach hinten losgehen.

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