Luka Mucic

SAP macht „gewaltige Dynamik“ aus

SAP-CFO Luka Mucic äußert sich im Interview zu Cloud-Migration, der Entscheidung, bei Financial-Services-IT auf einen starken Partner zu setzen, und der wachsenden Nachfrage staatlicher Einrichtungen.

SAP macht „gewaltige Dynamik“ aus

Sebastian Schmid.

Herr Mucic, SAP hat im ersten Quartal mit „Rise with SAP“ ein Programm gestartet, um die Kunden schneller in die Cloud zu be­kommen. Sehen Sie bereits erste Erfolge?

Auf jeden Fall. Rise findet ein riesiges Interesse und viel Anklang bei unseren Kunden. Wir sind erst Ende Januar damit gestartet und hatten nur zwei Monate, um daraus im ersten Quartal noch Zählbares zu machen. Dennoch ist es uns gelungen, bereits über 100 Rise-Deals mit Kunden abzuschließen – und das quer über alle Regionen hinweg. Das sind überwiegend Bestandskunden, denen wir helfen, von der Softwarelizenz-Welt in die Cloud zu wechseln. Und das hat sicher auch zu der erfreulichen Umsatz-Entwicklung unseres ERP-Sys­tems S/4Hana Cloud beigetragen. Sowohl Umsatz als auch Auftragsbestand sind hier währungsbereinigt um jeweils 43% angestiegen. Beim Auftragsbestand ist da also schon ein „Rise-Effekt“ sichtbar.

Was erwarten Sie sich von Rise für die kommenden Quartale?

Es zeichnet sich ab, dass sich das Momentum hier in den nächsten Quartalen noch einmal stark steigert. Die Pipeline legt kräftig zu. Im ersten Quartal war S/4Hana Cloud beim Neuauftragseingang in absoluten Zahlen erstmals unser wichtigstes Cloud-Produkt. Im Umsatz sieht man das noch nicht so schnell, weil andere Produkte wie Success Factors oder Concur deutlich länger am Markt sind und der Umsatz in der Cloud dem Auftragseingang stets erst mit Verzögerung folgt. Aber auf der Order-Seite gibt es eine gewaltige Dynamik, die auch unser Wachstum in den nächsten Quartalen treibt. Schon in den ersten drei Monaten haben wir zum ersten Mal mehr Aufträge für S/4Hana in der Cloud erhalten als im On-Premise-Geschäft.

Stehen diese sehr optimistischen Aussagen nicht im Kontrast zu der nur leichten Anhebung der Umsatzerwartungen für die Cloud am unteren Ende der Prognosespanne?

Nein, überhaupt nicht. Wie erwähnt handelt es sich beim Umsatz in der Cloud um einen nachlaufenden Indikator. Nach dem Abschluss neuer Aufträge dauert es üblicherweise rund ein Quartal, bis diese im Umsatz spürbar werden. Zunächst sieht man das im Current Cloud Backlog, der von 14% Wachstum im vierten Quartal 2020 auf 19% Wachstum im ersten Quartal 2021 gestiegen ist. Das ist aus meiner Sicht besonders bemerkenswert, weil die vierten Quartale bei dieser Metrik üblicherweise ein deutlich stärkeres Wachstum bringen als die ersten. Das zeigt, wie stark das Cloud-Wachstum im ersten Quartal war – und zwar nicht nur bei S/4Hana Cloud.

Inwiefern?

Abgesehen von der Reisemanagementsoftware Concur ist das gesamte Cloud-Portfolio kräftig gewachsen. Dass wir nicht ein noch stärkeres Umsatzwachstum in der Cloud erwarten, liegt primär daran, dass die Situation bei Concur pandemiebedingt noch immer schwächer ist als normal. Zwar hat sich der Auftragseingang hier stabilisiert. Beim Bestandsgeschäft sieht es aber noch immer schwierig aus und da es sich bei Concur um eines unserer größten Cloud-Produkte handelt, hat das insgesamt entsprechende Auswirkungen.

Stellen Sie denn regional schon wieder ein stärkeres Anziehen der Geschäftsreisetätigkeit und damit der Concur-Nutzung fest?

Prozentual stellen wir in Ostasien, zum Beispiel in China, schon ein stärkeres Anziehen fest. Allerdings ist unser Geschäft dort in absoluten Zahlen deutlich kleiner als etwa in Nordamerika oder Europa. Und in diesen beiden für uns größeren Märkten haben wir im ersten Quartal noch immer ein sehr verhaltenes Reiseaufkommen festgestellt. Das könnte sich im weiteren Jahresverlauf sicherlich entspannen – gerade in Amerika, wo die Impfungen schneller vorankommen. Wir haben in unseren Berechnungen aber konservativ angenommen, dass wir 2021 keine deutlichen Steigerungen mehr sehen werden, sondern erst 2022. Wenn es anders kommen sollte, freut uns das natürlich und wir würden das dann auch im Ausblick reflektieren. Aber derzeit ist der Neuauftragseingang für uns der bessere Indikator für den weiteren Jahresverlauf.

Im Bereich Finanzdienstleistungssoftware verlassen Sie sich stark auf einen Partner, der am gemeinsamen Joint Venture künftig 80% halten soll. Ein Modell auch für andere Industrien?

Wir gehen schon lange auch in anderen Industrien Co-Innovationspartnerschaften ein. Das ist nicht exklusiv für den Finanzdienstleistungssektor. In der Versorger-Branche haben wir beispielsweise eine solche Partnerschaft mit Eon. Wir sehen in der Finanzdienstleistungsbranche ein sehr hohes Disruptionspotenzial durch Cloud-Anwendungen. Die IT-Land­schaften von Banken und Versicherungen sind nach wie vor hoch fragmentiert. Eine Simplifizierung und höhere Agilität wird bei der Transformation ihrer IT ein immer größeres Thema. Die Art und Weise der Interaktion mit den Kunden wird immer stärker digitalisiert. Das Potenzial ist hier also sehr hoch. Auf der anderen Seite bedarf es eines enormen finanziellen Aufwands, unser recht umfangreiches Portfolio an Software in diesem Bereich für die Cloud zu optimieren. Wir haben das analysiert und entschieden, dass wir diese Chancen nutzen und dafür einen Partner an Bord nehmen wollen, der die entsprechenden Investitionen gut mitfinanzieren kann. Das ist uns mit Dediq gelungen. Wir wollten auf keinen Fall einen klassischen Finanzinvestor, sondern einen unternehmerisch orientierten Investor, der strategisch langfristig dabei ist. Eine Ausweitung dieses Modells auf andere Branchen planen wir derzeit nicht. Für die Financial Services Industry ist das aber der richtige Schritt.

SAP hat mit der Corona-Warn-App und dem europäischen Impfpass zwei bedeutende öffentliche Projekte an Land gezogen. Ist der öffentliche Bereich angesichts des Digitalisierungsstaus in der Verwaltung ebenfalls einer, der für SAP an Bedeutung gewinnt?

Der öffentliche Sektor ist in der Tat seit Beginn der Pandemie ein sehr starker Wachstumsbereich für uns. Das war in den Vorjahren nicht immer der Fall. Sowohl den größten Software-Vertrag als auch den größten Cloud-Vertrag im ersten Quartal haben wir mit einer öffentlichen Einrichtung abgeschlossen – nicht in Deutschland. Daran sieht man, dass das Thema Digitalisierung der Verwaltung auch anderswo als hoch prioritär gesehen wird. Wir sehen hier einen hohen Digitalisierungsbedarf, der uns Chancen bietet, aber auch besondere Anforderungen in Bezug auf Sicherheitszertifizierungen und Datensouveränität, speziell mit Blick auf die Cloud. Wir investieren hier stark in den Ausbau und die Lokalisierung unserer Cloud-Infrastruktur. Das wird neben der Erfüllung zusätzlicher Anforderungen auch helfen die Marge zu steigern und damit unser Mittelfristziel bis 2025 zu erreichen.

Das Interview führte